Bewerber auf Tour: #unsereSPD zwischen Fußballfans und Busfahrern
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„Wir beginnen heute die zweite Halbzeit“, sagte Leonard von Galen zum Start des 13. Tourtermins in Hamburg mit Blick auf die noch folgenden Konferenzen bis Mitte Oktober. Die Fragen an diesem Abend im Kulturzentrum Kampnagel waren divers, die Antworten dafür häufig prägnant und teils originell.
Lokalmatador Olaf Scholz, der sieben Jahre Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt war, begrüßte die anwesenden Genossinnen und Genossen direkt mal mit: „Moin, Moin! Es ist schön, hier zu sein.“ Scholz argumentierte, dass die Hamburger SPD vor zehn Jahren genauso am Boden gelegen habe wie die Bundespartei aktuell. „In dieser Partei steckt so viel Kraft und Potenzial“, sagte der Bundesfinanzminister und erklärte noch einmal, wieso er entgegen anders lautender Ankündigungen doch für den Parteivorsitz kandidiert: „Ich konnte nicht mehr ertragen, was über die SPD geschrieben wurde. Ich möchte einbringen, was ich an Ansehen in der Bevölkerung habe und die SPD wieder zu mehr Ansehen führen.“ Auf die Frage, ob er auch bei der nächsten Wahl Kanzlerkandidat werden wolle, antwortete Scholz: „Wir wählen gerade ein Vorsitzendenteam. Alles andere muss jeder mitbedenken.“
Die Brandenburgerin Klara Geywitz, die gemeinsam mit Scholz für den SPD-Vorsitz kandidiert, gab an, die SPD weiblicher machen zu wollen: „Es kann nicht sein, dass die Politik in der Mehrheit immer noch von Männern gemacht wird.“ Geywitz sagte, sie wolle die SPD wieder so stark machen, dass sie den Bundeskanzler oder die Kanzlerin stellen könne. „Dafür müssen wir wieder die Trendscouts von morgen sein“, sagte sie.
Mit Dieter Hecking als Kronzeuge
Bei Christina Kampmann, mit 39 Jahren die jüngste Kandidierende, kam zum wiederholten Male ihre ostwestfälische Fußball-Leidenschaft zum Vorschein. Sie verwies auf die Fanfreundschaft zwischen Arminia Bielefeld und dem Hamburger SV und zitierte in diesem Zusammenhang den HSV-Trainer Dieter Hecking. Dieser habe gesagt, das Problem des HSV sei, dass sich in der Vergangenheit viele Spieler größer als der Verein gemacht hätten. „Genauso ist es in der SPD. Wir müssen fairer, freundlicher und respektvoller miteinander umgehen“, forderte Kampmann.
Ihr Teampartner Michael Roth forderte die „Vereinigten Staaten von Europa“ als Antwort auf Donald Trump. Auf die Publikumsfrage, wie sein Weg dorthin aussehe, antwortete Roth, dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und Mut machen müsse. „Wir müssen zeigen, dass Teamgeist in Europa wichtiger ist als nationale Alleingänge“, so der Nordhesse.
Für Klimaschutz, gegen die GroKo
Deutlich gegen die Fortsetzung der großen Koalition positionierten sich Nina Scheer und Karl Lauterbach. Scheer forderte, dass die SPD wieder die „stärkste sozial-ökologische Kraft in Deutschland“ werden müsse. Auch um die Energiewende weiter voranzutreiben. „Man sagt weltweit Energiewende, unübersetzt“, sagte die Umweltexpertin aus Schleswig-Holstein.
Karl Lauterbach machte deutlich: „Gegen uns protestieren unsere eigenen Kinder auf der Straße. Wenn wir unsere Politik nicht ändern, verlieren wir eine gesamte Generation, die uns nie wieder wählen wird.“ Deswegen sei der Ausstieg aus der großen Koalition notwendig. „Ich will lieber mit der Linkspartei für die richtigen Ideen streiten als mit der Union für die falschen“, sagte Lauterbach.
Brückenbauer für den Zusammenhalt
„Wir sind ein klassisches Ost-West-Team“, sagte die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping zum Zusammenspiel mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius. Sie wolle, „dass die SPD in ganz Deutschland erfolgreich ist“, sagte Köpping und verwies auf die strukturellen Probleme in Ostdeutschland: „Wir haben den Strukturwandel massiv erlebt. Wir brauchen eure Solidarität.“
Pistorius ergänzte den kommunalpolitischen Fokus der beiden: „Die Demokratie stirbt von unten. Wenn unsere kommunalen Vertreter aufhören, fehlt die Basis für die Demokratie.“ Deshalb gelte es, diese Ebene zu stärken. Zudem plädierte der frühere Osnabrücker Oberbürgermeister für die SPD als Regierungspartei: „Wir können auch Politik gestalten in der GroKo. Ich will das Leben der Menschen besser machen und nicht zusehen, wie andere es schlechter machen.“ Die SPD solle daher einen „ehrgeizigen Realismus pflegen statt Wolkenkuckucksheime zu bauen“.
Neue Busfahrer für Instagram
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken kritisierten den Kurs der SPD in den vergangenen Jahren. „Der große Linienbus SPD mit der Aufschrift ‚soziale Gerechtigkeit‘ hat kaum noch Fahrgäste“, sagte Walter-Borjans. Denn dieser Bus sei von Lobbyisten und Beratern in die „neoliberale Pampa“ gelenkt worden. „Deswegen brauchen wir neue Fahrer für den Bus“, forderte der 67-Jährige.
Seine Partnerin Saskia Esken musste sich in der Fragerunde mit der kuriosen Frage auseinandersetzen, warum sie als Digitalexpertin seit zwei Jahren nichts mehr bei Instagram veröffentlicht habe. „Ich habe einen sehr aktiven Twitter-Account. Insta ist mir zu viel Glanz und Bildbearbeitung, aber als Parteivorsitzende werde ich es wohl machen müssen.“ Esken sagte, die SPD sei der „natürliche Gegner der der Ausbeuter, Egoisten und Rassisten“.
Mit Kompass für Glaubwürdigkeit
„Ich kenne Hilde seit 20 Jahren und schätze sie, weil sie einen klaren politischen Kompass hat“, sagte Dierk Hirschel, der gemeinsam mit Hilde Mattheis kandidiert. Ihre Kandidatur seit notwendig, „weil wir lange Jahre einem neoliberalen Mainstream gefolgt sind“, erklärte Mattheis. Hirschel ergänzte: „Wir haben in den 2000er-Jahren Politik gegen Gewerkschaften gemacht. Das darf nie wieder passieren.“ Er forderte daher, Leiharbeit und Minijobs zurückzudrängen sowie die Mitbestimmung auszubauen: „Die Demokratie darf nicht am Werkstor enden.“
Das gelte auch für die inneuropäische Solidarität. „Als den Griechen das Wasser bis zum Hals stand, hat die SPD geschwiegen und die europäische Sozialdemokratie versagt.“ Deswegen brauche es „vernünftige Mindestlöhne“ in ganz Europa. „Sonst sind das alles Sonntagsreden“, sagte Hirschel.
Einzelkämpfer im Schnellfeuermodus
Ralf Stegner schaffte es auch ohne seine Partnerin Gesine Schwan, die an diesem Abend aus familiären Gründen, auf sich aufmerksam zu machen. Im Schnellfeuermodus fabrizierte der stellvertretende Parteivorsitzende pointierte Statements, als er beispielsweise davon sprach, dass die SPD „rechten Vagabunden“ die Stirn bieten müsse. Auch positionierte er sich deutlich dagegen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Stattdessen müsse Deutschland die Friedensbewegung anführen. „Jede Stunde, die verhandelt wird, ist besser als jeder Schuss, der fällt“, sagte Stegner.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo