Die Premiere ist gelungen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat in der SPD Sachsen ein Mitgliederentscheid stattgefunden. Im Interview mit vorwärts.de spricht der Landesvorsitzende Martin Dulig über die Erfahrungen und sagt, wann es sinnvoll ist, die Mitglieder entscheiden zu lassen.
vorwärts.de: 56 Prozent Beteiligung, 77 Prozent Zustimmung – Sind Sie mit dem ersten Mitgliederentscheid in der Geschichte der sächsischen SPD zufrieden?
Martin Dulig: Absolut. Wir haben hier einen lebendigen Landesverband, von dem sich über die Hälfte der Mitglieder beteiligt hat. Das ist ein Riesenerfolg, den uns viele nicht zugetraut haben. Aber nicht nur der Entscheid selbst ist gut gelaufen. Wir haben im Vorfeld zu einer schwierigen Frage eine gute, an der Sache orientierte Auseinandersetzung geführt. In Regionalkonferenzen, in den Ortsvereinen und im Dialog bei Facebook wurde intensiv diskutiert. Und das Ergebnis beweist: Die SPD in Sachsen will Verantwortung übernehmen.
Mit dem erfolgreichen Mitgliederentscheid ist klar, dass die SPD der Aufnahme einer Schuldenbremse in die sächsische Verfassung zustimmen wird. Warum ist die nötig?
Seit der Grundgesetzänderung 2009 ist klar, dass es ab 2020 auch für die Länder eine Schuldenbremse geben wird. Aber die Länder haben den Spielraum, dabei Ausnahmen zu regeln. Eine starre Schuldenbremse ohne Ausnahmen würde den Staat in Notsituationen handlungsunfähig machen. Wir haben als Oppositionspartei daran mitgewirkt, das Sachsen handlungsfähig bleibt. Man hätte das sicher auch außerhalb der Verfassung regeln können. Aber ich finde, die Verfassung ist so besser geworden.
Machen Sie sich damit nicht zum Gehilfen der schwarz-gelben Landesregierung?
Es gibt in Sachsen nur eine Partei, die Schulden gemacht hat. Das ist die CDU! Erst mit unserer Regierungsbeteiligung gab es 2006 den ersten schuldenfreien Haushalt. Das zeigt, dass die SPD sehr verantwortungsvoll mit Geld umgehen kann. Klar ist natürlich, dass wir andere Prioritäten setzen, wenn es darum geht, wohin Geld fließen soll. Den Ruhm, den die CDU für ihre Finanzpolitik einheimst, konnte sie sich nur auf dem Rücken der Sozialpolitik und der Kommunen erarbeiten. Den Sozialbereich gnadenlos zusammengekürzt und die Kommunen mit immer mehr Kosten belastet – das war das gruselige Erfolgsrezept. Wenn ein Staat aber handlungsfähig bleiben will, braucht er vor allem ausreichende Einnahmen.
Apropos Kommunen: Mit der Schuldenbremse sollen weitere Verpflichtungen verbunden sein. So muss der Freistaat künftig den Kommunen Geld zahlen, wenn er ihnen Aufgaben überträgt. Taugt der ausgehandelte Kompromiss als Vorbild für andere Länder?
Das Konnexitätsprinzip, das den Kommunen rechtliche Ansprüche auf finanziellen Ausgleich für vom Land übertragene Aufgaben zusichert, ist schon Teil der sächsischen Verfassung. Unser Verhandlungserfolg ist allerdings, dass dieses Prinzip ausgeweitet wurde. Es gilt jetzt nicht mehr, dass der Freistaat allein die Höhe der Kosten zum Zeitpunkt der Aufgabenübertragung an die Kommunen weiterreichen muss, sondern die Kosten, die aktuell entstehen. Damit haben wir den schleichenden Prozess der finanziellen Überlastung unserer Kommunen gestoppt.
Wir werden von den kommunalen Interessenvertretungen dafür ausdrücklich gelobt und dieser Erfolg wird unserer hartnäckigen Verhandlungsführung zugeschrieben. Dieser Schutzschirm für die Kommunen kann sicher als Vorbild für andere Länder dienen. Aber natürlich hat jedes Land seine eigene Verfassung und auch eigenen Regelungsbedarf bei der Schuldenbremse. Da kann man nicht eins zu eins das übertragen, was in Sachsen sinnvoll ist. Ich denke, dass es uns aber überall gut zu Gesicht steht, wenn die SPD als Anwalt der Kommunen auftritt.
Zu welchen Themen könnten Sie sich ebenfalls einen Mitgliederentscheid vorstellen?
Erstmal hat mich das Instrument des Mitgliederentscheides überzeugt – selten erreichen wir unsere Basis in dieser Breite und haben die Gelegenheit, so viele Stimmen gleichzeitig zu hören. Das ist toll. Man muss aber aufpassen, dass man dieses Instrument dosiert einsetzt. Nicht zu jedem Thema, über das wir diskutieren, sollte man einen Entscheid machen. Zum einen ist es ein organisatorischer Kraftakt, der nicht zu unterschätzen ist. Zum anderen verliert es seine Attraktivität, wenn man es zu häufig einsetzt.
Die Themen, über die man abstimmen lässt, müssen darum eine hohe Bedeutung für die gesamte Bevölkerung haben. Wenn man das beherzigt, ist der Mitgliederentscheid ein sehr starkes Instrument. Denn die starke Beteiligung am Entscheid selbst, aber auch das Interesse im Vorfeld hat gezeigt, dass die SPD als Mitmachpartei sehr gut funktioniert. Auch nach 150 Jahren sind wir noch sehr, sehr lebendig.
Mehr Informationen unter http://spd-sachsen.de/mitgliederentscheid
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.