Parteileben

Die Anti-Kapitalistin

Ihr Name: „Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken“. Ihr Gruß: Freundschaft. Ihr Ziel: linke Mehrheiten. Ihr Motto: Mit Erziehung die Welt verändern. Wie das geht, erklärt die Vorsitzende Josephin Tischner, eine Berliner Sozialdemokratin.
von Susanne Dohrn · 8. Dezember 2014

Mit Karl Marx kennt sie sich aus, mit schwierigen Jugendlichen auch. Die grenzen andere Kinder aus? Sagen zu Mädchen „Schlampe“ und finden alles, was ihnen nicht passt, „behindert“? Josephin Tischner weiß, wie man da reagiert. Sagt von sich: „Ich bin Bildungsarbeiterin mit dem Schwerpunkt antisexistische und antirassistische Pädagogik.“ In Mexiko, wo sie bei den revolutionären Zapatistas einige Monate als Menschenrechtsbeobachterin arbeitete, hieß sie „Compañera Mariposa“ – Kameradin Schmetterling. „Das fand ich nicht so kämpferisch“, sagt die 28-Jährige im blauen Falken-Hemd.

Das rote Falken-Halstuch hat sie weggelassen. „Ist mir zuviel“, wird sie später sagen, als sie fürs Foto vor dem „Luise & Karl Kautsky-Haus“, der Bundesgeschäftsstelle der Falken, einen blauen Schal umlegt. Seit 2013 ist Josephin „Josi“ Tischner Bundesvorsitzende des Jugendverbands, zusammen mit Immanuel „Immi“ Benz als Doppelspitze und erste Frau in dieser Position.

Demokratisch zelten

Der vollständige Name der Organisation, „Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken“, zeugt von großer Geschichte. Vorläufer waren die Sozialistische Arbeiterjugend, in der Willy Brandt aktiv war, und die Kinderfreunde Deutschlands. Die veranstalteten in den 1920er Jahren ihre legendären „Kinderrepubliken“, Sommerzeltlager für hunderte von Arbeiterkindern. Weil in ihnen die sozialistischen Bürger von morgen erzogen werden sollten, regelten die Kinder die Angelegenheiten ihrer Gemeinschaft eigenständig, selbstverantwortlich und demokratisch. „Die Staatsgewalt geht vom Kinde aus“, hieß es in den Kinderrepubliken.

Die demokratisch organisierten Zeltlager sind geblieben, die linke Orientierung auch. „Mit Erziehung die Welt verändern“ ist das Motto, das Mittel dazu die „sozialistische Erziehung“ und die „Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft“. So steht es in einem Falken-Flyer. Dass der Kapitalismus sich als äußerst widerstandsfähig erwiesen hat, erschüttert Josephin Tischner nicht. „Uns ist klar, dass die Kinder, die wir jetzt erziehen, den Sozialismus höchstwahrscheinlich nicht erleben werden. Aber es ist auch nicht schlimm, denn jetzt geht es darum, gesellschaftliche Mehrheiten für ein linkes Projekt zu schaffen“, so die Sozialdemokratin.

Kein Gas von BP

Eine Altersgrenze für die Mitgliedschaft gibt es nicht. Falke sein sei „kein Lebensabschnitt, sondern ein Lebensgefühl“, erklärt die Vorsitzende. Zudem brauche man zur Betreuung in den Ferienlagern erfahrene Kräfte. „Wenn 150 Kinder auf dem Platz sind, lernt man zwangsläufig Sachen, die man nicht an der Uni lernen kann“, sagt Tischner, die in Deutschland und Frankreich Politik und Erziehung studiert hat und, seit sie 17 ist, Sommer für Sommer mehrere Wochen als Gruppenhelferin in Zeltlagern verbringt.

In den Zeltlagern verknüpfen die Falken jugendliche Selbstorganisation und sozialistische Erziehung. Hier müssen alle alles machen: Essen zubereiten, Toiletten putzen, das Programm für den nächsten Tag planen und im Lagerrat darüber demokratisch entscheiden. So wird praktische Demokratie geübt, so entsteht Wertschätzung für die jeweilige Arbeit und viele entwickeln durch das Gestalten des Miteinanders neues Selbstbewusstsein. Falken diskutieren mit Kindern über Kinderrechte und Armut, über rassistische Ausgrenzung, Obdachlosigkeit oder Umweltkatastrophen. „Wir erziehen zum Nachdenken und versuchen, Kindern und Jugendlichen so undogmatisch wie möglich, die verschiedensten Sichtweisen auf die Welt zu zeigen“, so Tischner. Das Wort „undogmatisch“ ist ihr wichtig. „Es geht nicht darum, die Kinder so zu formen, wie wir sie gerne hätten, sondern um Erziehung zum Nachdenken und eine sozialistische Kritik an der Gesellschaft.“

Lehrstück über den Kapitalismus

Als nach der Explosion einer BP-Ölplattform im Golf von Mexiko die Mehrheit der Kinder eines Zeltlagers beschloss, nicht weiter mit Gas von BP zu kochen, kaufte das Küchenteam neue Gasflaschen, auch wenn die erwachsenen Betreuer vom Sinn des Boykotts nicht überzeugt waren. Und weil das Ganze ein Lehrstück über den Kapitalismus war, veranstalteten die Betreuer ein Rollenspiel, ließen Vertreter von BP, Greenpeace und Gewerkschaften diskutieren. Ergebnis: Wenn man bei einer Firma nicht mehr kauft, verdient eine andere das Geld.

Etwa 140 000 Mitglieder haben die Falken. Finanziert werden sie u.a. aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans der Bundesregierung, von den Jugendringen und mit Mitgliedsbeiträgen. Seit 2011 befindet sich die Bundesgeschäftsstelle, die gleichzeitig als Bildungsstätte dient, in Berlin-Friedenau. In dem Haus lebten Anfang des 20. Jahrhunderts Luise und Karl Kautsky. Eine Ausstellung erinnert an den linken Vordenker der Sozialdemokratie und seine Frau.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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