Elske Hildebrandt: „Ich bin nicht Regine Hildebrandt reloaded“
Heute ist der 20. Todestag von Regine Hildebrandt. Wie begehen Sie diesen Tag?
Der 26. November ist immer ein schöner Tag für alle. Da treffen wir uns jedes Jahr in einem engen Kreis von 25 Leuten aus Familie und ein paar Freunden. Dann gehen wir zum Friedhof und anschließend zusammen essen. Es ist aber keine Trauerstimmung, sondern eher ein fröhliches Treffen. Danach fahren wir zusammen ins Willy-Brandt-Haus zur Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises der SPD. Bei den Preisträgern ist es toll zu sehen, wie sie die Anliegen und den Geist meiner Mutter weiterleben. Dieses Jahr werden wir es bei dem Treffen auf dem Friedhof belassen. Auch die Preisverleihung musste abgesagt werden.
Als Tochter von Regine Hildebrandt könnte man meinen, dass der Weg zur SPD naheliegend gewesen wäre. Tatsächlich sind Sie aber erst 2016 beigetreten. Was war ausschlaggebend dafür?
Ich war der SPD immer sehr eng verbunden und habe damals sogar die Jusos in Ost-Berlin-Mitte mitgegründet, war aber nicht Mitglied der Partei. Der Auslöser für meinen Beitritt war die Trump-Wahl. Ich hatte das Gefühl: Jetzt muss man was Konkretes machen, um das System zu stärken und die parlamentarische Demokratie zu unterstützen.
Drei Jahre später haben Sie in Brandenburg für den Landtag kandidiert. Wie kam es dazu?
Ich wohne in Woltersdorf im Speckgürtel von Berlin. Das ist eine kleine Gemeinde mit 9.000 Einwohnern. Da meldet sich natürlich sofort der SPD-Ortsverein. Wenn man dann da hingeht, reinkommt und mitmacht, geht’s schnell. Ich habe 2019 bei der Kommunalwahl kandidiert und bin seitdem hier Gemeindevertreterin. Das mit der Landtagswahl war noch mal eine andere Geschichte.
Wie lief das?
Ausschlaggebend war für mich die Vorstellung, dass die AfD in Brandenburg stärkste Kraft werden könnte. Ich wollte alles tun, um das zu verhindern. Wir haben uns als Familie Gedanken gemacht, haben Interviews gegeben, Lesungen veranstaltet, Muttis Namen offensiv ins Spiel gebracht. Als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, für den Landtag zu kandidieren, habe ich erst mal gesagt: Nein, das ist eigentlich nicht mein Plan. Dann habe ich mit meinem Mann zusammen noch mal überlegt und wir haben uns gedacht: Wenn wir sagen, wir tun alles, dann müssen wir uns auch in den Wahlkampf schmeißen.
Den Wahlkreis gewannen Sie direkt. Manche Medien titelten „Die SPD hat in Brandenburg wieder eine Hildebrandt“. War das Bürde oder Stolz?
Es ist klar, dass mich viele gewählt haben, weil sie in mir die Verbindung zu meiner Mutter sehen. Das ist mir bewusst und das birgt auch eine Verantwortung. Die habe ich genutzt und bin angetreten. Ich bin nicht Regine Hildebrandt reloaded. Ich bin ganz anders, aber ein paar Sachen sind natürlich ähnlich.
Inwieweit sind Sie in Ihrem politischen Handeln durch die Ideen und das Wirken Ihrer Mutter geprägt?
Meine Eltern haben mir mitgegeben, aufmerksam zu sein, gegen Ungerechtigkeiten anzugehen, Dinge zu hinterfragen, kritisch zu sein, sich für Schwächere einzusetzen. Das kommt bei uns aus einer grundchristlich-humanistischen Werteeinstellung unserer Familie, verbunden mit den Werten der SPD. Dadurch wurde ich geprägt und bestimmt auch im Hinblick auf bestimmte Wesenszüge.
Viele ostdeutsche Politikerinnen, unter anderem auch Manuela Schwesig, nennen Regine Hildebrandt als Vorbild. Wie ist das bei Ihnen?
Ich sehe meine eigene Mutter nicht als mein politisches Vorbild. Ich kann aber verstehen, dass sie das für andere ist, was ihre Art angeht, Dinge anzusprechen, nicht groß taktisch rumzuzirkulieren, auf den Punkt zu kommen, keine Angst zu haben, sich mit anderen anzulegen, nicht so rumzuschwurbeln und sich alle Türen offen zu halten, sondern klar zu sagen, worum es geht und klare Ziele vor Augen zu haben und für diese zu kämpfen.
Macht es Sie stolz, wenn Ihre Mutter anderen auch heute noch als Vorbild gilt?
Wenn diese Chraktereigenschaften meiner Mutter – Ehrlichkeit und klare Worte – als so besonders und außergewöhnlich angesehen werden, wäre es eigentlich nicht gut bestellt um unsere Gesellschaft. Deshalb sehe ich das immer etwas gemischt, wenn man sie wie eine Heilige mit Alleinstellungsmerkmal verehrt. Denn es gibt ja viele Leute, die kämpferisch sind und sich einsetzen. Ich finde es manchmal schwierig, alle Qualitäten auf eine Person zu vereinen, die vor 20 Jahren gestorben ist. Man muss selber machen.
Sie wird in Berichten häufig als „Mutter Courage des Ostens“ bezeichnet. Ist das ein passendes Bild?
Man darf nicht vergessen, was die 90er-Jahre für eine krasse Zeit waren. Sie musste kämpfen und sich wie wild behaupten, damit sie irgendwie Dinge wenigstens noch halbwegs beeinflussen konnte. Im Gegensatz zu den ganzen Bonner Männern. Einerseits ist es schwierig, diese ganzen Eigenschaften bei einer Person so zu verherrlichen. Andererseits war sie schon speziell in ihrem Auftreten. Sie hatte auch Entertainment-Charakter. Sie hat beides miteinander verbunden: hohe Medienwirksamkeit und wichtige Anliegen des Ostens auf den Punkt zu bringen. Insofern verstehe ich, warum sie so bezeichnet wurde. Obwohl sie mit der Mutter Courage von Brecht eigentlich nichts verbindet.
Die SPD ist in Brandenburg sehr erfolgreich. Sie hat bei der Landtagswahl viele, bei der Bundestagswahl alle Direktmandate gewonnen. Woran liegt das? Und wie groß ist der Anteil des politischen Erbes von Regine Hildebrandt daran?
Es gibt eine große SPD-nahe Wählerschaft in Brandenburg. Das rührt aus den Zeiten in den 90er-Jahren, als die SPD mit Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt die absolute Mehrheit gewann. Darauf kann man sich aber nicht ausruhen. Bei der Bundestagswahl hatte Olaf Scholz – auch durch das schlechte Auftreten der CDU – am Ende sehr starken Rückenwind bekommen und dadurch die SPD in den einzelnen Bundesländern. Das kann die SPD stärken. Dadurch kommen wieder neue, junge Leute rein, die Partei gewinnt an Selbstbewusstsein. Die SPD Brandenburg macht das gut, aber es gibt viele Sachen, die man noch besser machen könnte.
Was genau?
Die Landes-SPD ist die Summe ihrer Ortsvereine. Das bedeutet, vor Ort aktiv zu sein und auf die Leute zuzugehen, und das nicht nur in Wahlkampfzeiten. Das kann man in jeder kleinsten Gemeinde machen.
Wie fällt Ihre persönliche Bilanz nach zwei Jahren im Landtag aus?
Ich weiß nicht, ob ich noch einmal kandidieren werde. Es ist schon ein harter Job, aber ich lerne viel und bekomme Einblick in verschiedenste Themen. Ich gebe mein Bestes, um den Wählern und Wählerinnen und mir selbst gerecht zu werden. Als Abgeordnete ist man einerseits die Vermittlung zwischen den Wählerinnen und Wählern und der Regierung, andererseits ist man aber auch der Puffer. Das ist gerade in Corona-Zeiten manchmal echt schwer auszuhalten. Dieser Druck, Entscheidungen quasi binnen Minuten treffen, absegnen oder ablehnen zu müssen, ist als Abgeordnete belastend. Durch Corona sind wir permanent im Ausnahmezustand. Es ist für mich auf jeden Fall eine sehr interessante Erfahrung, zu sehen, wie anspruchsvoll und vielfältig die Abgeordnetentätigkeiten sind.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo