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Die Weltenbummlerin

von Birgit Güll · 6. Januar 2011
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Mit 20 Jahren wandert Ursula Sabrowski nach Australien aus. Das war 1966. Mehr als 40 Jahre später sitzt sie in ihrem Wohnzimmer in Aachen und erzählt. Warum sie weg wollte? "Vielleicht wollte ich mich profilieren", sagt sie und lacht. "Ich war ein Flüchtlingskind. Wir waren arm wie die Kirchenmäuse, aber ich wollte die Welt kennenlernen, wollte neue Leute treffen".

Sie erinnert sich gerne, hat ihre Erlebnisse sogar aufgeschrieben: Sie sind die Grundlage ihres Romans "Neulandsucher", den sie vor zwei Jahren veröffentlicht hat. Franziska, ihr Alter Ego, ist eine energische, reiselustige junge Frau, die nichts so auf die Palme bringt wie Machos und "Kapitalistenschweine". Im Gespräch wird deutlich, wie viel von Ursula Sabrowski in der Romanheldin Franziska steckt. Für Raffgier hat die 65-Jährige nichts übrig. "Wir müssen die Gier anprangern und das Gute ins Licht rücken", sagt sie.

"Wir konnten wir machen, was wir wollten, wie bei Pippi Langstrumpf"

Seit 20 Jahren ist Ursula Sabrowski in der SPD - aus Überzeugung: "Ich wollte Mitglied werden bei der Partei, die mir politisch am nächsten steht." Sie komme aus einer SPD-Familie, fügt sie hinzu. Dabei war sie in ihrer Jugend in der DDR ein leidenschaftlicher Pionier. "Ich wäre ein begeisterter Kommunist geworden, wenn meine Mutter und mein Großvater nicht gegengesteuert hätten", erzählt sie.

Aufgewachsen ist Ursula Sabrowski in der Nähe von Dresden. Die abenteuerlustige Frau wird in den letzten Kriegstagen, im April 1945, im sächsischen Dürrröhrsdorf geboren. Ihre Mutter ist aus Schlesien nach Sachsen geflohen, wo die Familie ihres Mannes lebte. Doch ihren Vater wird Ursula Sabrowski nie kennenlernen, er kehrt nicht von der Front zurück.

Die Mutter arbeitet in einer Fabrik, ihre beiden Kinder sind oft alleine. "Das klingt fürchterlich, war's aber nicht", sagt Ursula Sabrowski und lacht. Das macht sie häufig. Sie hat ein rundes, glattes Gesicht und gestikuliert mit den Händen wenn sie erzählt, als gäbe sie den Rhythmus zu ihrer Geschichte vor. "Wir lebten auf einem alten Bauernhof, oft haben wir die halbe Schulklasse mitgebracht und weil niemand da war, konnten wir machen, was wir wollten, wie bei Pippi Langstrumpf."

"Ich dachte: Super, da kommt was Neues, das wird toll"

1956 verlässt die Familie die DDR. Die Mutter hofft auf ein besseres Leben im Westen, sie hat Verwandte in der Nähe von Aachen. Gegen Veränderungen hatte Ursula Sabrowski nie etwas: "Ich dachte: Super, da kommt was Neues, das wird toll." Tatsächlich kommt nur eine Ein-Zimmer-Wohnung, die materielle Not bleibt. Trotzdem erinnert sie sich an eine glückliche Kindheit.

Ihre Mutter sei immer zuversichtlich gewesen, habe viel ermöglicht. Sie schickt ihre Tochter auf das damals noch kostenpflichtige Gymnasium, nach der Mittleren Reife darf sie für ein Jahr als Au-Pair nach London gehen. Dort schmiedet Ursula Sabrowski mit einer Schweizer Freundin den Plan, nach Australien auszuwandern. Zurück in Aachen absolviert sie die Handelsschule, um danach in der Schweiz Geld für die Reise zu verdienen. 1966 ist es soweit: Die beiden Freundinnen brechen nach Australien auf.

Die nächsten zwei Jahre leben sie dort, arbeiten und bereisen das Land. Ursula Sabrowski findet einen Job in einem Krankenhaus, "als Tippse", wie sie erzählt. Die Texte, die sie auf der Station für Kinderpsychiatrie tippt, interessieren sie. Viel später wird sie am Universitätsklinikum Aachen im Sekretariat der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten. Und sie wird noch mehr von der Welt sehen. Soziale Ungerechtigkeiten bringen sie überall in Rage, etwa die Slums in Südafrika, die ihr drastisch die Absurdität und Grausamkeit der Apartheid vor Augen führen.

"Ich schaff' das"

In Australien lernt sie ihren späteren Mann kennen. 1968 hat sie trotzdem genug vom Auswanderertum. Ihr Freund will bleiben, so geht die zielstrebige Frau kurzerhand alleine nach Deutschland. Ein Jahr später kommt er nach. Die beiden heiraten, ziehen nach Berlin und bekommen zwei Kinder. "1980 bin ich aus dem ehelichen Leben ausgebrochen", sagt Ursula Sabrowski.

Sie geht zurück nach Aachen, wo ihre Mutter lebt. Ohne die wäre es schwierig geworden: "Ich musste arbeiten und meine Tochter war erst zwei Jahre alt", der Sohn war sieben. "Aber mir war immer klar: Ich muss für mich selber sorgen. Ich schaff' das."

"Lesen ist das Beste, was man Kindern antun kann"

Heute kümmert sie sich um ihre beiden Enkelinnen und um ihre demenzkranke Mutter. "Mit 60 bin ich in Rente gegangen und wollte das Leben genießen", erzählt sie. Doch dann wird ihre Mutter krank. Drei Jahre betreut sie die alte Dame in deren Wohnung, die schräg gegenüber der eigenen liegt. Die ständige Sorge zehrt an den Nerven. Jetzt ist die Mutter in einem Heim. "Die Pflegekräfte leisten tolle Arbeit und werden so miserabel bezahlt", ärgert sie sich. Sie helfe mit, so gut es geht. Mindestens fünfmal wöchentlich besucht sie ihre 90-jährige Mutter.

Wenn es geht, nimmt sie sich Zeit für ihr Hobby, das Schreiben. In diesem Jahr hat sie "Firlefanz Wüterich" veröffentlicht - ein Buch, das Kinder ermutigen will, über ihre Gefühle zu sprechen statt sie zu verdrängen. Es ist schon ihr zweites Kinderbuch, gewidmet ist es ihren Enkelinnen. Ihr Erstling heißt "Ferien bei König Örwinn".

Ihre Bücher sollen Mut machen und Kindern den Rücken stärken. "Lesen ist das Beste, was man Kindern antun kann", sagt sie. Doch eines ersetzen sie bestimmt nicht: "Bildung, Bildung, Bildung, da muss viel reingesteckt werden."

Ursula Sabrowski: "Neulandsucher", Books on Demand, 2008, 316 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-8334-8923-5

Ursula Sabrowski: "Firlefanz Wüterich und seine Freunde", Books on Demand, 2010, 48 Seiten, 3,90 Euro, ISBN 978-3-8391-8129-4

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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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