Am 1. Mai 1884 wird Siegfried Aufhäuser in Augsburg geboren. Er wächst in einer gutbürgerlichen, jüdischen Fabrikantenfamilie auf, besucht die Höhere Handelsschule und beginnt zur Jahrhundertwende in München eine Lehre als Kaufmannsgehilfe. Wegen schlechter Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen schließt er sich noch während der Ausbildung dem Berufsverband "Verein der deutschen Kaufleute" an. Aufhäuser engagiert sich im Verband, debattiert und publiziert und wird mit 20 Jahren in den Münchner Vorstand gewählt.
1905 zieht es den jungen Aufhäuser nach Berlin. Beim textilen Hoflieferanten Gerson am Werderschen Markt arbeitet er tagsüber als Handlungsgehilfe, abends besucht er Kurse und widmet sich dem kaufmännischen Verein. Mit 23 Jahren wird er Vorsitzender der Regionalgruppe Berlin. Sein Redner- und Organisationstalent führt Aufhäuser zur Gründung der "Demokratischen Vereinigung", einer linksliberalen Partei um Theodor Barth.
Vom Entdecker der Angestellten...
Siegfried Aufhäuser gehört zum Vorstand, schreibt am Parteiprogramm mit, widmet sein Grundsatzreferat auf dem Parteitag 1910 den Angestellten. Er erkennt sie als rasch anwachsende Beschäftigtengruppe und sieht sie an der Seite der Arbeiter, nicht als der des "neuen Mittelstands". Er hat erkannt, dass die künftige Welt der Angestellten - gerade in Berlin - eine andere sein wird als die jener Handlungsdiener, die dem Traum einer Selbstständigkeit nachhängen. Die Angestellten werden abhängig Arbeitende sein, keine Prinzipale.
Aufhäuser heiratet 1910 die Handlungsgehilfin Anna Stein, die ebenfalls aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie stammt und sich gewerkschaftlich beim Zentralverband der Handlungsgehilfen und politisch für die SPD engagiert. Der "Bund der technisch-industriellen Beamten" (Butib) stellt Siegfried Aufhäuser 1913 als Referenten in der Zentrale ein. Für den gewerkschaftlich orientierten Verband analysiert Aufhäuser Trends in der Angestelltenbewegung, publiziert und befasst sich mit Sozialpolitik.
...wird Aufhäuser zu ihrem Wortführer
Bereits bei der politischen Debatte um die Altersversorgung 1911 hatte er sich für eine einheitliche Altersversorgung von Angestellten und Arbeitern ausgesprochen - ein Anliegen, das ihn immer wieder beschäftigt. Ihn wurmt, dass viele Rechtsquellen für das Arbeitsleben der Angestellten auf verschiedene Gesetze verstreut sind. Der Butib schickt Aufhäuser 1914 als Geschäftsführer in den aus zahlreichen Angestelltenverbänden gebildeten "Arbeitsausschuss für ein einheitliches Angestelltenrecht". In dieser Funktion wird er einer der Wortführer der Angestellten während des Ersten Weltkriegs, sie führt ihn an die Seite von Carl Legien, den Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.
Als Gegenpol zu den berufsständischen Angestelltenverbänden formiert Aufhäuser aus seinem Arbeitsausschuss die "Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände", aus der sich Anfang der zwanziger Jahre der "Allgemeine freie Angestelltenbund" (AfA) konstituiert - mit Siegfried Aufhäuser als Vorsitzendem. Die sich während des Ersten Weltkriegs verschlechternden Arbeits- und Lebensbedingungen der Angestellten haben diese Beschäftigtengruppe gegen Ende des Kriegs zunehmend radikalisiert, sodass sie sich den eher sozialdemokratisch orientierten Berufsverbänden zugewandt haben. Aufhäusers AfA-Bund ist zeitweise in der Weimarer Republik die größte Angestelltenorganisation.
Veränderung mit Sachverstand
Der von Aufhäuser immer wieder propagierte Schulterschluss von Angestellten und Arbeitern wird im März 1920 seiner Bewährungsprobe unterzogen. Beim Kapp-Putsch rufen Aufhäuser und Legien gemeinsam zum Generalstreik auf, der auch seine Wirkung zeigt. Nur wenig später schließt Aufhäuser für den AfA-Bund mit Legien für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) einen Kooperationsvertrag zwischen Angestellten- und Arbeitergewerkschaftsbewegung. Während der Weimarer Republik verkörpert Siegfried Aufhäuser die Stimme der Angestellten. Er verändert die Verbandsarbeit, geht über Tagespolitik hinaus und holt sich wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Sachverstand in die AfA-Zentrale, so beispielsweise Otto Suhr.
Während des Ersten Weltkriegs hat sich Aufhäuser der USPD angeschlossen und ist damitseiner Ehefrau Anna gefolgt. 1918 zeigt er durchaus Sympathie für die Rätebewegung. 1921 rückt er in die USPD-Fraktion im Reichstag nach, schließt sich nach Spaltung der USPD der SPD an. Er wird sozialpolitischer Wortführer der SPD-Fraktion, trägt maßgeblich zum Arbeitsgerichtsgesetz sowie zur Einführung der Arbeitslosenversicherung bei. In der SPD zählt er zum linken Flügel. Letztmalig wird er im März 1933 in den Reichstag gewählt. Im April 1933 wird er Mitglied des Parteivorstands.
Verfolgung und Flucht
Ende März 1933 spürt er in den Gewerkschaften wie in der Partei schwindenden Widerstand gegen die aufstrebenden Nazis. Bei denen ist er in dreierlei Hinsicht ein Feindbild: Er ist Sozialdemokrat, Gewerkschafter und Jude. Ende März 1933 tritt er von seinem Gewerkschaftsvorsitz zurück, wenig später löst sich der AfA-Bund auf, vermeidet die Anbiederung an die Hitler-Regierung.
Siegfried Aufhäuser steht im Mai 1933 auf der Gestapofahndungsliste weit oben. Er flüchtet mit Frau und Tochter über das Saarland nach Frankreich und von dort nach Prag. Im Exilvorstand der SPD (Sopade) steht er als Vertreter des linken Parteiflügels auf verlorenem Posten, wird 1935 aus dem Gremium ausgeschlossen. Er engagiert sich für eine tschechische Angestelltengewerkschaft, publiziert in der "Neuen Weltbühne", muss aber 1938 nach dem Münchner Abkommen aus Prag flüchten und geht nach New York. Dort engagiert er sich in Exilkreisen, beteiligt sich an Debatten, formuliert an Aufrufen mit und knüpft Kontakte zu den amerikanischen Gewerkschaften. Er schreibt für die jüdische Wochenzeitung "Aufbau" und andere Publikationen.
Rückkehr nach Deutschland
Nach dem Krieg weist er einen Ruf seines ehemaligen Referenten Bernhard Göring in Berlin, sich für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) zu engagieren, zurück. Erst 1951 kehrt er nach Deutschland und in seine Wahlheimat Berlin zurück. Hier wird er Anfang 1952 Landesvorsitzender der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und bleibt es bis Ende 1958. Er bedauert die Trennung von DAG und DGB, hält sie für falsch. Mit dem Berliner DGB-Vorsitzenden bestreitet er die Mai-Kundgebungen.
Alljährlich wählt ihn der SPD-Landesparteitag in Berlin in den Landesvorstand. Bis in die 60iger Jahre hinein setzt sich Siegfried Aufhäuser mit soziologischen Standortbestimmungen auseinander. Am 6. Dezember 1969 stirbt er in Berlin. Beerdigt wird er neben seiner 1960 verstorbenen Ehefrau Anna auf dem jüdischen Friedhof in Freiburg.