Dietmar Woidkeist der neue Ministerpräsident von Brandenburg und beerbt damit Matthias Platzeck. Gerechnet hatte damit kaum einer, Woidke selbst am wenigsten.
Auch für Ministerpräsidenten gelten Regeln. Dietmar Woidke erfährt das, als er noch nicht einmal 24 Stunden im Amt ist. 30 Minuten hat der neue Ministerpräsident von Brandenburg bei seiner ersten Regierungserklärung am 29. August gesprochen, als vor ihm eine rote Lampe aufleuchtet. Sie signalisiert das Ende seiner Redezeit. Verdutzt dreht sich Woidke zu Landtagspräsident Gunter Fritsch um. „Ich dachte, beim Ministerpräsidenten gibt es sowas nicht.“ Fritschs Antwort: „Vor dem Rednerpult sind alle gleich.“ Woidke darf dann aber doch noch in Ruhe zu Ende reden. Statt 30 werden es am Ende knapp 40 Minuten sein, in denen der neue Ministerpräsident über Brandenburg spricht. Es geht um mehr Geld für Bildung, Braunkohle und den sozialen Zusammenhalt. „Wir wollen ein starkes Brandenburg, an dem alle Menschen und alle Regionen dieses Landes teilhaben“, sagt Woidke.
»Ich stamme vom Bauernhof«
Der 51-Jährige weiß, wovon er spricht. Geboren wurde er am 22. Oktober 1961 in Naundorf in der Lausitz. Die Neiße, die Deutschland von Polen trennt, ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Die Landeshauptstadt Potsdam ist dagegen weit weg. „Ich stamme vom Bauernhof. Meine Familie ist seit Jahrhunderten am selben Ort ansässig“, sagt Dietmar Woidke, nicht ohne einen gewissen Stolz. Sein Vorgänger Matthias Platzeck wurde in Potsdam geboren, machte hier auch seine politische Karriere. Unähnlich sind sie sich jedoch nicht. „Dietmar und ich sind in vielen grundlegenden Einschätzungen – ob zu Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft – außerordentlich nah beieinander“, sagt Platzeck.
Und trotzdem sah es lange nicht so aus, als würde Dietmar Woidke Platzeck einmal beerben. Nach der letzten Landtagswahl 2009 verlor Woidke, seit fünf Jahren im Agrar- und Umweltressort, seinen Ministerposten. Nach einer Bedenkzeit übernahm er den Vorsitz der SPD-Landtagsfraktion. Manche sprachen von einem Karriereknick. Die Rückkehr ins Kabinett kam unerwartet: Nach dem Rücktritt von Rainer Speer wurde Dietmar Woidke im Oktober 2010 brandenburgischer Innenminister. Mit der begonnenen Polizeireform seines Vorgängers bekam es der 1,96-Meter-Mann gleich mit einer Herkulesaufgabe zu tun. Dienststellen sollten geschlossen werden. Der Unmut unter den Beamten war groß. Dietmar Woidke fuhr durchs Land von Dienststelle zu Dienststelle, hörte zu, erklärte. „Lösungen und Kompromisse zu organisieren, damit möglichst alle Menschen im Land gemeinsam gut und einvernehmlich leben können – das tue ich gerne und aus Leidenschaft“, sagt Woidke über sich selbst. Die Polizeireform gelang und wurde Woidkes Gesellenstück, mit dem er sich für höhere Aufgaben qualifizierte.
Anruf auf dem Kreuzfahrtschiff
Dass es dann so schnell gehen würde, damit hatte jedoch niemand gerechnet – am wenigsten Dietmar Woidke selbst. Er war mit seiner Frau Susanne und den beiden Töchtern auf einem Kreuzfahrtschiff in Skandinavien, als ihn Ende Juli der Anruf von Matthias Platzeck erreichte. Er müsse sofort nach Potsdam kommen. Platzecks Gesundheit lasse die Arbeit als Ministerpräsident sowie als Chef der Brandenburger SPD nicht länger zu. Bei der eilig anberaumten Pressekonferenz am Abend sitzt ein gelöster Platzeck neben seinem düster dreinschauenden Innenminister. „Das Amt des Ministerpräsidenten ist die größte Herausforderung meines bisherigen Lebens“, sagt er mit tiefer Stimme.
Einen Monat später, am 28. August um kurz nach halb elf strahlt Dietmar Woidke. Mit 59 Stimmen hat ihn der Brandenburger Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Er hat vier Stimmen mehr erhalten als die rot-rote Koalition Sitze hat. Drei Abgeordnete haben sich enthalten. „Dieses Ergebnis spricht für seinen Stil“, kommentiert Peter Tiede, Chefredakteur der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ Woidkes Abschneiden. „Er ist beliebt unter den Kollegen.“
Das gilt auch für seine Parteifreunde. Mit 95,8 Prozent haben sie ihn zwei Tage vorher zu ihrem neuen Landesvorsitzenden gewählt. Zuvor hatte Woidke ihnen von seiner „inneren Stunde Null“ erzählt. Die war in einer Nacht im Herbst 1981. Woidke, gerade 20, diente in der NVA und wurde mit seinem Trupp an die polnische Grenze verlegt. Die DDR-Staatsführung wollte die Protestbewegung im Nachbarland niederschlagen. In letzter Minute untersagte die Sowjetunion eine Einmischung. Doch für Woidke blieb die Erinnerung: „35 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren deutsche Soldaten wieder drauf und dran, in Polen einzumarschieren.“ In dieser Nacht habe er gelernt, welchen Wert Gewaltlosigkeit, Menschenrechte und freie Wahlen besitzen. „Diese Nacht erklärt zu guten Teilen, warum ich in den Jahren danach zu dem wurde, der ich heute bin.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.