Mit ihrer „Sigmar Gabriel im Gespräch“ Tour hat die SPD ein Konzept entwickelt, das ankommt: Kein langatmiger Frontalunterricht, kein Monolog von der Bühne herab, sondern unmittelbarer, munterer Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Am Sonnabend war Gabriel bei strahlendem Sonnenschein in Lübeck, der Geburtsstadt Willy Brandts.
Bevor Sigmar Gabriel eintraf, stellten sich die Bundestagskandidatinnen Gabriele Hiller-Ohm für Lübeck und Nina Scheer für den angrenzenden Wahlkreis Herzogtum Lauenburg – Stormarn-Süd unter der Moderation von Gwendolin Jungblut den gut 600 Zuhörern vor.
Dann betrat Sigmar Gabriel die Bühne, begrüßt vom Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen SPD, Ralf Stegner. Gabriel gewann schon gleich zu Beginn die Herzen der Lübecker, als er eine erstklassige, direkte Beziehung seit seiner Kindheit zu der Hansestadt an der Trave nachweisen konnte: „Ich komme immer wieder gern nach Lübeck, nicht nur, weil das die Geburtsstadt Willy Brandts ist.“
Und erzählte von seinem Onkel, der bei den Lübecker Dräger Werken arbeitete und in Stockelsdorf, einem kleinen Ort bei Lübeck, einen Schrebergarten hatte. Dort gab es Erdbeeren. „Wir waren arm wie die Kirchenmäuse, Erdbeeren hatten wir sonst nicht, also wurden wir zur Erdbeerzeit immer zum Onkel und seinem Schrebergarten geschickt.“ Ein anderer Verwandter arbeitete bei Niederegger, der berühmten Lübecker Marzipanfabrik. „Das sieht man mir leider noch an“, witzelte Gabriel unter dem Gelächter der Zuschauer.
Rente mit 63
Doch nach den Döntjes und ein paar Auftaktfragen der Moderatorin ging es dann gleich ganz handfest über zu Fragen aus dem Publikum, und da wurde es dann richtig lebhaft quer durch die Politik: Syrien, Ausbildung, Flüchtlinge, Integration, Jugendkriminalität – Gabriel ging ernsthaft und aufrichtig auf die Fragen ein – und räumte auch mal ein: „Davon verstehe ich zu wenig“ – um dann lächelnd anzufügen: „Misstrauen sie jedem Politiker, der sagt, er wisse alles.“ Hauptthemen waren aber die Steuerpolitik, die Finanzierung der Pflege und vor allem die Rentenpolitik.
Hier ließ Gabriel keinen Zweifel: „Wir brauchen eine Regel, dass jemand, der 45 Versicherungsjahre einschließlich Ausbildungszeiten, Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Kindererziehung hat, mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen kann.“ Das sei auch zu finanzieren, wenn auf die von der schwarz-gelben Regierung geplante Senkung des Rentenversicherungsbeitrags verzichtet werde. "Du bist ein coole Sau", soll Gabriel nach dem Fernsehduell mit Merkel zu Steinbrück gesagt haben. Nach Auftritten wie in Lübeck muss man sagen: Auch ganz schön cool, Sigmar!
ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.