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Das denken SPD-Abgeordnete bei ihrem Abschied aus dem Bundestag

Rund 30 Abgeordnete der SPD kandieren nicht wieder für ein Mandat im Bundestag. Einige haben mit dem „vorwärts“ offen über ihre Gedanken und Empfindungen gesprochen. Und dabei manch wertvollen Rat für ihre Nachfolger hinterlassen.
von Lars Haferkamp · 3. Juli 2017
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„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe, bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern, in andre neue Bindungen zu geben“, schreibt der Dichter Hermann Hesse. Dutzenden SPD-Abgeordneten dürfte es nach der Wahl am 24. September ähnlich gehen. Denn sie verzichten auf eine weitere Kandidatur. Doch damit endet ihr politisches Engagement nicht. Sie wollen sich weiter engagieren, in der SPD und im Ehrenamt. Mit ihnen wird auch künftig zu rechnen sein.

Finanzexperte Joachim Poß

Joachim Poß (68) hält den Rekord: Kein Abgeordneter der SPD-Fraktion ist länger im Bundestag als er, seit 1980 und damit seit zehn Legislaturperioden. Als langjähriger finanzpolitischer Sprecher und stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion wirkt er an wichtigen Entscheidungen mit. Zu den bedeutendsten gehören für ihn „dass die Deutsche Einheit gestaltet und die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise überwunden wurden“. In 37 Jahren ist nicht alles geglückt. „Ich hätte mir eine Steuerreform gewünscht, mit der Vermögende und Spitzenverdiener nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden“, sagt Poß. Höhepunkt seiner parlamentarischen Karriere ist die vorübergehende Übernahme des Fraktionsvorsitzes von August bis Oktober 2010, als Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wegen einer Nierenspende pausieren muss. Seinen Wahlkreis Gelsenkirchen gewinnt Poß immer direkt, oft als „Wahlkreiskönig“ der SPD, mit dem besten Erststimmenergebnis aller SPD-Abgeordneten. Seinem Nachfolger im Wahlkreis gibt er den Rat, „sich dem wachsenden Populismus und Nationalismus in unserem Land entschieden entgegenzustellen“.

Bildungsreformerin Edelgard Bulmahn

Wenige Sozialdemokraten haben die Bildungspolitik in Deutschland so nachhaltig geprägt und verändert wie Edelgard Bulmahn (66). Seit 1987 ist sie Mitglied des Bundestages. Von 1996 bis 1998 formuliert sie als bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der Fraktion die Ziele der SPD, die sie dann von 1998 bis 2005 als Bundesministerin für Bildung und Forschung umsetzt. Noch heute ist sie froh über „die Chance, gestalten zu können“, als Parlamentarierin wie als Ministerin. „Mit dem Ganztagsschulprogramm oder der Juniorprofessur konnte ich wichtige Durchbrüche erreichen“, sagt sie. Dazu zählt sie auch die große BaföG-Reform. Und nicht zuletzt die Exzellenzinitiative für Spitzenunis, „die ich gegen viele Widerstände durchsetzen konnte“, nicht nur gegen die Union sondern oft auch gegen die Bundesländer, die ihre „Kulturhoheit“ bedroht sehen. Das gilt auch für die Förderung von Ganztagsschulen durch den Bund. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ nennt Bulmahn einmal „die wohl kundigste, fleißigste und mutigste Bildungs- und Forschungsministerin, die Deutschland seit langem hatte“. Seit 2013 ist sie Vizepräsidentin des Bundestages. Nun sieht sie die „Zeit, den Stab an eine Jüngere zu übergeben“.

Friedenspolitiker Gernot Erler

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gewinnt Gernot Erler (73) im Jahr 1998 das Direktmandat im Wahlkreis Freiburg für die SPD. Dies gelingt ihm auch bei den drei folgenden Wahlen. Dass er 2013 das Direktmandat verliert, ist für ihn „die bitterste Niederlage meiner politischen Laufbahn“. Seit 1987 gehört er dem Parlament an. Dabei macht er sich vor allem einen Namen als für Außenpolitik zuständiger Fraktionsvize, als Russland-Beauftragter der Bundesregierung von 2002 bis 2006 und jetzt wieder seit 2014, sowie als Staatsminister im Auswärtigen Amt von 2005 bis 2009. „Mein parlamentarisches Lebensthema ist eine friedensorientierte Russland- und Ostpolitik“, sagt Erler. Die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Krim durch Russland im Jahr 2014 ist für ihn „eine Katastrophe“. Er hofft auf eine „Stärkung präventiver Politik“ und resümiert, „das Erreichte bleibt fragil und ergänzungsbedürftig“. Erler ist sicher, dass nach Brandt und Bahr, Schröder und Steinmeier auch „Martin Schulz und Sigmar Gabriel an der Friedensaufgabe Europas keine Abstriche zulassen“.

Frauenrechtlerin Elke Ferner

Wenn Elke Ferner (59) auf ihre 25 Jahre als Bundestagsabgeordnete zurückblickt, zeigt sie sich zufrieden: „Ich konnte an zahlreichen gleichstellungspolitischen Meilensteinen mitwirken.“ Dazu zählt sie die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt, das Bundesgleichstellungsgesetz, die Frauenquote in der Privatwirtschaft und den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Seit 2013 ist Ferner Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesfamilienministerin, zuvor ist sie ab 2005 SPD-Fraktionsvize. In der SPD ist sie vor allem bekannt als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), die sie seit 2004 führt. Ihr mutiger und engagierter Kampf für Frauenrechte macht ihr nicht überall Freunde. 2011 gehört sie zu den knapp 100 Abgeordneten, die der Rede Papst Benedikts im Bundestag wegen der Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche demonstrativ fernbleiben. Zu ihren schönsten Momenten im Parlament zählt sie „mit Sicherheit die Reform des Paragrafen 218 und die Reform des Sexualstrafrechtes“. Ihr Rat an ihre Nachfolgerin im Bundestag ist kurz und knapp: „Bleib dir selbst treu!“

 

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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