Die SPD in Havelberg: Ein Ortsverein macht klare Ansagen
Es ist ein Ortsvereins-Treffen, wie es typischer kaum sein könnte: In der ersten Etage der Kultur- und Bildungsstätte „D8“ ist ein langer Tisch gedeckt. Lothar Frontzek hat Bier und Apfelschorle besorgt, es gibt Schnittchen und Knabbereien. Zehn der zwölf Ortsvereinsmitglieder sind gekommen. Der Jüngste in der Runde ist Ben Sturm. Der 19-Jährige ist vor einem Jahr in die SPD eingetreten und sitzt neben seinem Vater. An der Stirnseite des Tisches neben Lothar Frontzek haben Juliane Kleemann und Marina Kermer Platz genommen. Kleemann ist Mitglied des Landesvorstandes der SPD Sachsen-Anhalt, Kermer Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Nachbar-Ortsvereines in Stendal.
SPD-Havelberg fordert „europäische Flüchtlingspolitik“
Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Havelberg, die Zukunft der Stadtwerke, der Landtagswahlkampf: Lothar Frontzek lässt das vergangene Jahr aus Sicht der Stadt-SPD Revue passieren. Gerade mal 10,8 Prozent der Stimmen erhielten die Sozialdemokraten hier bei der Landtagswahl im März. Die AfD kam aus dem Stand auf 24,2 Prozent – und das ohne eigenen Wahlkreis-Kandidaten. „Das war ein schwerer Schlag, der nur schwer zu verdauen ist“, sagt Frontzek.
Einen Grund für das schlechte Abschneiden sieht der OV-Vorsitzende in der Flüchtlingspolitik. „Die Menschen wollen von uns wissen, wie es jetzt weitergeht.“ Deutschland habe einen überproportionalen Beitrag bei der Flüchtlingsaufnahme geleistet. In einem Papier mit Vorschlägen für das Programm zur Bundestagswahl fordern die Havelberger Genossen auch deshalb eine „europäische Flüchtlingspolitik“. Die Bundestagswahl sei die erste, bei der das Thema Flüchtlinge eine Rolle spielt und Frontzek ist sicher: „Da werden die Menschen Antworten von uns fordern.“
Martin Schulz: Kein „Messias“, wohl aber der beste Kandidat
„Wir dürfen uns aber auch nicht von einem Thema so treiben lassen, dass die anderen Themen hinten runterfallen“, entgegnet Juliane Kleemann, das Mitglied aus dem Landesvorstand der Partei. „Ansonsten sind wir Getriebene und nicht Akteure.“ Aus Kleemanns Sicht ist das zentrale Thema des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes die soziale Gerechtigkeit. „Wir dürfen nicht Menschen gegeneinander ausspielen“, fordert sie. Ähnlich sieht es auch Günther Hasstedt. „Wir müssen glaubwürdig und verlässlich bleiben. Nur dann vertrauen uns die Menschen“, sagt der Havelberger Genosse. Wenn im Bundestag darüber diskutiert werde, was mit den Überschüssen aus dem Bundeshaushalt passieren soll, während gleichzeitig in den Kommunen das Geld fehlt, verstehe das niemand.
Einig sind sich die Genossen in der Frage des Kanzlerkandidaten. „Sigmar Gabriel hat die richtige Entscheidung getroffen, als er Martin Schulz den Vortritt gelassen hat“, sagt Lothar Frontzek. „Wir dürfen jetzt aber nicht sagen: Martin ist der neue Messias und wird es schon richten.“ Das sieht Marina Kermer auch so. „Wir haben Sigmar viel zu verdanken. Er selbst hat eingeschätzt, dass ein echter Aufbruch nicht mit ihm, sondern mit Martin Schulz als Kandidaten gelingen kann“, sagt die Bundestagsabgeordnete. „Etwas Besseres als Martins Kanzlerkandidatur konnte uns nicht passieren.“
SPD-Havelberg geht voran
Damit es für einen Sieg bei der Bundestagswahl reicht, müsse die SPD „wieder der Interessenvertreter derjenigen werden, die mit ihrer täglichen Arbeit dafür sorgen, dass unser Gemeinwesen funktioniert“. So fordern es die Havelberger Genossen in ihrem Papier für das SPD-Wahlprogramm. Die SPD müsse ihren „Markenkern“, die Partei der kleinen Leute zu sein, „grundlegend neu begreifen“. Aus Sicht der Havelberger sollen dafür etwa der Mindestlohn erhöht, eine Vermögenssteuer für Superreiche eingeführt und die Kita-Gebühren „perspektivisch“ bundesweit abgeschafft werden.
Im Stadtrat haben sie gerade durchgesetzt, dass die Kita-Gebühren in Havelberg zumindest nicht erhöht werden. Bei der Kommunalwahl 2014 wurde die SPD stärkste Kraft. „Alle Bürger müssen einen Obolus für solide Stadtfinanzen leisten“, sagt der Fraktionsvorsitzende Jürgen Kerfien, „nicht nur die Eltern, die ein Kind in der Kita haben“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.