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Börnsener Rundschau: „Eine Zeitung, die jeder haben will“

Zeitungen von SPD-Ortsvereinen gibt es viele, die Börnsener Rundschau nur ein Mal. Nun ist die 200. Ausgabe der Rundschau erschienen. Grund genug für einen Redaktionsbesuch.
von Robert Kiesel · 23. März 2016
Börnsener Rundschau
Börnsener Rundschau

Die Süddeutsche Zeitung leidet darunter, die FAZ, die BILD sowieso: sinkende Auflagen. Die Jüngeren lesen lieber im Internet, die Alten nehmen ihr Abonnement mit ins Grab. Doch es gibt sie noch, die Ausnahmen, die dem Trend trotzen wie einst die Gallier dem römischen Imperium.

Börnsener Rundschau: stabile Auflage über 46 Jahre

In Börnsen, einer 4500-Seelen-Gemeinde vor den Toren Hamburgs, haben sie solch eine Zeitung. Mit der Börnsener Rundschau gibt der dortige SPD-Ortsverein vier Mal im Jahr ein Heft heraus, das dem „gallischen“ Börnsen, wie es seine Einwohner liebevoll nennen, alle Ehre macht. 2200 Exemplare der 200. Ausgabe werden aktuell an die Haushalte der Gemeinde – für jeden gibt es ein Heft – verteilt. Zum Vergleich: Im Jahr 1970, der Geburtsstunde der Börnsener Rundschau, lag die Auflage bei 2000 Stück.

Ein Grund zur Freude, nicht nur für Lothar Zwalinna, der von Beginn an Teil der Rundschau-Redaktion ist. All die „Storys“, die sich um die Rundschau ranken, hat er selbst miterlebt. Wie die von der Druckmaschine, die Anfang der 70er Jahre gekauft wurde, finanziert durch Anleihen bei den damals knapp 90 Mitgliedern des SPD-Ortsvereins. Was niemand auch nur ahnte: Die gebrauchte Maschine war von ihren Vorbesitzern deutlich gewinnbringender eingesetzt worden als durch die Börnsener. Plötzlich stand die Kripo in der Tür, klärte die Redaktion darüber auf, dass statt Zeitungsseiten zuvor Blüten durch den Lauf der Maschine gerattert waren.

Geheizt wurde mit 50-Pfennig

Oder die Story von der „Pfennig-Heizung“: Weil Redaktionsräume fehlten, stand die erste Druckmaschine in einem unbeheizten Kellerraum der Börnsener Waldschule. Um die Druckerschwärze vor dem Einfrieren zu bewahren, steckten Lothar Zwalinna und andere fleißige Helfer 50 Pfennig in die Heizung, auf dass die Schwärze flüssig blieb. „Alle ein bis zwei Stunden musste da jemand hin“, erinnert sich Antje Roloff, Rundschau-Redakteurin der fast ersten Stunde.

Apropos Antje Roloff: Sie ist verantwortlich dafür, dass der unter Rundschau-Lesern bekannteste aller Börnsener bis heute in völliger Anonymität lebt. Die Rede ist von Börn Börnssen alias „Börni“. Die seit 1974 mit jeder Ausgabe neu aus der Feder von Antje Roloff entstehende Figur ist auf Seite 2 der Rundschau zu hause. „‚Börni’ ist unser inoffizielles Sprachrohr. Er darf Dinge sagen, die wir so nicht schreiben können“, erklärt Roloff.

„Börni“ und die Bauern

Und in der Tat, wenn es sein muss, nimmt „Börni“ kein Blatt vor den Mund. Ob beim Protest gegen den Bau einer geplanten Transrapid-Strecke oder beim Aufbegehren der Börnsener gegen die ursprünglich vorgesehene Streckenführung der „Marschen-Autobahn“ (A25), stets stellte sich „Börni“ an die Spitze der Protestbewegung aus dem „gallischen Börnsen“.

Einmal aber ging das schief. Mit der Parole „Wähl 3x SPD, dann werden die Bauern hier nicht reich“ hatte es „Börni“ aus Sicht des zur Wiederwahl stehenden Bürgermeisters Horst Marquardt dann doch übertrieben. Zum Leidwesen der Redaktion war die „Kampf“-Parole bereits gedruckt, die Rundschau bereit zur Auslieferung. Es half nichts: „Die Hefte mussten auseinandergeklemmt, die Zeichnung geändert, die Seiten entfernt und neu gedruckt werden“, erinnert sich Antje Roloff. Im Akkord arbeiteten sie und die anderen. Lothar Zwalinna besorgte Grillhähnchen für alle, die Revolte blieb aus.

„Sie SPD ist die Gemeinde“

„Storys“ wie diese ließen sich noch viele erzählen. Fest steht: mit der 200. Ausgabe ist das Ende der Druckfahne noch lang nicht erreicht, Zeitungssterben hin oder her. „Gerade für die Leute ab 50 Jahren ist die Rundschau ganz wichtig, die reißen uns die Zeitung aus den Händen“, erklärt Rainer Schmidt. Er hält aktuell die Fäden der Redaktion in der Hand, ist sich des schweren Erbes bewusst. „Die Rundschau wird von den meisten hier als Gemeindezeitung angesehen“, erklärt er. Lothar Zwalinna fällt ihm ins Wort: „Die SPD ist die Gemeinde.“

Schmidt, Zwalinna, Antje Roloff und auch Chef-Gestalter Uwe Klockmann sind sich einig: „Die Börnsener Rundschau ist die Zeitung, die jeder hier haben will.“ Die Auflageentwicklung gibt ihnen Recht.  

Sie oder besser Ihr Ortsverein geben ebenfalls eine Zeitung heraus, die im vorwärts vorgestellt werden sollte? Schreiben Sie uns, wir kommen gern! Mail an: artikel@vorwaerts.de

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Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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