Christine Lambrecht: „SPD wird immer meine politische Heimat sein.“
Florian Gaertner/photothek.de
23 Jahre lang Bundestagsabgeordnete, das bedeute „23 Jahre lang pendeln und Leben aus dem Koffer“. Christine Lambrecht hat entschieden, dass für sie „diese Art des Lebens einen Abschluss findet“. Die amtierende Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, die seit Franziska Giffeys Rücktritt auch deren Amtsnachfolgerin als Bundesfamilienministerin ist, wird im September nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Es sollen „in meinem Wahlkreis an der Bergstraße auch junge Leute eine Chance bekommen“, betont die Rechtsanwältin.
Besonderer Moment: Ausstieg aus der Atomkraft
Politisiert in der Anti-Atomkraft-Bewegung konnte Lambrecht, die 1982 in die SPD eingetreten ist, 2001 als Bundestagsabgeordnete den Ausstieg aus der Atomenergie mitentscheiden. „Das war für mich schon ein ganz besonderer Moment“, erinnert sie. Zuvor als Kommunalpolitikerin tätig, lag ihr eine moderne Familienpolitik besonders am Herzen. „Das heißt für mich, dass die Menschen selbst entscheiden können, wie sie Familie gestalten“, erklärt sie.
In der Zeit, als sie in den Bundestag kam, sei das keine Selbstverständlichkeit gewesen. Damals gab es in Hessen noch „Kindergärten, die um 12 Uhr geschlossen haben“. Ganztagesbetreuung in den Schulen habe es genauso wenig gegeben wie Hortbetreuung für Kinder unter drei Jahren. In diesem Bereich habe sich enorm viel bewegt in diesem Land, weg aus einer „ziemlich vermieften Politik“ in eine Richtung, „wie Familien das wollen und nicht so, wie sich das einzelne Politiker vielleicht vorstellen“, sagt Lambrecht. Als Beispiel für die enormen Veränderungen verweist sie auf den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, der mittlerweile sogar für unter Dreijährige gilt.
Gesetz gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz
Wichtig ist ihr aber auch, dass sich Menschen nicht aus den sozialen Medien zurückziehen, weil sie Hass und Beleidigungen nicht mehr ertragen. Vielmehr müsse es möglich sein, hier genauso miteinander diskutieren zu können, wie im analogen Leben auch, sagt sie.
In ihre Amtszeit als Justizministerin fällt deshalb auch das Gesetz gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz. Für sie „eine klare Ansage an all diejenigen, die meinen, sie müssten Morddrohungen oder Volksverhetzungen aussprechen, dass diese Handlungen auch in den sozialen Medien strafbar sind“.
Enttäuscht hingegen ist Lambrecht darüber, dass es nicht gelungen ist, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. „Seit 30 Jahren wird dafür gekämpft und wir waren ziemlich weit in dieser Legislaturperiode“, bedauert sie. Die vielen konstruktiven Gespräche hätten am Ende weder bei der Union noch bei der Opposition gereicht, „um zu springen“. Für eine Grundgesetzänderung brauche es aber eine Zweidrittelmehrheit. Sie sei immer um einen Kompromiss bemüht gewesen, der deutlich mache, dass in Zukunft alle staatlichen Ebenen immer die Interessen von Kindern mitdenken müssen. Denn „Kinder haben eigene Bedürfnisse, sie sind keine kleinen Erwachsenen“, ist sie überzeugt.
Pandemie-Einschränkungen als besondere Erfahrung
23 bewegte Jahre liegen hinter Christine Lambrecht. Sie habe in dieser Zeit als Bundestagsabgeordnete ihren Sohn bekommen, ein besonderer Moment in ihrem Leben, sagt sie. Ein besonders schwieriger Moment hingegen sei damals für sie der Beschluss zum Afghanistan-Einsatz gewesen, ein Thema, das dieser Tage wieder an Aktualität gewinnt.
Besonders einschneidend für sie als Juristin seien allerdings die vergangenen 16 Monate gewesen. „Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich so weitreichende Grundrechtseinschränkungen beschließen muss“, betont sie. Doch diese Pandemie habe es erforderlich gemacht in der Abwägung von Grundrechten und Schutz für Leben und Gesundheit, fügt sie hinzu. Lambrecht räumt ein, dass es immer wieder Überlegungen gegeben habe, ob diese Maßnahmen noch verhältnismäßig seien oder schon zu weit gehen könnten, weshalb eben auch stetig Veränderungen vorgenommen wurden.
SPD als politische Heimat
Bei Tipps für ihren Nachfolger im Wahlkreis hält sie sich bewusst zurück. Sven Wingerter sei Anfang 40, jung, aber dennoch sehr erfahren, erklärt sie. Er gehe seinen Weg und das sei richtig so, denn von diesem Neuen gehe eben auch Veränderung aus. Sie selber gehe mit einem lachenden Auge, sagt Lambrecht. Ein bisschen Wehmut sei allerdings auch dabei, gerade jetzt, wo sie als Ministerin so viel gestalten könne. Anderseits habe sie momentan so viel zu tun, dass für diese Wehmut keine Zeit bleibe.
Keine Zeit sei auch, um ihre berufliche Zukunft zu planen. Sie sei immer gut damit gefahren, das, was sie aktuell mache, so gut es nur geht zu machen, erklärt sie. „Über etwas Neues nachzudenken, ist dann im Anschluss geboten.“ Jetzt gehe es darum, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Dazu zählt Lambrecht auch einen engagierten Wahlkampf. Seit dem 16. Lebensjahr sei sie Mitglied der SPD, was zeige, dass sie immer ein politischer Mensch bleiben werde, das weiß sie sicher. „Und die SPD wird immer meine politische Heimat sein.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.