Parteileben

„Die Vorratsdatenspeicherung widerspricht den Grundwerten der Sozialdemokratie“

von Kai Doering · 24. Juli 2012

Es ist das erste Mitgliederbegehren in der SPD seit langem. Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt wollen die Partei damit gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) positionieren. Setzen sie sich durch, könnte die VDS ein Wahlkampfthema werden.

vorwärts.de: Sie haben ein Mitgliederbegehren in der SPD gegen die Vorratsdatenspeicherung starten. Was hat Sie dazu bewogen, gerade dieses Mittel zu wählen?

Yasmina Banaszczuk: Die Vorratsdatenspeicherung ist ja schon länger ein Thema – auch innerhalb der SPD. Ein großer Teil der Mitgliedschaft lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab. Auf dem Bundesparteitag in Berlin im letzten Dezember wurde lebhaft darüber diskutiert. Das ist schön. Allerdings ist uns aufgefallen, dass in der Diskussion viele Argumente benutzt werden, die einfach nicht stimmen. Deshalb wollen wir die Mitglieder aufklären und darüber informieren, was die Vorratsdatenspeicherung für sie persönlich bedeutet. Ein Mitgliederbegehren ist dafür aus unserer Sicht eine gute Form. Daneben wollen wir endlich mal ein klares Meinungsbild aus der SPD haben. Gefühlt ist eine Mehrheit gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das wollen wir nun mit einer klaren Zahl untermauern.

Dennis Morhardt: Das Mitgliederbegehren ist ein neues Instrument in der SPD. Seitdem die Kriterien auf dem letzten Parteitag geändert wurden, hat noch niemand eins begonnen. Wir sind sehr gespannt, wie die Reaktionen auf unseren Vorstoß sein werden. Selbst wenn wir mit unserem Anliegen nicht erfolgreich sein sollten, leiten wir damit eine neue Phase der Mitgliederbeteiligung ein.


Auf dem Parteitag hat sich eine knappe Mehrheit für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Sie begründen Ihr Mitgliederbegehren u.a. damit, „dass die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung auf breiter Basis innerhalb der SPD fußt“. Was macht Sie da so sicher?

Yasmina Banaszczuk: Auf der Internetseite „Sozis gegen die Vorratsdatenspeicherung“ (sozis-gegen-vds.de) sind bereits über 40 Beschlüsse von SPD-Gliederungen gegen die Vorratsdatenspeicherung verzeichnet. Hochgerechnet repräsentiert das etwa 200 000 Mitglieder. Natürlich ist das nur ein Ausschnitt, aber insgesamt habe ich festgestellt, dass die meisten Menschen gegen die Vorratsdatenspeicherung sind, wenn man ihnen die Hintergründe erklärt. Deshalb denke ich, dass unsere Chancen nicht schlecht stehen.

Dennis Morhardt: Auf dem Parteitag gab es ja zwei Abstimmungen. Die erste ist fifty-fifty ausgegangen, die zweite dann mit 60 zu 40 für die Vorratsdatenspeicherung. Ich denke, das ist ein deutliches Zeichen, dass es eine gewisse Unsicherheit an der Basis zu diesem Thema gibt. Leider hat es im vergangenen halben Jahr keinerlei Signale aus der Parteiführung an die Gegner der Vorratsdatenspeicherung gegeben. Mit dem Mitgliederbegehren wollen wir das Schweigen brechen und die unterschiedlichen Positionen zum Thema machen. Für uns ist klar: Die Vorratsdatenspeicherung widerspricht den Grundwerten der Sozialdemokratie, weil sie die Bürgerinnen und Bürger unter einen Generalverdacht stellt.

Sie befürchten auch, dass die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung die bisherige Arbeit der SPD-Netzpolitiker zunichte machen könnte. Welche Gefahren sehen Sie konkret?

Dennis Morhardt: In der SPD verläuft zurzeit eine gewisse Front zwischen Netzpolitikern auf der einen und Innen- und Rechtspolitikern auf der anderen Seite. Wenn die Partei den Forderungen nach einer umfassenden Vorratsdatenspeicherung nachgibt, werden viele Vertreter der ersten Gruppe demotiviert und könnten sich im schlimmsten Fall sogar von der SPD abwenden.

Yasmina Banaszczuk: Unser Vorstoß richtet sich nicht gegen bestimmte Gruppen und schon gar nicht gegen Personen innerhalb der Partei. Wir wollen einen Aspekt betonen: Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik und betrifft nicht nur den begrenzten Bereich des Internets. Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung stellt auch die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Die SPD sollte Netzpolitiker deshalb nicht als isolierte Gruppe sehen, sondern als integralen Bestandteil der Partei, mit dem es sich zu reden lohnt.

Wäre eine klare Haltung gegen die Vorratsdatenspeicherung ein gutes Wahlkampfthema für die SPD?

Dennis Morhardt: Ja, eindeutig! Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP versagt auf breiter Linie. Das muss die SPD nutzen. Wenn sie die Freiheitswerte wieder stärker betont, gibt es ein riesiges Wählerpotenzial. Auch bei den Piraten laufen viele enttäuschte Sozialdemokraten herum. Mit einem Richtungswechsel bei der Vorratsdatenspeicherung könnte man auch sie zurückgewinnen.

Yasmina Banaszczuk: Wir sind in Deutschland gerade in einer Phase, in der viele darüber nachdenken, wie die Gesellschaft in Zukunft aussehen sollte. Die jetzige Bundesregierung gibt auf diese Frage keine ausreichenden Antworten. Für die SPD ist das eine großartige Chance – und die Vorratsdatenspeicherung ein wunderbares Thema, Unterschiede deutlich zu machen.

Die Initiatoren:

Yasmina Banaszczuk ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Flensburg und promoviert zu sozialem Kapital und Netzwerkstrukturen. Sie ist Mitglied der SPD in Hamburg.

Dennis Morhardt ist Webentwickler und Netzaktivist. Er engagiert sich unter anderem im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und dem Arbeitskreis gegen Zensur und ist Mitglied der SPD in Göttingen.

Das Verfahren:

Die Möglichkeiten für Mitgliederbegehren und -entscheide innerhalb der SPD sind auf dem Parteitag im Dezember 2011 erweitert worden. Wird eine Begehren auf Bundesebene angezeigt, wie es die beiden Initiatoren in diesem Fall getan haben, werden alle Parteimitglieder über den „vorwärts“ über Inhalt und Ziele informiert.

Der Parteitag hat auch das Quorum für einen erfolgreichen Mitgliederentscheid gesenkt: Er ist nun wirksam wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und sich mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt hat. Auch eine Briefwahl ist möglich.

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Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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