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Der Zollstock-Mann: Wie Lothar Binding Politik erklärt

Strohballen verbrennen, mit Brausepulver und Smarties in den Bundestag oder am Flipchart zum Facebook-Star? Lothar Binding hat all das schon gemacht. Der SPD-Finanzexperte gilt als Meister der Verbildlichung. Wie macht er das?
von Robert Kiesel · 5. Juli 2017

Seinen jüngsten Coup landete Lothar Binding vor etwas mehr als einer Woche. Auslöser war eine Kampagne der arbeitgeberfinanzierten „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“. Per Zeitungsannonce warf diese dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vor, die Einkommensgrenze für die Erhebung des Spitzensteuersatzes senken zu wollen. Der Schuss ging nach hinten los: Erstens hatte die Aussage der Kampagne mit der Realität nicht viel zu tun, zweitens deckte Binding die Mogelei schonungslos auf. Sein Werkzeug: ein Zollstock, ein Flipchart und eine Videokamera. Der auf Facebook veröffentlichte Clip erreichte binnen weniger Tage mehr als 30.000 User, wurde mehr als 280 Mal geteilt und zig fach kommentiert.

Mit dem Schraubenzieher in den Bundestag

Zollstock und Flipchart, für den Bundestagsabgeordneten gehören Hilfsmittel wie diese zum politischen Alltag wie der Schraubenschlüssel für den KfZ-Mechaniker. Einmal schmuggelte Binding gar einen Schraubenzieher in das Plenum des Bundestages und veranlasste dessen Präsidenten Norbert Lammert so zu der Frage, ob er einen gesamten Werkzeugkoffer dabei habe. Binding verneinte eilig und stach mit dem Schraubenzieher munter weiter Löcher in einen Kaffeebecher aus Papier. Steuerschlupflöcher wollte der Finanzexperte der SPD auf diesem Wege sichtbar machen, was auch sonst? (Min. 3:16)

„Eigentlich sage ich keine Zahl, die ich nicht aufschreiben kann“, erklärt Binding dazu im Gespräch mit vorwärts.de. Erstens könnten Fehler so besser korrigiert werden, zweitens bleiben die Zahlen besser im Kopf, so Binding weiter. Hintergrund für seinen Hang zur Verbildlichung sei der Gedanke „Jeder sieht, was ist“.

Energiepolitik mit brennenden Strohballen erklärt

So war es auch am 17. Februar: Während seiner Rede zur Begrenzung von Managergehältern zog Binding plötzlich seinen Zollstock aus der Jackettasche, verbildlichte damit den im Plenarsaal versammelten Bundestagsabgeordneten die klaffende Lücke zwischen dem Einkommen eines „normalen Arbeitnehmers“ und dem eines Managers. Während erstere die unteren vier Zentimeter des Zollstocks belegten, reichten die oberen 196 Zentimeter nicht aus, um das Gehalt eines Spitzenmanagers im Verhältnis darzustellen. „Die Ausgangslage in der Gesellschaft ist durcheinander gekommen“, folgerte Binding. Wer wollte ihm angesichts Zollstock-Vergleichs wiedersprechen? (Min. 1:10)

Ob Bundestagsplenum oder Fußgängerzone, um kreative Ideen ist der aus Hessen stammende Sozialdemokrat selten verlegen. Bereits 1999 tingelte Binding mit einem in Scheiben gesägten Baumstamm durch die Nation und bis vor das Brandenburger Tor. Jede Scheibe stellte einen Anteil am Benzinpreis dar. Die Aktion war Teil der Kampagne zur Einführung der sogenannten Ökosteuer. Nicht weniger kreativ, dafür deutlich spektakulärer: Bindings „Strohballen-Aktion“ im Jahr 2000. 138 Strohballen hatte er dafür auf den Heidelberger Bismarckplatz fahren lassen, von denen jeder für jeweils eine Milliarde Tonnen Rohöl stand - dem damals geschätzten Restbestand der fossilen Brennstoffe weltweit. Drei der Ballen ließ Binding kontrolliert abbrennen, als Symbol für Menge an Rohöl, die pro Jahr weltweit verbraucht wurden. In 40 Jahren, so die Botschaft der Aktion, sind die Vorkommen aufgebraucht. Die Hälfte der Zeit ist bald rum.

„#lotharfragt“ einfach immer weiter

Darauf, dass der Marktplatz von heute immer öfter Facebook heißt, hat Lothar Binding längst reagiert. Schon lange vor dem „INSM-Scoop“ setzte der 67-Jährige auf Videos in sozialen Netzwerken, seinen eigenen YouTube-Kanal gibt es seit dem Jahr 2008. Neben Bindings engagierten Reden im Bundestag finden sich darin zahlreiche Clips der Reihe „#lotharfragt“, für die Binding viele Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion vor die Kamera geholt hat. Bindig selbst gibt sich als alter Hase: „Vor der Kamera ist man plötzlich ein anderer, das stimmt schon. Immer wenn ich mich verstellen muss, gefällt es mir aber nicht.“ 

Und so bleibt Binding sich und seinen Werkzeugen einfach treu. Für den anstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl im September hat er bereits eine neue Idee im Köcher, die zu gegebener Zeit auf seinem Facebook-Profil zu besichtigen sein wird. Bis dahin dürfen sich Binding-Fans mit einigen Clips aus längst vergangenen Tagen bei Laune halten. Einfältig sind die ganz sicher nicht:

 

 

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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