NSU-Morde und eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung machen deutlich, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen. Da ist viel zu tun.
In Großbritannien wurde 1993 ein farbiger britischer Student mit jamaikanischer Herkunftsgeschichte von fünf jungen Männern ermordet. Nach ersten Ermittlungen wurden fünf Verdächtige festgenommen, aber nicht verurteilt. Am 18. Mai 2011 wurden nach sogenannten „Cold Case“-Ermittlungen zwei der ursprünglich fünf Verdächtigen, Gary Dobson und David Norris, aufgrund von neuen Beweisen angeklagt und am 4. Januar 2012 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Empfehlungen gegen "institutionellen Rassismus"
Im Rahmen der ersten Ermittlungen wurde der Tatbestand einer rassistisch motivierten Gewalttat in Betracht gezogen, aber nicht weiter verfolgt. Da die Verdächtigen nicht überführt werden konnten, wurden Vermutungen laut, dass die Herangehensweise der Londoner Polizei durch den Tatbestand des Rassismus beeinflusst worden sei. Eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission warf in seinem Abschlussbericht 1999, dem sogenannten Macpherson-Bericht, der Londoner Polizei "institutionellen Rassismus" vor.
Nach einer akribischen Aufarbeitung des Mordes an Steven Lawrence wurden im Bericht 70 Empfehlungen bezogen auf Veränderungen in der Polizei und des gesamten Sicherheitsapparates ausgesprochen: Die interne Revision und Sensibilisierung bei Gewalttaten gegen Menschen unterschiedlicher Herkunft, eine statistische Erfassung von rassistisch motivierten Vorfällen und Gewalttaten und eine unter dem Stichwort Diversity zusammengefasste personelle Aufstockung von Personal unterschiedlicher Herkunft im Polizeidienst.
Abschlussbericht nach den NSU-Morden
All das ist geschehen nach dem Mord an einem einzigen jungen Mann. In Deutschland konnten drei fehlgeleitete Menschen zehn Morde verüben und niemals wurde auch nur ansatzweise der Verdacht gehegt, dass es sich beim Tatmotiv um eine rassistische Motivation handeln könnte. Wenn er denn hier und da per Notiz auf Zeitungsartikeln oder sonst wo vermerkt wurde, wurde er genauso schnell wieder fallengelassen. Bis heute will niemand Fehler eingestehen. Und das trotz der vielen Ermittlungsfehler, Vertuschungsversuche, die der Untersuchungsausschuss unter der Leitung von Sebastian Edathy (SPD) und der engagierten Arbeit von Eva Högl (SPD), an den Tag gebracht hat.
Schon jetzt zeigt sich, dass der U-Ausschuss in seinem Abschlussbericht auf Dimensionen hinweisen werden muss, die weit über seinen Auftrag hinausgehen. Irgendwann muss man Farbe bekennen und aussprechen, wie die Dinge liegen.
In Deutschland gibt es auf allen Ebenen der Gesellschaft Rassismus. Will man es nicht Rassismus nennen, ist es mindestens die bewusste Ablehnung von Menschen nichtdeutscher Herkunftsgeschichte. Wichtig ist, damit ehrlich und ohne Verharmlosung umzugehen und dem entschieden entgegenzuwirken. Unabdingbar - und hier können wir sehr viel von anderen europäischen Nachbarn lernen - ist Vielfalt auf Bundesebene widerzuspiegeln.
"Alltäglicher Rassismus" in Deutschland
Vom 21. Juni bis 1. Juli 2009 besuchte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Intoleranz, Githu Muigai, Deutschland und rief in seinem an den UN Menschenrechtsrat übermittelten Bericht dazu auf, sich mehr mit alltäglichem Rassismus zu befassen.
Mit der Feststellung, dass Deutschland heute und in absehbarer Zukunft Ziel von Einwanderung ist und bleibt, werde es möglich, auf die vielen Herausforderungen einer multikulturellen, multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft angemessen einzugehen. Muigai sprach sich für eine stärkere Einbeziehung der Länder und Kommunen in bundesweite Antirassismusbemühungen und für verstärkte Anstrengungen um eine angemessene Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Sektor aus.
Mit einer im SPD-Parteivorstand eingeführten und mit Aydan Özoguz ausgefüllten Migrantenquote ist nicht alles getan. Bei uns in der SPD sollte Diversity viel größer geschrieben werden: Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund, die in den meisten Fällen aus den unterschiedlichsten Gründen, aber in den seltensten Fällen aufgrund des Mangels ihrer Qualifikation in ihrer beruflichen Laufbahn übervorteilt werden, arbeiten im Willy-Brandt Haus, im Büro des Parteivorsitzenden, beim SPD-Fraktionsvorsitzenden oder in der SPD Fraktion selbst oder im Wahlkampfteam von Peer Steinbrück?
Wenn wir nicht wie CDU/CSU dazu beitragen wollen, dass Migrantinnen und Migranten stereotypisch auf eine bestimmte soziale Schicht reduziert und aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit unter dem Generalverdacht des Terrorismus gestellt werden, müssen wir Chancen eröffnen. Wenn es sein muss, auch mit einer allgemeinen, selbstverpflichtenden und überprüfbaren Migrantenquote auf allen Ebenen.
ist seit Januar 2009 SPD-Mitglied. Ihre Eltern kommen aus der Türkei, sie ist Deutsche und lebt mit ihrer Familie in Berlin.