„Der vorwärts muss Brücke zwischen der Partei und ihren Mitgliedern sein“
Erhard Eppler, was hat Sie im „vorwärts“ besonders beeindruckt?
Erhard Eppler: Für mich war der „vorwärts“ wichtig in den Programmdebatten, weil ich als Vorsitzender der Grundwertekommission und danach in den Programmkommissionen arbeitete. Ich war immer dafür, dass der „vorwärts“ seinen Beitrag zur Parteidiskussion leistet. Meistens hat der „vorwärts“ das auch berücksichtigt und auf seine Weise in die Diskussion eingegriffen.
Katarina Barley: Wir stehen vor der Erstellung unseres Programms für die Bundestagswahl und wir werden wieder einen breiten Beteiligungsprozess haben. Beim Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag haben wir damit ja sehr gute Erfahrungen gemacht. Der „vorwärts“ hat bei dem Prozess eine ganz wichtige Rolle gespielt: Ich erinnere mich, wie meine Ortsvereinsmitglieder mit der Sonderausgabe in die OV-Sitzung gekommen sind. Es war alles gemarkert und mit Klebezetteln versehen; es entwickelte sich eine ganz lebendige Diskussion. Die wünsche ich mir in den kommenden Monaten wieder.
Eppler: Heute hat der „vorwärts“ noch eine zusätzliche Aufgabe, nämlich herauszufinden, was sich eigentlich in unserer Bevölkerung in Bezug auf Politik verändert hat. Der „vorwärts“ sollte nicht nur Mitglieder zum Sprechen bringen, sondern auch deren Bekannte und Freunde. Die Leute sollen reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, damit wir erfahren, was sich in den vergangenen Jahren im Verhältnis zur Politik und zu denen, die diese Politik sichtbar betreiben, verändert hat.
Wir wollen die Leute mitreden lassen, nicht nur Mitglieder, auch andere. Und das zunehmend auch in unseren Online-Auftritten. Leider ist der Ton in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter oftmals rau. Wo sind da die Grenzen?
Barley: Ich denke, Soziale Medien bieten dem „vorwärts“ und damit auch der SPD viele Chancen. Wenn der „vorwärts“ etwa einen Artikel auf vorwärts.de veröffentlicht und auf Facebook teilt, dann sehen das auf einmal ganz viele Leute, nicht nur SPD-Mitglieder. So bekommen unsere Themen, aber auch der „vorwärts“, eine größere Aufmerksamkeit. Allerdings sind viele Kommentare, die etwa bei Facebook abgegeben werden, grenzwertig. Das macht mir Sorge.
Eppler: Mich interessiert, ob sich eigentlich das Klima in unserer Gesellschaft auch an der Arbeitsstätte durch den Marktradikalismus oder Neoliberalismus verändert hat und ob die Menschen das Gefühl haben, dass sie härter angefasst, kälter behandelt, nur nach Leistung beurteilt werden. Es könnte ja sein, dass die Leute auf eine politische Kraft warten, die das ändert. Das könnte man versuchen, über den „vorwärts“ herauszufinden.
Barley: Interessanterweise sind die Menschen in Deutschland ja alles in allem sehr zufrieden. Wobei ich so ein kollektives Gefühl, wie du es gerade beschrieben hast, schon für plausibel halte. Das ist auch gar nicht auf den Arbeitsplatz beschränkt. In vielen Bereichen ist die gegenseitige Solidarität auf dem Rückzug. Es ist ja auffällig, dass sich so wenige Menschen gewerkschaftlich oder auch in Kirchen und Vereinen engagieren. Da könnten sie ja zusammen für eine gute Sache kämpfen. Aber diese Vereinigungen haben dieselben Akzeptanzprobleme wie Parteien.
Kann ein Parteimedium Bindeglied sein zwischen diesen sehr individualisierten Menschen und einer Partei, die Gemeinschaft braucht, um zu existieren?
Barley: Wir haben seit den 70er Jahren – wie andere Parteien auch – viele Mitglieder verloren. In Ostdeutschland konnte die SPD zudem nicht wie die CDU oder Die Linke auf vorhandene Strukturen aufbauen. Das wirkt bis heute nach. Gerade dort kann und sollte der „vorwärts“ eine Brücke zwischen der Partei und ihren Mitgliedern sein.
Erhard Eppler, Sie haben anlässlich des 125-jährigen Jubiläums gesagt, die Mitglieder wollen über den „vorwärts“ wissen, was sich in der Partei tut. Wie ist das konkret gemeint?
Eppler: Das gilt zuerst mal dafür, was sich im jeweiligen Bezirks- oder Landesverband in der Umgebung tut. Heute würde ich hinzufügen, dass man versuchen muss herauszulocken, was die Menschen bewegt. Bei uns in Baden-Württemberg waren wir der Meinung, die Leute wollen, dass sie ordentlich regiert werden. Und dann hat die SPD ordentlich regiert, und die Leute haben sie nicht wieder gewählt. Die Frage ist also: Was erwarten die Menschen von der SPD und von einer Regierung, in der die SPD vertreten ist?
Barley: Nach meiner Wahrnehmung wird die Aufmerksamkeitsdauer der Menschen immer kürzer. Eine richtige politische Unterhaltung oder eine Diskussion zu führen, wird immer seltener. Deswegen ist es gut, dass vorwärts.de auch ein Debattenforum ist. Es ist extrem wichtig, über Politik auch einmal abseits des Schlagzeilendruckes ausführlich zu diskutieren und Inhalte zu erklären.
Sollte der „vorwärts“ also umso stärker sachlich sein – auch mit dem Risiko, dass er die Leser möglicherweise überfordert?
Eppler: Nein, ich glaube nicht, dass ein trockener „vorwärts“ die Leute zum selbstständigen Denken bringt. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass es einige pointierte Artikel gibt, die von Autoren geschrieben werden, die zu einem bestimmten Thema eine fundierte Meinung haben, die auch nicht oder noch nicht unbedingt die Meinung der Partei ist. Ich meine, es muss einfach Leben rein und notfalls auch, indem jemand mal ein bisschen kontrovers – natürlich ohne Beleidigung – diskutiert. Das muss man auch können.
Barley: Der „vorwärts“ sollte auch Dinge schreiben, die andere nicht schreiben und zu bestimmten Themen Hintergrundwissen liefern. Das ist ein guter Service für die Mitglieder, die ja an den Info-Ständen argumentieren müssen.
Nochmal zurück zum Thema mehr Kontroversen im „vorwärts“. Hält eine Regierungspartei die aus?
Barley: Die SPD hält Kontroversen deutlich besser aus als die Unionsparteien. Denn es gehört zu unserem Markenkern, dass wir um Inhalte streiten und andere Meinungen akzeptieren. Ich finde Debatten gut, bei denen mit Respekt und auf Augenhöhe diskutiert wird. Wenn ich dann meine Meinung zur Abstimmung gestellt habe und unterlegen bin, kann ich sie ja immer noch richtig finden. Ich muss dann aber auch das Votum der Mehrheit akzeptieren. Mit diesen Spielregeln ist Kontroverse etwas Gutes. Das ist das, was uns vorwärts bringt.
Eppler: Ja, der „vorwärts“ muss möglichst die Leser zum Sprechen bringen, und zwar nicht nur, weil das denen gut tut, sondern weil es uns gut tut, dass wir erfahren, was sie bewegt. Zum Beispiel dieses neue Grundgefühl, man könne sich auf die Medien nicht verlassen. Auch darüber müsste man im „vorwärts“ reden. Denn wie soll man sich auf die Politik verlassen, wenn man sich auf die Medien nicht mehr verlassen kann, die über sie berichten?
Müsste der „vorwärts“ mehr Abstand zur Parteispitze haben, um das leisten zu können?
Eppler: Der „vorwärts“ ist eine Parteizeitung und muss das auch bleiben. Aber das ändert ja nichts daran, dass wir ein Interesse daran haben, die Genossinnen und Genossen zum Sprechen zu bringen, weil sie manches zu sagen haben, was wir nicht wissen.
Sie kommen aus einer Generation, für die das gedruckte Wort einen besonderen Wert hat. Was macht die Papierzeitung, den gedruckten „vorwärts“, in Zukunft aus?
Eppler: Ich glaube, wir werden auf längere Zeit Zeitungen brauchen, Internet hin oder her. Aber die Funktion wird sich verändern. Die gedruckte Zeitung muss künftig mehr Hintergründe liefern. Und da, wo Menschen ihre Zweifel haben, muss die Zeitung bohren und seriös Antworten liefern.
Barley: Auch ich glaube, dass der gedruckte „vorwärts“ und vorwärts.de verschiedene Funktionen haben. Die Papierform ist natürlich langsamer. Die muss geschrieben, gedruckt, ausgeliefert werden, während die Redaktion im Netz innerhalb von kurzer Zeit aktualisieren und ergänzen kann. Beides hat Vor- und Nachteile. Die vorwärts-Redaktion und ich als Herausgeberin werden weiter dafür sorgen, dass in beiden Fällen die Vorteile überwiegen.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.