Ché Guevara Dome statt Iron Dome
Christopher Paesen und die beiden jungen Frauen Adi* und Fatme* ziehen ihre Koffer über einen staubigen Platz zu den Zelten. Hinter den Rollen ihrer Reisekoffer wird eine Staubfahne vom Wind fortgetragen. Eine Woche werden die drei JungsozialistInnen sich hier auf Malta an einem der schönsten Strände im Nordwesten der Mittelmeerinsel unter die Badegäste mischen. Gemeinsam mit rund 800 Jugendlichen werden sie auf dem Festival der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend (IUSY) über Politik, Internationalismus und eine bessere Zukunft diskutieren.
Adi und Fatme sind froh angekommen zu sein, hier zu sein – raus aus Israel und Palästina, wo sie leben. Kurz bevor sie in Tel Aviv ins Flugzeug stiegen gab es wieder Raketenalarm. Wie so oft in den letzten Wochen schrillten die Sirenen in Israel, suchten Menschen Schutz in Bunkern, und versuchte das Abwehrsystem „Iron Dome“ die Raketen aus Gaza abzufangen, um Schaden zu vermeiden.
Christopher, Adi und Fatme arbeiten gemeinsam im Willy-Brandt-Center Jerusalem. Hier kommen junge Israelis und PalästinenserInnen zusammen, um sich für eine andere, eine friedliche Zukunft in ihrer Heimat einzusetzen. Das WBC bietet einen sicheren Ort, um ungestört von äußeren Einflüssen diskutieren und trotz des Krieges miteinander kooperieren zu können. Paesen ist der deutsche Projektkoordinator der Jusos im WBC. Er versucht zwischen beiden Seiten zu moderieren, sie zusammenzubringen, gerade jetzt in Zeiten des Krieges, wo niemand sich so richtig Frieden vorstellen kann.
Noch vor wenigen Tagen trug Adi die Uniform der israelischen Armee. Sie leistete Reservedienst im Zivilschutzkommando in ihrer Heimatstadt Sderot, die nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt liegt. Sie ist froh, dass sie die Uniform ablegen konnte und jetzt auf Malta ist. Sie braucht eine Pause, sagt sie, Urlaub. Doch es werden nicht nur entspannte Tage. Die Konflikte bleiben. Auch wegen ihres Wehrdienstes.
Fatme sieht müde aus. Doch nicht nur der lange Flug hat ihr zugesetzt sondern vor allem die letzten Wochen in Palästina. In Jerusalem lebt die junge Palästinenserin unter jüdischen Israelis. Nach zahlreichen Ausschreitungen und Demonstrationen auf denen nationalistische Israelis PalästinenserInnen angegriffen haben, hat sie sich kaum noch vor die Tür getraut. Sie hatte Angst als Araberin erkannt und verfolgt zu werden. Auch zu Hause am Computer hat sie sich nicht mehr wohlgefühlt. Nachdem auf der Pinnwand ihres Facebookaccount nur noch Fotos toter Kinder, des Krieges und voller Gewalt waren, hat sich ihren Account deaktiviert. „Ich konnte das nicht mehr aushalten“, sagt Fatme.
Schwere Anreise, schweres Gepäck
Jetzt gehen die drei den Hauptweg über den Zeltplatz und suchen ihre Schlafplätze. Vorbei am Pool, in dem Jugendliche aus Frankreich über den Rand gelehnt beobachten, wie sich das Camp langsam füllt und vorbei am Ché Guevara Dome, einem Metallgerippe mit Wassersprengern, die bei den hohen Temperaturen für Abkühlung sorgen sollen. Hinter dem Dome stehen hunderte blauer Zelte in kleinen Camps zusammen. Sie sind benannt nach bekannten PolitikerInnen der ArbeiterInnenbewegung und des Internationalismus.
Am Donnerstag beginnt das Programm des Festivals. Den ganzen Tag über finden Workshops und Diskussionen statt, die sich mit Fragen zur Bildung, Ernährung, Gesundheit, Umwelt sowie Wirtschaft und Arbeit beschäftigen. Der erste Workshop im Nelson Mandela Zelt heißt „Just in Conflict – Struggling for Social Justice in Israel & Palestine“.
Hier sollten jetzt eigentlich ein israelischer und ein palästinensischer Jugendlicher auf dem Podium sitzen und über Gerechtigkeit diskutieren. Doch der palästinensische Platz bleibt leer. Der Großteil der Delegation konnte nicht wie geplant nach Malta fliegen. An der Grenze vom Westjordanland nach Jordanien war Schluss. Die israelischen Grenzkontrollen haben sie vorerst nicht durch gelassen. Morgen wollen Raed Deby, der internationale Sekretär der Fatah-Jugend, Majed Bamya, junger Diplomat im palästinensischen Außenministerium und ihre GenossInnen noch einmal probieren zum Flughafen nach Amman zu gelangen.
Der deutsche Projektkoordinator der Jusos Paesen sitzt deshalb alleine mit Rami Hod von der israelischen Arbeitsparteijugend auf dem Podium. Rund zweihundert ZuhöhrerInnen sind ins heiße Nelson Mandela Zelt gekommen, die meisten sind Jusos aus Deutschland. Auch die Stimmung ist aufgeheizt. Viele sind nicht damit einverstanden, dass nur ein Israeli auf dem Podium sitzt und seine Sicht auf die aktuellen Konflikte darlegt. Ein Genosse aus dem Libanon protestiert und meint, das könne nicht der Anspruch eines kritischen Verbandes sein. Die Stimmung beruhigt sich und Hod schildert seine Sicht auf den Konflikt: „Zwei Seiten kämpfen um das selbe Stück Land und beide Seiten haben Recht. Er spricht über die Sozialproteste in Israel, wachsende Ungleichheit und die neoliberale Politik der aktuellen Regierung. Trotz aller Schwierigkeiten bleibt der israelische Jugendliche am Ende optimistisch, was eine Lösung angeht: „Die Situation ist politisch und umkehrbar, also können wir die Situation auch wieder ändern.“
Viele Konfliktherde
Der Konflikt in Israel und Palästina ist ein wichtiges Thema auf dem IUSY-Festival. Nicht nur weil er gerade aktuell wieder eskaliert ist, sondern weil es neben dem Willy Brandt Center und der Partnerschaft zwischen Jusos, Fatah-Jugend, Meretz-Jugend und Arbeitsparteijugend auch noch weitere Freundschaften, Verbindungen und Kooperationen zwischen zahlreichen Ländern gibt. Doch auch andere Konflikte sind auf dem Festival präsent. Die Delegation aus der Westsahara verteilt in traditionellen Daara-Gewändern Informationen über die Besatzung ihres Landes. In Workshops wird über die Ukraine, Syrien und den Irak diskutiert. Ein kurdischer Abgeordneter, der für einen Workshop angereist ist, plädiert für einen kurdischen Staat. Eine kurdische Jugendliche widerspricht und meint, mehr Autonomie genüge.
Am Samstag kommt die Delegation der Fatah-Jugend doch noch an. Nach mehreren Tagen warten, durften sie doch noch ausreisen. Auch sie fordern ihre Sicht der Dinge darlegen zu können. Majed Bamja, der junge Diplomat aus dem palästinensischen Außenministerium, schildert die verheerende Lage in Gaza: Er spricht von den über 2000 Toten, berichtet von der zerstörten Infrastruktur und von der fehlenden Perspektive für seine Fatah-Partei. Die Bevölkerung feiere die Hamas als Siegerin, während Präsident Abbas für seine Strategie Verhandlungen mit der israelischen Regierung durchzuführen, keine Erfolge vorzuweisen habe.
Die Atmosphäre auf dem IUSY-Festival ist angespannt. Die Israelis und PalästinenserInnen gehen sich größtenteils aus dem Weg. Bis zuletzt ist nicht klar ob und wie der geplante gemeinsame Workshop „Willy Brandt Center Jerusalem: promoting peace in diffucult times“ stattfinden kann. Nach der hitzigen Diskussion am Vormittag fürchten viele, der Workshop würde eskalieren. Paesen will Nimrod, den IUSY-Vizepräsident der Meretz-Jugend ist, und Raed, den internationalen Sekretär der Fatah-Jugend, zum Versagen der internationales Gemeinschaft im Konflikt interviewen. Beide kennen sich gut. Sie sitzen gemeinsam im IUSY-Präsidium.
Die Verständigung bleibt schwierig
Auch wenn sie an einigen Stellen nicht miteinander übereinstimmen, hören sie sich dennoch geduldig zu. Doch vor Publikum geht es immer auch darum, dessen Sympathien zu gewinnen. Beiden gelingt dies mit provokativen Aussagen. Für PartnerInnen, die von Frieden reden, aber dann in der Armee Dienst leisten, hat der Sekretär der Fatah-Jugend etwa „überhaupt kein Verständnis“. Seine Stimme wird laut. Er kritisiert, dass viele linke Israelis Dienst an der Waffe leisten und dies in sozialen Netzwerken auch noch zur Schau stellten. Seine Kritik trifft die junge Reservistin Adi hart. Sie fühlt sich nicht verstanden. Sie habe keine Waffe in der Hand gehabt, sondern ZivilistInnen beschützt. Sie verlässt das Zelt.
Nach dem Workshop versammeln sich vor dem Zelt noch einige der TeilnehmerInnen. Es gibt noch Diskussionsbedarf. Fouad kommt aus Khan Yunis im Gazastreifen. Er redet laut und schnell auf den IUSY-Vizepräsident für die Meretz-Jugend ein. Fouad will angesichts der Zerstörung und hohen Opferzahlen nichts von angeblich präziser Kriegsführung hören. Argumente werden ausgetauscht, man unterbricht sich, richtig zuhören will keiner. Am Ende gehen beide im Streit auseinander.
Am nächsten Tag trifft sich das Komitee der Mittelmeeranrainer. Auch die Mitglieder aus Israel und Palästina sind dabei. Sie diskutieren über die Perspektiven des Nahen Ostens, wie kann es weiter gehen? Fuad aus dem Gazastreifen, der am Vortag noch unversöhnliche Positionen vertrat, meint nun: „Wir alle müssen diese Gewalt beenden. Frieden ist immer noch möglich und wir müssen eine Lösung dafür finden.“ Ein Sinneswandel in so kurzer Zeit? Vielleicht. Oder aber der Umstand dass Diskussionen vor Publikum anders ablaufen, als alleine. Am Ende einigen sich alle Komiteemitglieder auf eine Fortsetzung des Komitees und gemeinsamen Strategien gegen IS.
Nach einer gemeinsamen Woche voller Diskussionen, gemeinsamer Ausflüge und Partys ist das IUSY-Festival vorbei. Am Nachmittag ziehen die JungsozialistInnen ihre Koffer wieder über den staubigen Weg des Camps. Nicht immer war es einfach, aber dennoch wären alle gerne länger geblieben. Die Vorstellung dass es zurück ins Ungewisse geht fällt nicht leicht. Der Abschied auch nicht.
*Namen wurden von der Redaktion geändert.
ist Mitglied des Vorstandes des Fördervereins des Willy Brandt Center Jerusalem