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Bijan Kaffenberger: Viel mehr als der Politiker mit Tourette

Ab Januar sitzt Bijan Kaffenberger mit 29 Jahren als jüngster SPD-Abgeordneter im Hessischen Landtag, direkt gewählt für den Wahlkreis Darmstadt II. Kaffenberger hat die Tourette-Krankheit. Er spricht sehr offen darüber, möchte als Politiker jedoch nicht darauf reduziert werden.
von Jonas Jordan · 29. November 2018
Bijan Kaffenberger
Bijan Kaffenberger

Er hat massiv gewonnen an dem Abend, als die SPD kräftig verloren hat. Deswegen kam in Darmstadt auch Freude auf – trotz der Wahlniederlage der hessischen SPD bei der Landtagswahl am 28. Oktober. Der Grund: Bijan Kaffenberger. Der 29-Jährige gewann seinen Wahlkreis Darmstadt II mit 28,3 Prozent und düpierte damit die frühere CDU-Kultusministerin Karin Wolff.

Seit dem sechsten Lebensjahr Tourette

In den Tagen danach berichteten zahlreiche überregionale Medien über Kaffenbergers Erfolg, über den „besonderen Kandidaten“. Der 29-Jährige arbeitet im thüringischen Wirtschaftsministerium, ist seit elf Jahren in der SPD und hat seit seinem sechsten Lebensjahr Tourette. Seitdem gehört es zu seinem Alltag, dass seine Arme und sein Kopf unkontrollierbar zucken. „Wenn ich das Ding gewinne, habe ich mir schon gedacht, dass sich die Medien draufstürzen, weil ich eine interessante Person bin“, sagt der frisch gewählte Landtagsabgeordnete.

Auch zwei Wochen nach der Wahl ist keine Ruhe eingekehrt: ein Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, die Suche nach der künftigen Büroleitung und dazwischen arbeitet er auch noch als Referent im thüringischen Wirtschaftsministerium.  Während des Wahlkampfs nahm Kaffenberger unbezahlten Urlaub, wohnte wieder bei seiner Oma und war von morgens bis abends unterwegs. Er setzte auf die sozialen Medien, war aber auch vor Ort präsent. „Die Leute haben es honoriert, dass ich mir viel Zeit genommen habe“, sagt Kaffenberger.

Die Digitalisierung im Blick

Neben den Kernthemen der hessischen SPD – Bildung, Mobilität, Wohnen – setzte Kaffenberger auf die Digitalisierung. Ein Bereich, den er auch im Wirtschaftsministerium betreut. Diese Erfahrung war ihm wichtig. Denn er möchte mehr sein als der Politiker mit Tourette. Wichtiger ist es ihm, als Ansprechpartner für die Bürger präsent zu sein. „Ich glaube, dass die jungen Leute eine andere Ansprache brauchen und jemanden, der sich den Zukunftsthemen annimmt.“ Das will Kaffenberger sein. Seinen Wahlkreis will er zur Modellregion in Sachen 5G machen und dort für ein schnelles mobiles Netz sorgen.

Mit seiner Krankheit geht Kaffenberger offensiv um. Im Youtube-Kanal „Touretikette“ beantwortete er bis 2017 Fragen seiner Abonennten auf humorvolle Art. Die Videos sahen sich teilweise mehr als 75.000 Menschen an. „Dadurch kannten mich junge Leute schon vorher aus einer anderen Rolle“, sagt Kaffenberger. Ein Vorteil im Wahlkampf. Die Kunst liege aus seiner Sicht jedoch darin, die Rolle zu transformieren: „Nur weil mich jemand lustig und sympathisch findet, heißt das nicht, dass er mich auch wählt. Man muss das Ganze auch mit Ideen, Inhalten und einer anderen Rolle untersetzen. Ich glaube, das habe ich ganz gut gemcht.“

Hassknecht für Kaffenberger

Nicht nur für junge Leute war Kaffenberger interessant. Auch Hans-Joachim Heist, der in der „heute-show“ regelmäßig als „Gernot Hassknecht“ auftritt, unterstützte den 29-Jährigen im Wahlkampf. Heist ist SPD-Mitglied und war früher Stadtverordneter im südhessischen Pfungstadt. „Junge Leute haben auch noch Visionen. Das halte ich für sehr wichtig“, lobt Heist in einem auf Facebook verbreiteten Video.

„Junge Leute wollen vor allem anders angesprochen werden. Die inhaltlichen Unterschiede sind gar nicht so gravierend“, glaubt Kaffenberger. Um auch bei der jüngeren Generation punkten zu können, sei daher ein anderer Politikstil notwendig: „Es ist die Kunst, die traditionelle Klientel zu bedienen, aber trotzdem offen und modern zu sein. Daran kann eine Volkspartei wachsen oder scheitern.“

Am 18. Januar 2019 konstituiert sich der Hessische Landtag. Bijan Kaffenberger ist dann der jüngste SPD-Abgeordnete. Im Parlament könnte er sich vorstellen, im Wirtschaftsausschuss mitzuarbeiten. Als dringendstes Problem sieht er die Frage des bezahlbaren Wohnraums. Nach Feierabend tauscht Kaffenberger die Farben. Dann gilt für ihn blau-weiß statt rot, wenn er beim Fußball-Zweitligisten Darmstadt 98 in der Kurve steht. 

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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