Parteileben

Berlin und die Toskana: Sozialdemokraten gemeinsam gegen rechts

Die Berliner der Abteilung Helmholtzplatz haben in der Toskana der Toten eines Massakers der Wehrmacht gedacht – und sich mit italienischen Genosseninnen und Genossen gegen rechts zusammengetan.
von Kai Doering · 3. Januar 2020
Gemeinsames Gedenken: Federico Quadrelli und Clara West (1. Reihe v.r.) haben die Reise der Abteilung in die Toskana organisiert.
Gemeinsames Gedenken: Federico Quadrelli und Clara West (1. Reihe v.r.) haben die Reise der Abteilung in die Toskana organisiert.

Sie kamen am frühen Morgen, und als sie wieder gingen, waren 560 Menschen tot. Alte, Frauen, Kinder – das jüngste keine drei Wochen alt – wurden auf bestialische Weise ­ermordet, als am 12. August 1944 Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivision in Sant‘Anna di Stazzema einfielen und das toskanische Dorf dem Erdboden gleichmachten. Das Massaker dauerte etwa drei Stunden.

„Die deutschen Soldaten waren auf der Suche nach Partisanen“, erzählt Clara West. „Doch die Männer des Dorfes hatten sich im Wald versteckt, weil sie glaubten, ihren Familien würde so nichts passieren.“ Ende September hat die 38-Jährige Sant‘Anna di Stazzema besucht – und mit ihr 14 weitere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus dem Prenzlauer Berg in Berlin. West ist Mitglied des Abgeordnetenhauses und hatte den Besuch mit ihrer Abteilung, wie die Ortsvereine in Berlin heißen, organisiert.

„In Italien ist die Gedenkkultur viel zentraler und politisch aufgeladener als in Deutschland“, hat Clara West bei dem Besuch in Sant‘Anna di Stazzema festgestellt. „Vor allem die Rolle der italienischen Faschisten während des Zweiten Weltkriegs ist noch immer hoch umstritten“, erzählt Federico Quadrelli. Er ist Vorsitzender des Partito Democratico (PD) in Berlin und Brandenburg und hatte die Idee zu der Reise. „Im vergangenen Jahr war eine Gruppe junger PD-Mitglieder in Berlin zu Gast und hat dabei auch Clara getroffen“, erinnert sich Quadrelli. Da lag es nahe, für einen Gegenbesuch die Abgeordnete anzusprechen, die schließlich ihre Abteilung Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg überzeugte, für ein ­Wochenende in die Toskana zu reisen.

Emotional harte Reise

„Von einer Toskana-Fraktion kann aber keine Rede sein“, betont Henning Witzel, um von vornherein jegliches Vorurteil über rotweinreiche Abende unterm Sternenhimmel zu entkräften. „Wir hatten ein dichtgedrängtes Programm und auch emotional war das kein Wochenendausflug“, berichtet Witzel. So trafen die Berliner Genossinnen und Genossen auch zwei Überlebende des Massakers. Eine von ihnen hat vor 75 Jahren innerhalb von Stunden ihre gesamte Familie verloren. „Es war wahnsinnig hart, ihr zuzuhören“, erinnert sich Alfonso Pantisano, dessen Eltern einst als Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland kamen.

Wie eng die Verbindungen des Ortsteils nach Italien sind, weiß Markus ­Roick. Der Abteilungskassierer ist Experte in Sachen Kiezgeschichte. „Der Kiez hatte die größte italienische Kolonie in Berlin. Während des Kaiserreichs lebten 25 Prozent der Italiener in Berlin am Helmholtzplatz“, erzählt er. Auch das erste italienische Restaurant der Stadt sei dort eröffnet worden.

Mit „Bella Ciao“ gegen Nationalismus

Anknüpfungspunkte gibt es also genug, wenn im kommenden Jahr Mitglieder des PD aus der Toskana in die deutsche Hauptstadt kommen. Im Mittelpunkt sollen aber auch dann das gemeinsame Erinnern und der Kampf gegen rechts stehen. „Der Prenzlauer Berg gilt ja als weltoffen und liberal, aber auch bei uns kommt es immer wieder zu rassistischen und antisemitischen Übergriffen“, erzählt Clara West. In einigen Stimmbezirken ihres Wahlkreises habe die AfD bei der jüngsten Wahl mehr als 25 Prozent der Stimmen erhalten. Und während der Nazi-Zeit habe es einige Straßen weiter ein Konzentrationslager gegeben, in dem die SA Juden und politische Gegner folterte.

„In Zeiten wie diesen ist es sehr wichtig, dass wir Sozialdemokraten gemeinsam Stärke zeigen“, sagt Federico Quadrelli, der nicht nur Mitglied des PD, sondern auch der SPD ist und im Vorstand der SPD Moabit Nord mitarbeitet. Er will gerade jungen Menschen deutlich machen, wohin es führen kann, wenn „nationalistische und neofaschistische Kräfte“ an die Macht kommen. Das Massaker von Sant‘Anna di Stazzema sei hierfür eine eindringliche Warnung. Immerhin: Nach dem Ausscheiden der rechten „Lega“ aus der Regierung formiert sich in Italien der Widerstand gegen die rechte Partei.

Im November gingen in mehreren Städten Zehntausende gegen die Lega auf die Straße. In Mailand sangen sie in strömendem Regen das Partisanenlied „Bella Ciao“. Eine gute Idee auch für Berlin finden sie in der Abteilung Helmholtzplatz.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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