Parteileben

„Eine Reförmchenkoalition“

von Mathias Ostertag · 4. September 2010
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Bereits in der Einführung präsentieren die beiden Autoren die Handlungsmöglichkeiten, die sich einer Großen Koalition bieten: "Eine Große Koalition dominiert die parlamentarischen Abläufe, kann mit eigener Mehrheit die Verfassung ändern und die politischen Aushandlungen durch die Verlagerung in informelle Runden der Öffentlichkeit entziehen."
Dennoch "bringt eine Große Koalition wesentliche Einschränkung für beide Parteien mit sich, der parteiliche Nutzen einer Regierungsbeteiligung sinkt gegenüber einer kleinen Koalition spürbar und das Koalitionsmuster wird wenig attraktiv." Denn Große Koalitionen bedeuten das Zusammengehen zweier "Hauptkonkurrenten im deutschen Parteienwettbewerb", die im Klima einer Großen Koalition inhaltliche Abgrenzungen in der Öffentlichkeit als Kompromiss verkaufen müssen.

Große Koalition, Opposition und die Kanzlerin
Der erste Teil des Bandes widmet sich der Einordnung der Großen Koalition ins politische System der Bundesrepublik. Konkret werden die Gesetzgebungstätigkeit der Großen Koalition bzw. das Verhalten der Gegenspieler, d.h. der Oppositionsparteien, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundespräsidenten diskutiert. Unterschiedliche Verhaltensweisen der beiden Hauptakteure Union und SPD innerhalb der Großen Koalition wie auch in einem "Grand Coalition State" werden verglichen. Zudem wird der Regierungsstil der Kanzlerin Angela Merkel einer kritischen Analyse unterzogen.
Dabei stellt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte fest, dass das Merkel-Bild dem "einer Erfolgstaktikerin als politischem Neutrum" gleiche, sie vom Bürger wahrgenommen werde als "permanent selbst anpackende Chefin, die sich in der Männerwelt behauptet hat, der man großen Respekt entgegenbringt und gleichzeitig enorme Sachkunde zur Problemlösung unterstellt."

Reform vs. Stagnation
Im zweiten Teil des Buches wird der Frage nachgegangen, ob die Große Koalition wichtige Reformen angestoßen hat oder doch nur eine Koalition der Stagnation gewesen ist. Dabei wird untersucht, ob die im Koalitionsvertrag formulierten Zielsetzungen in die einzelnen Politikfeldern, also in der Sozial-, Gesundheits- oder auch der Familienpolitik erreicht wurden.
Im Ergebnis war die Große Koalition "in vielen Bereichen durchaus engagiert tätig, große Reformen und paradigmatische Umbrüche sind aber selten". Daher sei die Große Koalition "keine Reformkoalition, sondern eine Reförmchenkoalition", so Bukow/Seemann.

Entwicklung des Parteiensystems
Der dritte Teil bietet schließlich einen historisch-analytischen Überblick über das Parteiensystem während der Großen Koalition und beleuchtet die Entwicklungen innerhalb der beteiligten Regierungsparteien CDU, CSU und SPD. Das Verhalten der Oppositionsparteien und die Sichtweise des Wählers auf die Große Koalition finden ebenfalls Eingang in die Bewertung.
Gerade der Beitrag von Uwe Jun über die SPD in der Großen Koalition setzt sich kritisch mit deren Arbeit auseinander und versucht Gründe für das miserable Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2009 herauszuarbeiten. Der Ratschlag, in der Opposition "Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und eine klare Identität im Parteienwettbewerb zu gewinnen", sollte beherzigt werden. Dazu müssten "Aspekte sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Kompetenz mit ökologischer Verantwortung" verbunden werden. Auch sollten "Partizipationsrechte der Mitglieder verbessert und die Professionalisierung des hauptamtlichen Parteiapparates mit dem Prinzip der Mitgliederpartei in Einklang gebracht werden, um Vernetzungen mit unterschiedlichen Segmenten der Gesellschaft herzustellen."

Kaufempfehlung für "Fans"
Das Werk von Seemann/Bukow ist eine Zusammenfassung der Regierungszeit von Union und SPD zwischen 2005 und 2009. Die sehr politikwissenschaftlich angelegte Analyse widmet sich vor allem der konkreten Arbeit der Großen Koalition, den angestrebten Zielsetzungen und den finalen Ergebnissen.
Das Buch ist hervorragend geeignet, auch Unbekanntes über die Arbeitsweise der Großen Koalition in ihren vier Regierungsjahren zu erfahren bzw. mögliche aufkommende Fragen, etwa zum Verhalten der Koalition in der Gesundheits- oder Sozialpolitik, zu beantworten. Da sich hier ausschließlich Experten mit der Arbeit der Großen Koalition befassen, treten jedoch an einigen Stellen automatisch Verständnisfragen auf. Die Texte sind gespickt mit Zitaten wissenschaftlicher Analysen, weshalb das Lesen ab und an besonders schwer fallen mag.
Dennoch ist das Buch gerade für "Fans" der Großen Koalition zu empfehlen, die in Erinnerungen schwelgen und die Taten der zweiten deutschen Großen Koalition Revue passieren lassen möchten.


Sebastian Bukow/Wenke Seemann: "Die Große Koalition. Regierung - Politik - Parteien 2005 - 2009, VS Verlag, Wiesbaden, 2010, 391 Seiten, 34,95 Euro, ISBN 978-3-531-16199-0

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