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Auf Tour: Die historische Mission der Jusos bei der Bundestagswahl

Die Jusos sind auf Bus-Tour durch Deutschland – 13 Tage, 29 Orte, 32 Kandidierende. Die Mission ist historisch: Denn so viele Unter-35-Jährige wie nie zuvor könnten bei der Bundestagswahl für die SPD in den Bundestag einziehen.
von Jonas Jordan · 8. September 2021
Nur eine kurze Atempause vor dem Juso-Bus: Im Wahlkampf bleibt für Jessica Rosenthal kaum Zeit für den Liegestuhl.
Nur eine kurze Atempause vor dem Juso-Bus: Im Wahlkampf bleibt für Jessica Rosenthal kaum Zeit für den Liegestuhl.

Es ist kurz nach sieben, ein sonniger Tag steht an. „So, ihr Lieben, jeder Schüler, der hier ohne Flyer durchgeht, ist eine verlorene Stimme“, ruft Jessica Rosenthal, die an diesem Mittwochmorgen vor dem Friedrich-List-Berufskolleg im Bonner Stadtteil Bad Godesberg steht. Hier in Bonn begann Rosenthal, sich bei den Jusos zu engagieren, deren Bundesvorsitzende sie seit Januar ist. Hier in Bonn will sie bei der Bundestagswahl für die SPD das Direktmandat verteidigen und erstmals ins Parlament einziehen. „Wenn wir das verteidigen könnten, wäre es schon ziemlich geil“, sagt sie.

„Zeit, dass junge Menschen eine Stimme bekommen“

Aktuell läuft im Bundestagswahlkreis 96 alles auf ein Duell zwischen Rosenthal und ihrem CDU-Kontrahenten Christoph Jansen, dem Bezirksbürgermeister von Bad Godesberg hinaus. In dessen angestammtem Revier ist die Bonner SPD-Vorsitzende, die Rosenthal auch ist, an diesem Morgen unterwegs. Unterstützung erhält sie nicht nur von den örtlichen Jusos, sondern auch vom Bundesverband, der eigens einen Bus geschickt hat, um die Vorsitzende im Wahlkampf zu unterstützen.

Eine Delegation um die Bundesgeschäftsführerin Julie Rothe und die stellvertretende Vorsitzende Manon Luther tourt aktuell quer durch Deutschland – 13 Tage, 29 Orte, 32 Kandidierende. Denn bei dieser Bundestagwahl haben sich mehr als 80 Jusos aufgemacht, um ins Parlament einzuziehen, viele von ihnen auf aussichtsreichen Listenplätzen oder mit guten Chancen, ihre Wahlkreise direkt zu gewinnen. So wie Rosenthal. „Ich würde mich freuen, wenn ihr mich unterstützt bei der Wahl. Ich glaube, es wird mal Zeit, dass junge Menschen eine Stimme bekommen“, ruft sie zwei Schülern zu, bevor diese durchs Tor auf das Schulgelände verschwinden.

Unterwegs im integrativen Kneipenviertel

Um jungen Menschen und allen Bürger*innen in ihrem Wahlkreis eine Stimme zu geben, ist Rosenthal, die Gesamtschullehrerin ist, aktuell von morgens bis abends mit ihrem elektrisch angetriebenen Smart unterwegs. Am Abend zuvor in der Bonner Altstadt allerdings zu Fuß. Das Kneipenviertel sei besonders integrativ, erzählt Rosenthal. Besonders an Karneval feiern hier alle zusammen. Vor der ersten Kneipe begrüßt sie einen SPD-Stadtverordneten. Direkt daneben führt Rosenthal an einem Stehtisch ein intensives Gespräch mit einem potenziellen Wähler, der der SPD nicht gänzlich abgeneigt ist, ihr aber etwas skeptisch gegenüber steht. Es geht um Wohnen, Rente und viele lokale Themen.

Währenddessen schwärmen die Bonner Jusos aus. Es sind so viele zum Treffpunkt gekommen, dass sich erst mal eine Traube bildet. Ein Trupp läuft in Richtung Hofgarten, um dort an dem lauen Spätsommerabend für die SPD-Kandidatin zu werben. Andere ziehen mit Flyern, Bierdeckeln und Schlüsselanhängern weiter durchs Kneipenviertel. Dann kommt auch die Delegation der Bundes-Jusos an, die nach der Fahrt von Berlin über Brandenburg und Sachsen-Anhalt in Richtung Nordrhein-Westfalen einen langen Tag hinter sich hat.

Annika Klose höchstpersönlich

Noch am Montagabend hatten sie in der Hauptstadt Halt gemacht, um Annika Klose in Berlin-Mitte im Wahlkampf zu unterstützen. Dort kann es eine junge Frau nicht recht fassen, der Kandidatin persönlich gegenüber zu stehen. „Bist du das? Krass!“, zeigt sie auf das Wahlplakat und schaut dann wieder Klose an. Die lächelt und nickt. Doch die junge Frau ist immer noch aus dem Häuschen. „Guck mal, das ist sie höchstpersönlich“, sagt sie zu ihrem Freund. „Dass du hier einfach so stehst.“

Die Sonne ist fast untergegangen und im James-Simon-Park gegenüber der Museumsinsel sitzen viele junge Menschen auf Decken oder einfach dem Rasen beim Feierabendbier. Ab und an rattert die Straßenbahn zum Hackeschen Markt vorbei. Die Stimmung ist gelöst. Es ist einer der letzten lauen Abende dieses Sommers.

Mit Brausepulver gegen hohe Mietern

Für Annika Klose ist Wahlkampfzeit. Knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl ist die 29-Jährige jeden Tag unterwegs. An diesem Abend sind der Park und das Spree-Ufer ihr Revier. Unterstützung bekommt sie von einer Gruppe junger Leute, viele in den Juso-Hochschulgruppen an Humboldt- oder der Freien Universität aktiv. Sie haben Jute-Beutel umgehängt, auf denen in roten Buchstaben steht „Annika Klose. Für Berlin-Mitte in den Bundestag“.

In den Beuteln haben sie jede Menge Material: Longpapers zum Zigarettendrehen, Kondome, Kaugummis und sogar Frisbees. Verbunden sind sie meist mit einer politischen Botschaft. Auf den Tütchen mit rotem Brausepulver steht „Hohe Mieten bringen dich zum Schäumen? Mich auch! Für einen bundesweiten Mietendeckel“.

Flyer auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Polnisch

„Gerade abends sind die Leute sehr offen“, erzählt Annika Klose während sie mit einigen anderen loszieht, um ihr Material zu verteilen. Die Stimmung sei aber seit Wochen sehr gut. Auf ihrem Flyer, den sie den Leuten auf den Decken oder im Vorbeigehen mit einem Lächeln in die Hand drückt, stellt sie sich in vier Sprachen vor: neben Deutsch auch auf Englisch, Türkisch und Polnisch – den Sprachen, die in Berlin-Mitte am häufigsten zu hören sind. „Für mich ist Politik ein Ehrenamt, ich habe nie Geld dafür bekommen. Ich engagiere mich aus Überzeugung“, ist da zu lesen. Ehrenamtlich war Klose auch fünf Jahre lang Vorsitzende der Berliner Jusos.

Auch an diesem Abend schwirren Sätze in den unterschiedlichsten Sprachen durch die Luft. Berlin-Mitte ist auch bei Tourist*innen sehr beliebt. Ein junger Mann spricht Annika Klose direkt an. Er wohnt eigentlich im Saarland, verbringt gerade ein paar Tage in der Hautstadt. „Du bist hier Direktkandidatin?“, will er wissen. „Für das Abgeordnetenhaus oder für den Bundestag?“ Beides wird am 26. September gewählt. Als er dann noch hört, dass Annika Klose vor ihrem Master-Studium für den Deutschen Gewerkschaftsbund gearbeitet hat, ist das Eis vollends gebrochen. „Ich habe meine Ausbildung bei der IG Metall gemacht“, sagt er und wünscht Klose zum Abschied viel Glück. „Ich wähle auf jeden Fall die SPD.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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