vorwärts.de: In der EU hatten die Konservativen in den vergangen fünf Jahren die Mehrheit. Mit welchen Konsequenzen?
Paul Nyrup Rasmussen: Die Konservativen dominieren im EU-Parlament, in der Kommission und in den meisten Regierungen Europas. Was haben sie mit dieser Mehrheit gemacht? Haben sie
die Finanzkrise angepackt? Haben sie etwas gegen steigende Lebensmittel- und Energiepreise unternommen? Haben sie Armut und Ungleichheit bekämpft? Ist unsere Gesellschaft gerechter als sie vor
fünf Jahren war? Haben sie unsere Initiativen für mehr und bessere Arbeitsplätze unterstützt? Nein, nein, nein, nein und nein ist die Antwort. Einer derjenigen, der besonders für dieses Versagen
verantwortlich ist, ist Kommissionspräsident Barroso. Statt Führungskraft zu zeigen und adäquate Maßnahmen zu ergreifen, ruft er jedes Mal, wenn er eine Entscheidung zu treffen hat, entweder
Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy an.
Welche Veränderungen braucht Europa am dringendsten?
Wir haben unsere Forderungen in unserem Wahlmanifest vorgelegt. Unsere Prioritäten sind: die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, eine zukünftige Finanzkrise zu verhindern, ein neues
soziales Europa - mit mehr Gerechtigkeit für die Menschen, ein Europa das weltweit führend im Kampf gegen den Klimawandel ist, das für Gleichheit zwischen den Geschlechtern sorgt, eine effektive
Migrationspolitik entwickelt, und Europas Rolle als Partner für den Frieden, Sicherheit und Entwicklung steigert. Wir haben zudem sieben besonders dringende Forderungen für die ersten hundert
Tage nach der Europawahl definiert: ein europäischer Konjunkturplan, ein europäischer Beschäftigungspakt, eine neue Charta für die Rechte der Frauen, ein Pakt für sozialen Fortschritt, effektive
Regelung der Finanzmärkte, neue wechselseitige Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten und eine europäische Roadmap für einen globalen New Deal. Zusammengefasst: Für uns stehen die Menschen an
erster Stellen nicht die Märkte.
Die Weltwirtschaft erleidet eine dramatische Krise. Was bedeutet das für Europa?
Die Rezession trifft die einfachen Leute hart. Reallöhne und Kaufkraft sinken und Millionen, haben Mühe, ihre Miete zu bezahlen und ihre Familien zu ernähren. Im Gegensatz zu anderen werden
die europäischen Sozialdemokraten dem nicht tatenlos zusehen. Die EU-Kommission hat kürzlich ihre Wachstumsprognose noch einmal nach unten korrigiert auf minus 4 Prozent. Das lässt die
Arbeitslosigkeit bis zum nächsten Jahr auf 11 Prozent stiegen, das bedeutet 27 Millionen Arbeitslose in der EU. Das sind 27 Millionen Argumente für einen europäischen Konjunkturplan.
Wie wollen die Europäischen Sozialdemokraten das erreichen?
Wir müssen mehr investieren, um die Wirtschaft zu stimulieren. Die EU-Kommission behauptet, es würden schon jetzt 3,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts investiert. In Wahrheit
ist es etwa 1 Prozent. Deshalb fordern wir die EU-Kommission auf, eine Strategie für grünes Wachstum und grüne Jobs zu koordinieren. Jetzt in öffentliche Verkehrsmittel, Erneuerbare Energien,
Telekommunikation, Energieeffizienz, Forschung und Entwicklung zu investieren, packt gleich zwei Übel an der Wurzel: die Rezession und den Klimawandel. Wir wollen außerdem Unternehmen mit Hilfe
der Europäischen Investitionsbank unterstützen, den Europäischen Sozialfonds nutzen, um Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ein Programm finanzieren, dass Arbeitnehmer für grüne
Jobs weiterbildet und lebenslanges Lernen fördern.
Warum sollte das helfen, wenn an bedenkt, dass dies eine globale Rezession ist?
Die EU ist der größte Wirtschafts- und Arbeitsmarkt der Welt. Die USA, Japan und China investieren schon weit über zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts , wie von der UN empfohlen, um
das Wachstum zu fördern. Auch wir müssen unseren Beitrag dazu leisten. Ein koordinierte Investitionen, Unterstützung für Unternehmen und Beschäftigung hier in der EU können helfen, den Konsum zu
stärken und dem Teufelskreis von Abschwung und Arbeitslosigkeit hier und außerhalb Europas ein Ende zu bereiten.
Im Zentrum der Krise steht das Finanzsystem. Es muss besser kontrolliert werden. Was wollen die Europäischen Sozialdemokraten?
Die Krise hat tief sitzende Mängel aufgedeckt, die behoben werden müssen, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Die PES setzt auf effektive Regulierung. Dazu gehören ein Ende der
Steueroasen, eine Reform der globalen Finanzarchitektur und neue Regeln für Transparenz und Offenlegung, strenge Eigenkapitalrichtlinien, die Beschränkung übermäßiger Kreditaufnahmen, um
exzessive Risiken einzudämmen, sowie die Begrenzung von Managergehältern. Sie sollen nicht nur an Gewinnen sondern auch an Verlusten beteiligt werden. Insbesondere Hedge Fonds und Private Equity
Gesellschaften müssen besser reguliert werden. Vergangenes Jahr hat das EU-Parlament meinen Bericht zur besseren Kontrolle der Finanzmärkte verabschiedet, aber die Kommission hat diese Initiative
nicht aufgegriffen.
Warum brauchen wir eine linke Mehrheit im EU-Parlament?
Die vergangenen fünf Jahre haben gezeigt, dass unser Einfluss begrenzt ist, wenn wir keine Mehrheit haben. Wir brauchen eine von den europäischen Sozialdemokraten und Sozialisten geführte
fortschrittliche Mehrheit, um Politik für die Menschen zu machen. Eine solche Mehrheit würde es uns auch ermöglichen, eine konservativ-geführte Kommission zu verhindern und eine neue Ära eines
fortschrittlichen Europas zu eröffnen.
Poul Nyrup Rasmussen ist Präsident der Sozialdemokratischen Partei Europas und bloggt auf dem
Presidents's Blog.