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Ein Jahr SPD-Erneuerung: „Jetzt ist der Parteivorstand in der Pflicht“

Seit einem Jahr befindet sich die SPD in einem Erneuerungsprozess. Im Interview mit vorwärts.de zieht Generalsekretär Lars Klingbeil eine erste Zwischenbilanz – und sagt, wie es in den kommenden Monaten weitergeht.
von Kai Doering · 3. Dezember 2018
Generalsekretär Lars Klingbeil: Das Debattencamp war genauso, wie ich mir die SPD wünsche.
Generalsekretär Lars Klingbeil: Das Debattencamp war genauso, wie ich mir die SPD wünsche.

Vor einem Jahr hat die SPD einen tiefgreifenden Erneuerungsprozess begonnen. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Hinter uns liegt ein sehr turbulentes Jahr. Trotzdem ist die SPD mittendrin in einem wichtigen Erneuerungsprozess. Wir setzen dabei konsequent auf die Beteiligung der Mitglieder. Das haben die zwei großen Mitgliederbefragungen gezeigt, an denen sich mehr als 50.000 Genossinnen und Genossen beteiligt haben. Wir haben mit dem Debattenportal die Möglichkeit geschaffen, dass sich unsere Mitglieder digital beteiligen können. Dort sind bisher mehr als 5.000 Vorschläge eingegangen. Und gerade haben wir mit dem Debattencamp ein völlig neues Veranstaltungsformat ausprobiert, das auf beeindruckende Weise gezeigt hat, wie leidenschaftlich wir in der SPD miteinander diskutieren und was für tolle Ideen wir für die Zukunft der Partei und des Landes haben. Das Debattencamp war deshalb ein wichtiger Meilenstein für die Erneuerung der SPD.

Stellen Sie sich so wie sich die Partei in den zwei Tagen präsentiert hat, die SPD der Zukunft vor?

Ja, das Debattencamp war genauso, wie ich mir die SPD wünsche. Die über 3000 Menschen, die da leidenschaftlich, optimistisch und voller neuer Ideen diskutiert haben, haben mich tief beeindruckt. Hinterher haben sogar Skeptiker gesagt, dass das zwei sehr wertvolle Tage waren und sie die SPD mal ganz anders erlebt haben. Das wird uns Rückenwind geben.

Zu Beginn des Prozesses hieß es, die Partei müsse sich organisatorisch, inhaltlich und personell verändern. In welchem Bereich ist das bisher am besten gelungen?

Klar ist, dass neue Inhalte das Herzstück der Erneuerung sind. Deshalb führen wir ja die inhaltliche Debatte so intensiv – um zu klären, wie wir als Partei zu den entscheidenden Fragen wie der Zukunft des Sozialstaats und des Arbeitsmarkts aber auch des Klimaschutzes stehen. Wir haben uns viel Zeit genommen, um in die Partei hineinzuhorchen. Jetzt ist der Parteivorstand in der Pflicht und in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen und Orientierung zu geben.

Welche Rolle spielt der Umgang der Partei mit Hartz IV für die Erneuerung?

Unser Konzept für den Sozialstaat der Zukunft ist ganz zentral für die SPD. In den Mitgliederbefragungen und auch im Debattenportal war das der am meisten genannte Punkt. Für mich ist dabei gar nicht die Frage, ob die Arbeitsmarktreformen von 2003 falsch oder richtig waren, sondern, ob wir eine Antwort auf die Herausforderungen im Jahr 2020 oder 2025 haben. Wir sollten deshalb keine rückwärtsgewandte, sondern eine auf die Zukunft gerichtete Debatte führen über die Frage, wie sich unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung verändert und welche Unterstützung der Staat dabei geben muss. Wenn ganze Branchen durch die Digitalisierung bedroht sind, müssen wir die Partei sein, die die Hand ausstreckt, und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagt: Wir kümmern uns, damit ihr nicht fallt.

Im November waren Sie in den USA, wo sich die Demokraten nach der Niederlage gegen Donald Trump auch neu finden müssen. Was kann die SPD von ihnen lernen?

Ich war kurz nach den Zwischenwahlen, die ja sehr erfolgreich für die Demokraten verlaufen sind, für einige Tage in den USA. Es bleibt natürlich eine Menge zu tun, damit ab 2021 wieder ein Demokrat im Weißen Haus sitzt. Bei meiner Reise hat mich sehr die enorme Polarisierung im Land bedrückt. Es gibt überhaupt keine Gespräche mehr zwischen den gesellschaftlichen Lagern. Das halte ich für sehr gefährlich und wir müssen alles dafür tun, damit wir in Deutschland nicht in solch eine Situation kommen. Was ich für die SPD mitgenommen habe, ist die Art und Weise, wie digitale Kommunikation genutzt wird, um Menschen anzusprechen. Jeder Politiker ist mit einer sehr viel Professionalität in den sozialen Netzwerken unterwegs – teilt also nicht nur seine Positionen mit, sondern ist mit den Wählerinnen und Wählern im Austausch. Die Frage, wie wir die Menschen erreichen, stellt sich auch für die SPD mehr denn je.

Und welche Partei in Europa könnte Vorbild für die Erneuerung sein?

Ich habe in den vergangenen Monaten mehrere unserer Schwesterparteien in ganz Europa besucht und fand einiges sehr beeindrucken. Labour in Großbritannien z.B. gelingt es gut, junge Menschen anzusprechen. Die österreichische SPÖ ist sehr stark in digitaler Kommunikation. Es gibt viele spannende Bausteine, aber nicht den einen Königsweg.

Das erste Jahr nach Beginn der SPD-Erneuerung ist fast vorbei. Wie geht es bis zum Bundesparteitag 2019 weiter?

Zunächst einmal werten wir jetzt die Ergebnisse des Debattencamps aus und werden sie online veröffentlichen. Diese Ergebnisse werden natürlich auch in die Entscheidungen der nächsten Wochen einfließen. Bis Anfang Februar wird es nochmal eine sehr intensive Arbeitsphase geben, damit der Parteivorstand bei seiner Jahresauftaktklausur konkrete inhaltliche Vorschläge für eine neue SPD-Programmatik machen kann. Dann wird klar sein, in welche Richtung sich die SPD entwickelt. Nach dem Europawahlkampf wird es acht regionale Debattencamps geben, bei denen über diese Vorschläge diskutiert wird. Den Abschluss bildet schließlich der Bundesparteitag Ende 2019, der die erneuerte Programmatik beschließen wird.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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