„Mein Bauch fragt: Kann das gut gehen? Mein Herz fragt: Verraten wir unsere Ideale? Und mein Kopf sagt: Bei 25 Prozent Wahlergebnis habt ihr das nicht schlecht gemacht,“ sagte ein Genosse aus Nürnberg auf der dortigen SPD-Regionalkonferenz. Ein Stimmungsbild, das auf viele SPD-Mitglieder zutrifft, wie unsere Berichte von den Regionalkonferenzen in Bremen, Hannover und Nürnberg zeigen.
Sigmar Gabriel in Bremen: Fragen in der Kesselhalle
Nachdem der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in dieser Woche in Hofheim am Taunus für den Koalitionsvertrag mit der CDU geworben hat, kam er am Freitag nach Bremen. Zusammen mit dem Vorsitzenden der kleinsten aller SPD-Landesorganitionen mit ihren rund 4600 Mitgliedern, Andreas Bovenschulte, stellte sich Gabriel den Fragen der mehr als 400 Anwesenden in der Kesselhalle des Kulturzentrums Schlachthof.
Andreas Bovenschulte war an diesem Abend gut gelaunt. Der Bremer SPD-Landesvorsitzende bekannte: „Meine Lieblingslektüre sind die Kommentare der Wirtschaftspresse und die Pressemitteilungen der Unternehmensverbände.“ Sie warnten vor dem, was im Koalitionsvertrag mit der CDU steht – insbesondere vor dem Mindestlohn.
Darauf, schwörte Bovenschulte seine Bremer Genossen ein, könne die SPD stolz sein. Denn das mehr als 180 Seiten mit der Union ausgehandelte Papier trage „viele SPD-Elemente“.
„Es geht um die Zukunft der Menschen in Deutschland“, sagte SPD-Chef Gabriel über das Verhandlungsergebnis mit der CDU. Mindestlohn von 8,50 Euro, eine Mietpreisbremse, mehr Geld für Städte und Gemeinden sowie für Kindertagesstätten und Hochschulen seien Punkte, die unverkennbar sozialdemokratische Handschrift trügen. Natürlich habe sich nicht alles einbringen lassen, wie die Vermögenssteuer und die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare.
Das alles bedachten die Genossen mit viel Applaus. Die 32 Wortmeldungen in drei Stunden Regionalkonferenz hatten viel Lokalkolorit. Ein Mitglied aus der Logistikbranche merkte etwa an, wie wichtig die Mindestlohn-Regelung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Bereich seien.
Natürlich gab es wie überall in der Partei die Angst, in einer Großen Koalition verliere die SPD ihr Profil. Gabriel versuchte, den Anwesenden diese Angst zu nehmen. Wirkliche Ablehnung an diesem Abend? Fast Fehlanzeige. Ganze zwei Beiträge wandten sich dagegen.
Frank-Walter Steinmeier und Stephan Weil in Hannover: So viel Einigkeit war nie
Eine Eintracht, die am Sonntag auch auf der Regionalkonferenz in Niedersachsen herrschte: Für Genossen ist das Dormero-Hotel dort eine feste Adresse. Die Erstliga-Mannschaft von Hannover 96, in der Landeshauptstadt liebevoll „Die Roten“ genannt, nächtigen hier vor Heimspielen und sind dann in der Regel erfolgreich. Auch die SPD nutzt das Hotel gerne, wenn wichtige Entscheidungen anstehen. So geschehen am Sonntag mit der Regionalkonferenz zur Diskussion des Koalitionsvertrags zwischen SPD und CDU/CSU. Der Andrang war so gewaltig, dass der Saal vergrößert werden musste und Frank-Walter Steinmeier und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil bei seinem „Heimspiel“ erst mit einer halben Stunde Verspätung für den Koalitionsvertrag werben konnten.
Schon nach der Eröffnung durch den Unterbezirksvorsitzenden Matthias Miersch hätte die Konferenz eigentlich beendet werden können, denn die Stimmung im Saal quoll über vor Einmütigkeit. „Reicht das, was drinsteht?“, fragte Stephan Weil rhetorisch, um danach mit seinen Antworten das Publikum anzuheizen. Das reagierte mit großem Beifall.
Frank-Walter Steinmeier konnte noch ein Quäntchen Seelenmassage an die Anwesenden zurückgeben. „Ihr habt am 22. September gegen den Trend entschieden, dafür möchte ich euch danken.“ Damit hatte er das Publikum für seine Erläuterung des Koalitionsvertrages auf seiner Seite. Auch Steinmeier betonte die „sozialdemokratischen Kernforderungen“, ohne die es nicht zum Vertrag hätte kommen können. „Wir haben die Verhandlungen nie als Sackgasse in die Koalitionsgefangenschaft verstanden“, so Steinmeier, „aber wir haben gut verhandelt und nun können die großen Aufgaben der kommenden Jahre sozialdemokratisch angegangen werden.“
150 Jahre Sozialdemokratie verbieten nach Steinmeiers Überzeugung keine Koalitionen, aber nach den Erfahrungen der Partei in all diesen Jahren verbiete sich „Hasenfüßigkeit". Das kam an im Publikum und Steinmeier hatte Mühe, den Beifall zu beenden. „So viel Einigkeit war nie“, wunderte sich der ehemalige SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner nach gut zwei Stunden beim Herausgehen.
Sigmar Gabriel und Florian Pronold in Bayern: „Sigmar, du hast einen guten Job gemacht“
Die Parteibasis kann mit dem Koalitionsvertrag leben. Dieses Signal ging am Sonntag auch von der ersten Regionalkonferenz in Bayern aus: In Nürnberg gab es trotz deutlicher Kritik letztlich viel Applaus für SPD-Chef Gabriel und den bayerischen SPD-Vorsitzenden Pronold.
Im Saal des Karl-Bröger-Zentrums drängten sich am Sonntag über 400 SPD-Mitglieder, um mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem bayerischen SPD-Landeschef Florian Pronold über den Koalitionsvertrag zu diskutieren. Die erste Regionalkonferenz in Bayern war mit Spannung erwartet worden, denn kurz zuvor hatten die bayerischen Jusos noch einmal betont, dass sie gegen eine Große Koalition seien. Doch die Stimmung in Nürnberg war eine andere.
Das lag wohl auch daran, dass Gabriel mit seiner Rede den Nerv der Sozialdemokraten traf. Die SPD habe aus den Erfahrungen der letzten Großen Koalition gelernt, als die Partei durch Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 tief gespalten worden sei. Nun würde einiges „rückabgewickelt“. Als Beispiel nannte Gabriel die Rente mit 63 Jahren. Auch den erreichten Mindestlohn von 8,50 Euro führte er an und die Eindämmung von Leih- und Zeitarbeit.
Immer wieder warb Gabriel damit, dass die SPD mit diesem Koalitionsvertrag endlich wieder etwas bewegen könne. „Wir müssen etwas für die tun, für die in Deutschland sonst niemand etwas macht“, betonte er und: „Ein Herz für andere Leute zu haben, das macht den Sozialdemokraten aus!“
Solche Aussagen sprachen den Genossen offenbar aus der Seele. In der Diskussion wurde denn auch immer wieder ausdrücklich die Arbeit der Parteiführung gelobt. „Sigmar, du hast einen guten Job gemacht“, sagte etwa der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler. Jürgen Göppner von Verdi lobte: „Mein Bauch fragt: Kann das gut gehen? Mein Herz fragt: Verraten wir unsere Ideale? Und mein Kopf sagt: Bei 25 Prozent Wahlergebnis habt ihr das nicht schlecht gemacht.“ Damit brachte er die Meinung vieler Genossen auf den Punkt.
Auch wenn der Grundtenor der Diskussion deutlich pro Koalitionsvertrag war, gab es genügend Kritik. So wurde allgemein „mehr SPD“ vermisst und kritisiert, dass so viele vage Vereinbarungen getroffen worden seien. Die mangelnde Steuergerechtigkeit und die Energiewende waren Diskussionsthemen.
Am deutlichsten kritisierte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer den Koalitionsvertrag. Die Gesundheitspolitik sei katastrophal, die Altersversorgung sei nicht armutssicher und mit der Festschreibung des Arbeitgeberanteils bei den Krankenkassenbeiträgen auf 7,3 Prozent gebe die SPD ein Grundelement der Sozialversicherung auf. Viele Unterstützer fand er an diesem Abend nicht für diese Einschätzung.