Zu den Merkmalen der europäischen und der deutschen Arbeiterbewegung gehört es, dass sie nicht nur als gewerkschaftliche Interessenvertretung, sondern auch als politische Partei zu einem
sozialen und politischen Machtfaktor wurde. Gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung haben die gleichen sozialen Wurzeln, Wert- und Zielvorstellungen: Protest gegen soziale Not und gegen
politische Unfreiheit und Unterdrückung, also Kampf für soziale Gerechtigkeit un d für politische Freiheit und Demokratie.
Wichtige Akteure der sich organisierenden Arbeiterbewegung vor der Revolution von 1848 waren durch Europa wandernde Handwerksgesellen, die im liberaleren Ausland (unter anderem in der
Schweiz und in Frankreich) durch linke Intellektuelle von demokratischen und sozialistischen Ideen beeinflusst wurden und in zahlreichen Organisationen für soziale und politische Ziele eintraten.
Nach dem Scheitern der Revolution 1849 konnten zwar die Organisationen der Arbeiterbewegung durch polizeistaatliche Verfolgung weitgehend unterdrückt werden. Ihre Ideen aber wirkten weiter. So
konnte sich in den liberaleren 60er Jahren die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutschland endgültig sowohl als politische Partei (Lassalle, Bebel, Wilhelm Liebknecht) als auch als
Gewerkschaftsbewegung konsolidieren.
Aus der polizeistaatlichen Verfolgung während der ,,Sozialistengesetze" (1878-1890) ging die Arbeiterbewegung sogar gestärkt hervor. Schon um die Jahrhundertwende war sie zu einer
politischen und sozialen Massenbewegung geworden. Obwohl auch christliche und liberale ,,Richtungsgewerkschaften" entstanden, waren die sozialdemokratischen Organisationen immer am stärksten. Im
November 1890 schlossen sie sich unter dem legendären Gewerkschaftsführer Carl Legien zur ,,Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" zusammen. Zur Abgrenzung von den anderen wurden die
sozialdemokratischen "Freie Gewerkschaften" genannt. Personelle Verflechtungen (viele Spitzenpolitiker der SPD waren zugleich Gewerkschaftsführer) und gemeinsame Programmatik begünstigten die
gegenseitige Stärkung dieser "zwei Säulen" der Arbeiterbewegung.
Unterschiedliche Erfahrungen von Gewerkschaftern und Parteipolitikern führten aber auch zu unterschiedlichen Vorstellungen und zu Konflikten über die politische Strategie. Als bedeutendster
Konflikt zwischen SPD und Gewerkschaften ist die sogenannte ,,Massenstreikdebatte" vor 100 Jahren in die Geschichte eingegangen. Angeheizt wurde sie durch die Massenstreiks in der Russischen
Revolution im Winter 1905. Der Gewerkschaftskongress in Köln im Mai 1905 sah sich veranlasst, ausdrücklich vor der "Propagierung des politischen Massenstreiks" durch "Anarchisten" zu warnen. Der
Parteitag der SPD in Jena im September 1905 bejahte dagegen den Massenstreik als "eines der wirksamsten Kampfmittel", um das "direkte und geheime Wahlrecht oder das Koalitionsrecht" zu
verteidigen oder auch zu erkämpfen. Nur 14 Delegierte stimmten dagegen, darunter vor allem Gewerkschaftsführer und ihr Vorsitzender Carl Legien. Der Konflikt wurde erst im September 1906 auf dem
SPD-Parteitag mit dem "Mannheimer Abkommen" beigelegt.
Die faktisch schon bestehende Gleichrangigkeit und Gleichberechtigung von SPD und Gewerkschaften wurde nun ausdrücklich anerkannt. Wenn der Parteivorstand einen "politischen Massenstreik"
für notwendig hält, muss er "sich mit der Generalkommission der Gewerkschaften in Verbindung setzen", die "Zentralleitungen beider Organisationen" sollen sich verständigen. Als im März 1920 der
politische Massenstreik von einer theoretischen zu einer praktischen Frage geworden war, zögerten die Gewerkschaften nicht, mit einem politischen Generalstreik die junge Weimarer Demokratie gegen
den rechtsextremistischen Kapp-Putsch zu verteidigen.
Von Horst Heimann
Quelle: vorwärts 8/2005
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