Constantin Grosch: Ein Inklusions-Aktivist will in den Landtag
Benedikt Dittrich / „vorwärts“
Die Halterung, in der die Flyer mit seinem Bild und seinen politischen Zielen stecken, ist – natürlich – knallrot. „Ich bin inzwischen gut ausgestattet“, sagt Constantin Grosch, bevor er an der ersten Haustür klingelt. Wie ein kleines Regal steckt die Stange an der Seite seines Rollstuhls, er hat die Zettel im Wahlkampf immer griffbereit. „Wenn Sie mögen, nehmen Sie sich gerne einen Flyer mit“, sagt er dann im Gespräch mit den Bürger*innen. Den Schwerpunkt legt der Kandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen aber auf die Unterhaltung, den Dialog. „Ich möchte wissen, wo der Schuh drückt“, sagt Grosch, der bei der niedersächischen Landtagswahl für die SPD im Wahlkreis Hameln/Rinteln kandidiert.
An diesem Tag ist er in Todenmann, einem Ortsteil der Stadt Rinteln, unterwegs. Groschs Wahlkreis erstreckt sich über die Landkreise Schaumburg und Hameln-Pyrmont, seine Heimat ist die Rattenfängerstadt Hameln an der Weser. Ein großer Wahlkreis, ländlich geprägt, südlich der Hauptstadt Hannover.
Neben den steigenden Energiepreisen, der Inflation insgesamt und den verschiedenen Krisen treiben die Bürger*innen in Todenmann auch typisch lokale Themen um: Viele beschweren sich über die „Rennstrecke“ durch ihren Ort, wünschen sich bei Grosch eine Verkehrsberuhigung, Querungshilfen, mehr Verkehrskontrollen und einen Anbau für die wachsende, aktive freiwillige Feuerwehr. Laut Ortsbürgermeister Helmuth Künneke konnte der Ort mit seinen mehr als 1000 Einwohner*innen in den vergangenen Jahren einen Zuzug verzeichnen, es kommen junge Familien, neue Häuser werden gebaut. Ein Bus fährt – immerhin – jede Stunde.
Wahlkampf mit Mobilität und Bewegungsfreiheit
Es passt zu den Kernthemen, mit denen Constantin Grosch in den Wahlkampf zieht: Mobilität treibt den 30-Jährigen um. Ob mit Fahrrad, Bus, Auto oder Zug. Da weiß er außerdem, wovon er spricht, denn: Als Kreistagsabgeordneter sitzt er bereits seit mehr als zehn Jahren im Aufsichtsrat des öffentlichen Nahverkehrs-Unternehmens in der Region, das vor Ort nur „Öffis“ genannt wird. Seit 2020 ist er sogar Vorsitzender des Gremiums.
Natürlich geht es ihm dabei auch um Inklusion. Grosch selbst bezeichnet sich als Rollstuhl-Aktivist, als Kind wurde bei ihm Muskeldystrophie diagnostiziert, Muskelschwäche. Deswegen ist er seit vielen Jahren auch auf den Rollstuhl angewiesen. 2020 klagte er zusammen mit anderen vor dem Bundesverfassungsgericht, dass eine Behinderung bei einer Triage-Entscheidung, wie sie während der Pandemie diskutiert wurde, keine Rolle spielen darf. Mit Erfolg.
Doch schon wesentlich länger ist seine Expertise in Sachen Mobilität und Inklusion gefragt, als Referent und Redner wird er häufig eingeladen. Er spricht über diese Themen, seine Behinderung, bringt andere Perspektiven in die Diskussionen ein. „Ich kenne eben beide Seiten“, sagt Grosch selbstbewusst über sein Wissen im Verkehrsbereich als Kunde, Betroffener und eben auch politischer Gestalter. Auf seinen Wahlplakaten ist er mit seinem Rollstuhl abgebildet. Eine bewusste Entscheidung, wie er erklärt. Darauf reduziert werden will er nicht, verstecken will er davon aber auch nichts. Der Rollstuhl gehört eben zu ihm.
Dass Grosch auf politischer Ebene bis hinauf zur Bundesebene kein Einzelkämpfer ist, können die Menschen dann sogar vor Ort erleben: Ein paar seiner Mitstreiter*innen als Aktivist sind kurzerhand von Berlin nach Schaumburg gereist, um ihn zu besuchen, zu unterstützen. Eine Überraschung, die Grosch zunächst völlig sprachlos macht, als auf einmal vier Menschen in Rollstühlen vor einer Hofeinfahrt in Todenmann auftauchen und ihn breit angrinsen, sogar Motiv-T-Shirts haben sie sich für den Anlass drucken lassen. Groschs Tagesplanung haben sie damit über den Haufen geworfen – aber er quittiert es mit einem ebenso breiten Lächeln, legt kurzerhand mit ihnen einen Wahlkampf-Zwischenstopp in der Rintelner Innenstadt ein. Die Aufmerksamkeit auf dem Wochenmarkt ist der Truppe damit sicher, viele schauen sich nach ihnen um.
Alle und alles im Blick – für Groschs Wahlkampf zentral
Auch bei seinen weiteren Wahlkampfthemen, Pflege und Gesundheit sowie kommunale Daseinsvorsorge, speist sich bei Constantin Grosch das Engagement aus seinem politischen Engagement und seiner eigenen Betroffenheit: Seit einigen Jahren ist er bereits in der Kommunalpolitik aktiv. „Wenn man Projekte vor Ort umsetzen möchte, muss man auf allen Ebenen arbeiten, alles miteinander vernetzen“, ist er überzeugt. Diese Kooperation zwischen Landes- und Kommunalpolitik möchte er stärken, im Landtag. Und wie ungerecht es teils im Bereich der Pflege und Gesundheit zugeht, ist ihm ebenso ein Dorn im Auge. „Wenn ich anfange, über die Kassenärztliche Vereinigung zu sprechen, rege ich mich schnell auf“, sagt er unverblümt, während er von Haustür zu Haustür fährt. Wie auch beim Thema Mobilität nimmt er dabei immer wieder mehrere Perspektiven in den Blick, schaut auf das große Ganze – schließlich sind Dinge wie Barrierefreiheit auch für viele andere eine Frage der Lebensqualität.
Alle Menschen im Blick zu haben, die Gesellschaft und den Zusammenhalt als Ganzes zu betrachten – diesen Anspruch vertritt Grosch auch in der politischen Auseinandersetzung auf der Bühne. So zum Beispiel beim Landvolk, das die Landtags-Kandidatinnen und Kandidaten am selben Tag noch auf einen landwirtschaftlichen Hof geladen hat. Als es dort um Düngemittelverordnungen, Wasserverbrauch, Dürre und steigende Energiekosten geht, ist es stets Grosch, der immer wieder für Zusammenhalt in der Gesellschaft wirbt, statt Landwirte gängeln, bevormunden zu wollen. „Es bringt doch nichts, einfach alles zu verbieten oder darauf zu hoffen, dass der Markt es regelt“, sagt der Sozialdemokrat beim Thema Düngemittel-Einsatz. „Besser ist es doch, wenn wir gemeinsam einen Weg finden.“ Als es um die Frage geht, wer vielleicht künftig auf Wasser verzichten solle, Landwirtschaft, Industrie oder Privatleute, sagt Grosch: „Diese Frage ist doch Quatsch!“ Auf diese Art von Verteilungsdebatten will er sich nicht einlassen. Stattdessen pläsidert er für Kooperation, Solidarität und Kompromisse – eben, den gemeinsamen, solidarischen Weg.