Parteileben

„Die SPD muss in Ostdeutschland mehr Präsenz zeigen“

Wird die Bundestagswahl in Ostdeutschland entschieden? „Die fünf östlichen Bundesländer haben immer den Ausschlag für den jeweiligen Bundeskanzler gegeben“, sagt Stefan Zierke, Vorsitzender der Landesgruppe Ost im Bundestag. Für die SPD und Martin Schulz könnte das ein Vorteil sein.
von Kai Doering · 22. Februar 2017
„Martin Schulz spricht eine klare Sprache und erkennt individuelle Leistung an. Das mögen die Menschen in Ostdeutschland“, sagt Stefan Zierke.
„Martin Schulz spricht eine klare Sprache und erkennt individuelle Leistung an. Das mögen die Menschen in Ostdeutschland“, sagt Stefan Zierke.

Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche die Rentenangleichung zwischen Ost- und Westdeutschland auf den Weg gebracht. Was bedeutet das für die Menschen im Osten?

Fast 30 Jahre nach der Deutschen Einheit werden Ost- und Westdeutsche auch bei der Rente endlich auf Augenhöhe sein. Das ist eine Frage der Gleichberechtigung und ein ganz wichtiges Symbol für die Ostdeutschen, dass sie auch bei den Renten im vereinigten Deutschland angekommen sind. Gleichzeitig wird ihre individuelle Lebensleistung anerkannt, da es ja einen Bestandsschutz geben und niemand zurückgestuft wird. Gleiche Renten bedeuten allerdings auch, dass die Lohnunterschiede zwischen Ost und West künftig deutlicher sichtbar werden. Die nächste Aufgabe wird deshalb sein, die niedrigen Löhne im Osten anzuheben.

Das dürfte nicht ganz leicht werden, da die wenigsten Arbeitnehmer im Osten gewerkschaftlich organisiert werden.

Die Arbeitnehmerrechte werden durch den geringen Organisationsgrad geschwächt, keine Frage. Ostdeutschland wird in vielen Bereichen wie ein Billiglohnland behandelt. Das müssen wir ändern. Die Diskussion über die Rentenangleichung hat hier auch die Unterschiede zwischen CDU und SPD deutlich gemacht. Die konservativen Kräfte wollen nicht, dass die Löhne in Ostdeutschland steigen, sondern sie als „Standortvorteil“ auf einem niedrigeren Niveau halten. Auch wollen sie kleinere und mittlere Einkommen über höhere Abgaben stärker belasten – was besonders die Arbeitnehmer im Osten trifft. Die Ostdeutschen sollten ihre Wahlentscheidung im September deshalb ganz bewusst treffen.

Bei den letzten Bundestagswahlen haben die Menschen in den ostdeutschen Ländern trotzdem vor allem die CDU gewählt. Ist das der Merkel-Bonus?

Der spielt sicher eine Rolle – zumindest bei den Wahlen seit 2009. Ich stelle mir aber eher die Frage, warum der Osten so verschieden wählt. Seit der Wiedervereinigung haben die fünf Bundesländer ja immer den Ausschlag für den jeweiligen Bundeskanzler gegeben. An Gerhard Schröder etwa haben die Ostdeutschen besonders geschätzt, dass er eine klare Sprache spricht. Er war sehr nah bei den Menschen und hat sie emotional mitgenommen. Den Ausschlag zu Angela Merkel hat aus meiner Sicht die Diskussion über die Agenda 2010 gegeben. Die Konservativen haben es fertig gebracht, den Menschen, die Hartz IV beziehen, den Eindruck zu vermitteln, dass sie jetzt weniger Geld bekommen, obwohl ihre Sozialhilfe vorher geringer war. Die Sozialdemokratie war in diesen Punkten kommunikativ nicht auf der Höhe der Zeit und hat die Dinge schlecht erklärt. Mit Martin Schulz ändert sich das aber gerade.

Martin Schulz kommt aus dem tiefsten Westen der Republik. Wie kommt er im Osten an?

Martin Schulz spricht ebenfalls eine klare Sprache und erkennt individuelle Leistung an. Das mögen die Menschen in Ostdeutschland. Hinzu kommt, dass die Strukturen Ostdeutschlands ganz ähnlich sind wie die in Schulz’ Heimat Nordrhein-Westfalen. Die Zeiten, in denen ein Ostdeutscher gesagt hat „Da kommt ein Wessi“ oder ein Westdeutscher „Da kommt ein Ossi“ sind ohnehin vorbei. Die Menschen wollen jemanden, der für sie da ist, egal, woher er kommt. Sie haben auch ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zusammenhalt. Martin Schulz kann dieses Gefühl vermitteln und setzt entsprechend Themen auf die Agenda – Stichwort Lohngerechtigkeit.

Bei den letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland war die AfD besonders stark. Braucht die SPD für den Osten eine besondere Wahlkampfstrategie?

Ja, unbedingt. Die Skepsis gegenüber Parteien ist in Ostdeutschland noch immer ausgeprägt. Wir brauchen einen speziellen Ansatz vor allem für die Regionen, die nur dünn besiedelt sind und wo die SPD kaum Strukturen hat. Wir müssen dafür sorgen, dass sich diese Regionen nicht vernachlässigt fühlen. Dafür brauchen wir eine Unterstützungsstrategie von der Bundespartei. Ich glaube nicht, dass die meisten, die die AfD wählen, wirklich hinter den Forderungen der Partei stehen. Da müssen wir gegenhalten. Die SPD muss in Ostdeutschland mehr Präsenz zeigen, in der Sprache und im Auftreten, auch wenn das ein Kraftakt wird.

Es sind noch sieben Monate bis zur Bundestagswahl. Was hat die SPD in der großen Koalition in dieser Legislatur für Ostdeutschland erreicht?

Das wichtigste ist auf jeden Fall die Einführung des Mindestlohns. Und das, obwohl führende CDU-Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Tillich vorher geunkt haben, der Mindestlohn werde eine Katastrophe für Ostdeutschland. Alle Horrorszenarien sind nicht eingetreten, im Gegenteil. Der Mindestlohn bedeutet für die Menschen in Ostdeutschland höhere Renten, einen stärkeren Konsum und Umsatzsteigerungen für kleine und mittlere Unternehmen – insgesamt also eine enorme Verbesserung für alle. Auch das Tarifeinheitsgesetz bringt klare Vorteile für Ostdeutschland, weil es hilft, die nicht so stark ausgeprägte Gewerkschaftsstruktur zu stärken.

Was wollen Sie bis zur Wahl noch auf den Weg bringen?

Da steht die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ganz oben auf der Liste. Wir müssen darauf achten, dass die ostdeutschen Länder künftig nicht schlechter gestellt werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Abschaffung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich. Ein hervorragendes Bildungssystem bedeutet den Menschen in Ostdeutschland sehr viel, weil sie es von früher kennen und stolz darauf sind. Mit der Aufhebung des Kooperationsverbots sollen Bildungsstandards bundesweit angehoben werden.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Iris Gleicke, hat in ihrem jüngsten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit kritisiert, die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft würde stagnieren. Was muss sich da tun?

Da sind aus meiner Sicht die Stromkosten ein ganz entscheidender Faktor. Sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass ostdeutsche Unternehmen benachteiligt werden. Ein anderer wichtiger Standortfaktor sind die Löhne. Wenn Unternehmen im Osten deutlich weniger zahlen als im Westen, ist klar, wohin die Fachkräfte gehen. Und wir dürfen uns den Markt nach Osteuropa nicht versperren. Die Sanktionen gegen Russland mögen politisch ein Druckmittel sein, wirtschaftlich sind sie gerade für Ostdeutschland fatal. Der Außenhandel ist auf Osteuropa und Russland angewiesen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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