Es geht um Räte und Rätebewegung, um den Widerspruch zwischen demokratischer Verfassung und tatsächlichen Machtverhältnissen, um die "linke Herausforderung" und endet mit der Einordnung der
revolutionären Ereignisse in die Geschichtswissenschaft. Eine zentrale Rolle in "Die Deutsche Revolution von 1918/19" spielt die SPD - eine Rolle die von vielen Autoren sehr kritisch gesehen
wurde. Um einen Vorgeschmack auf das Buch zu geben, hier einige Auszüge der lesenswerten Sammlung.
Gescheiterte Demokratisierung
... "Nach dem Wortlaut der von der Nationalversammlung verabschiedeten Verfassung ... sollte das Deutsche Reich eine parlamentarische Republik entschieden demokratischen und
sozial-rechtsstaatlichen Gepräges sein. Aber zwischen der in dieser Verfassung vorgeschriebenen staatlichen und sozialen Ordnung und der »wirklichen Verfassung«, wie sie durch die tatsächlichen
Verhältnisse in Verwaltung, Wirtschaft, Heer, Justiz bedingt wurde, bestand eine unübersehbare Diskrepanz. Diese Diskrepanz, mit verursacht durch das Scheitern jener Demokratisierungsbemühungen,
die auch in der Rätebewegung einen Ausdruck gefunden haben, muß als ein wesentliches Strukturmerkmal der Weimarer Republik bezeichnet werden. In diesem Befund kommt eindringlich zum Ausdruck, daß
dieser Staat seine entscheidende Prägung durch das Scheitern der Revolution 1918/19 erhalten hat." ...
Eberhard Kolb, Rätewirklichkeit und Räte-Ideologie in der deutschen Revolution von 1918/19, ein Aufsatz aus dem Jahr 1968
Die Räte hätten es gerichtet
... "Ich selbst habe mein eigenes Urteil über den Charakter der Novemberrevolution in die Formel gefaßt: »Die einzige wirkliche Alternative zur bürgerlichen Demokratie war nicht der
›Bolschewismus‹, sondern eine auf die Räte gestützte soziale Demokratie«." ...
Peter von Oertzen, Arbeiterbewegung, Arbeiterräte und Arbeiterbewußtsein in der Deutschen Revolution 1918/19, ein Aufsatz aus dem Jahr 1983
Vereint gegen die Verfassung
... "Es ist ... kein Zufall, daß - trotz der unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen - sich die äußerste Linke und die Rechte in der grundsätzlich positiven
Beurteilung der Verankerung einer starken Rolle der Räte in der Verfassung trafen. Beiden ging es um eine Schwächung der Macht der Parlamente und der politischen Parteien." ...
Gerhard A. Ritter, Die Entstehung des Räteartikels 165 in der Weimarer Reichsverfassung, Historische Zeitschrift 258, München 1994
Kein Mut zu Säuberungen
... "Es waren Sozialdemokraten an der Spitze des Staates, die 1918 und nachher das Reich zusammenhielten, die Probleme der Demobilisierung und Ernährung notdürftig lösten und die schnelle Wahl
einer verfassunggebenden Nationalversammlung durchsetzten. Aber es waren die gleichen Sozialdemokraten, die mitten im Zerfall des kaiserlichen Heeres mit dessen Oberkommando nicht nur für die
Durchführung der Demobilisierung, sondern auch für die Aufrechterhaltung der Ordnung zusammenarbeiteten und die neue bewaffnete Macht aus antidemokratischen Freikorps aufbauten; und sie waren es
auch, die im Frühjahr 1920 vor der Forderung der Gewerkschaftsführung nach radikaler Säuberung von Reichswehr und Bürokratie zurückschreckten, nachdem der Kapp-Putsch die antidemokratische
Grundhaltung des Offizierskorps erwiesen hatte." ...
Richard Löwenthal, Die Deutsche Sozialdemokratie in Weimar und heute. Zur Problematik der "versäumten" demokratischen Revolution, Sozialismus und aktive Demokratie. Essays zu
ihren Voraussetzungen, Frankfurt am Main 1974
Die Schuldigen
... "Man muß dem Historiker Arthur Rosenberg zustimmen, dessen Analyse der Revolution bis heute unübertroffen ist, daß bereits vor 1914 »Sozialpolitik und Wahlrecht ... die eigentlichen
Objekte sozialdemokratischer Politik« gewesen seien, »und was daneben lag, ... entweder ignoriert oder nur zaghaft unzulänglich angefaßt« worden sei. So kommt Rosenberg zu der Schlußfolgerung:
»Wenn man überhaupt einen einzelnen Schuldigen suchen will, dann hätte es vielmehr historische Berechtigung, August Bebel zu nennen als Ebert oder Scheidemann.«"...
Susanne Miller, Die Entscheidung für die parlamentarische Demokratie, Fünfzig Jahre deutsche Republik. Entstehung - Scheitern - Neubeginn. Hg. Friedrich Krummacher, Frankfurt
1969
... "die nach der Revolution von 1918 zur politischen Verantwortung gelangten Männer um Ebert (haben) zu sehr an der äußeren Fassade einer Demokratie gebaut und an den Fundamenten kaum
etwas geändert. Ohne weitergehende Strukturänderungen aber blieb die Heranführung der von der sozialdemokratischen Bewegung geprägten Arbeiterschaft nur sehr unvollkommen und oberflächlich. Viele
blieben in kritischer Distanz, andere suchten ihre politische Heimat in der sich radikalisierenden USPD und der KPD und fielen damit als Stütze der Weimarer Republik weitgehend aus."
Heinrich Pothoff, Verfassungsväter ohne Verfassungsvolk, aus Gerhard A. Ritter: Gesellschaft, Parlament und Regierung: Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland,
Düsseldorf 1974
Bonn lernte aus Weimar
... "Daß Bonn nicht Weimar wurde, verdankt es auch der Tatsache, daß es Weimar gegeben hat. Das wiedervereinigte Deutschland ist wieder, was bis dahin nur Weimar war: ein demokratischer
deutscher Nationalstaat. Anders aber als die Weimarer Verfassung ist die neue Berliner Republik keine ungelernte Demokratie mehr. Sie hat nicht nur die Weimarer, sondern auch die sehr viel
erfolgreicheren Bonner Lehrjahre hinter sich. Beide Kapitel gehören zu dem Fundament an historischer Erfahrung, auf dem die Demokratie des vereinigten Deutschland aufbauen kann." ...
Heinrich August Winkler, Vom Kaiserreich zur Republik, Heinrich August Winkler: Streitfragen der deutschen Geschichte. Essays zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1997
Helga Grebing, Hg., Die Deutsche Revolution von 1918/19. Eine Analyse von: Peter Brandt, Walter Euchner, Helga Grebing, Eberhard Kolb, Peter Lösche, Richard Löwenthal, Susanne
Miller, Peter von Oertzen, Heinrich Potthoff, Gerhard A. Ritter, Reinhard Rürup, Manfred Scharrer, Hermann Weber und Heinrich August Winkler, vorwärts Buch, Berlin 2008, 181 Seiten, 14,95 Euro,
ISBN: 978-3-86602-292-8.