Doch nach dem Desaster des 27. September hat die Autorin das Manuskript nochmals zurückgezogen und überarbeitet. Man schlägt das Buch also neugierig auf und denkt: Was hat sie zu sagen zum Niedergang der SPD? Wie lauten wohl ihre Lösungsvorschläge? Wo ist der Ausweg? Und dann reibt man sich nach den ersten zwanzig Seiten irritiert die Augen.
"Die Welt hinter Weiler"
Kapitel 1: "Die Welt hinter Weiler". Ganz gemütlich setzt Nahles 1988 ein, beschreibt die bundesrepublikanische Eifel-Welt vor dem Mauerfall und ihren Eintritt in die SPD, ein Jahr bevor alles
anders wurde und Deutschland zurückkam. Man wird ins Godesberger Programm zurückgeholt, ein bisschen Kohl, ein bisschen Bürgerinitiative, dann Schröder. "Doch der Reihe nach." Andrea Nahles will
sich offensichtlich nicht von der Tagespolitik in ihr Buch hinein hetzen lassen. Bloß keine Getriebene sein.
Eigenwillig? Souverän? Ratlos? Natürlich durchzieht die Erschütterung über die "bitterste Wahlniederlage" in der SPD-Geschichte und den Verlust ganzer Wählermilieus das gesamte Buch von
Andrea Nahles. "Ihr habt euer Herz verloren", dieser Vorwurf von ehemaligen SPD-Wählern, mit dem sie im letzten Wahlkampf mehrmals konfrontiert wurde, geht ihr nach. Ihre Haupterklärung für das
Wahldesaster erstaunt kaum, kennt man ihr politische Biographie: "Die Ursachen der aktuellen SPD-Krise sind nicht nur, aber doch ganz maßgeblich in der Agenda 2010 zu suchen."
Trotzdem bleibt die Kritik an Hartz IV erstaunlich milde. Viele Bereiche der Agenda-Politik seien "im Grundsatz richtig und auch in der Ausführung handwerklich ordentlich gewesen", schreibt
Nahles. Man habe sich nur zu sehr vom neoliberalen Zeitgeist, der in der Zeit der Schröder-Kanzlerschaft vorherrschte, antreiben lassen - die Arbeitnehmer als "eigenverantwortliche, gleichwohl
aber schutzwürdige Individuen" wurden sträflich im Stich gelassen. Kurz zusammengefasst heißt das: die Agenda 2010 war in Teilen richtig, doch in der Umsetzung viel zu rücksichtlos. So lautet die
überraschende neue politische Position der ehemals vehementen Hartz-IV-Gegnerin.
Das Buch "Frau gläubig links" ist dort stark, wo Andrea Nahles als Mensch hervortritt - als gläubige Katholikin, als Tochter eines Maurermeisters, als gelassene Nicht-Raucherin. Das "Ich"
ist die Stärke des Buches. Doch verschanzt sie sich zu sehr hinter Studien, Umfragen, Thesenpapieren und Parteiprogrammen und verliert sich im "wir", wirkt dagegen vieles austauschbar. Eine
Politikerin und ihr routinierter Politiker-Sprech. "Wenn ein Redner auf einer Wahlveranstaltung spricht, muss er eine emotionale Verbindung zu den Zuhörern aufbauen", schreibt Andrea Nahles. Das
gilt genauso für Buchautoren.
Die Journalistin und Buchautorin Susanne Leinemann wuchs in Washington D.C. und Bonn auf. Nach Ihrem Geschichtsstudium in Jena und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, arbeitete sie als Redakteurin im Feuilleton der Tageszeitung "Die Welt" und zuletzt als Reporterin der Zeitschrift "Max".