Anna Kavena: Mit drei Minuten Mut in den Landtag
Knapp vier Jahre war Anna Teresa Kavena alt, als sie mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland zog. Die ersten Jahre wohnten sie in ärmlichen Verhältnissen in einem Aussiedlerheim. Doch es gab nette Menschen, die sie bei der Integration unterstützten, halfen, eine Wohnung und einen Job für Kavenas Eltern, Hanna und Slawomir Madarasz, zu finden, für sie einen Kindergartenplatz.
Aus Loyalität in die SPD
Es waren Mitglieder des SPD-Ortsvereins, wie Kavena einige Jahre später herausfand, als sie sich während ihres Studiums mit dem Thema Migration und ihrer eigenen Lebensgeschichte beschäftigte. Das war 2011. Kavena war Mitte 20 und beschloss, in die Partei einzutreten, der sie ihren sozialen Aufstieg verdankte. „Ich versuche jedem von uns, genau das zu ermöglichen. Deswegen habe ich diese Loyalität und bin in die SPD eingetreten. Ich habe nicht mal darüber nachgedacht, ob eine andere Partei auch in Frage kommen würde“, sagt Kavena heute.
Inzwischen ist sie 35 und sagt über sich: „Ich bin das Paradebeispiel für eine gelungene Integration.“ Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter, ist SPD-Stadtverbandsvorsitzende in Recklinghausen und seit heute offiziell SPD-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen. Mit dem neuntbesten Ergebnis aller SPD-Kandidat*innen wurde sie Mitte Mai erstmals ins Parlament gewählt. Es war ein Abend mit gemischten Gefühlen für sie: „Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich mit fast zehn Prozentpunkten Abstand zu meiner CDU-Gegenkandidatin gewonnen habe, aber ein Teil von mir konnte das auch nicht richtig genießen, weil ich die Situation im Land gesehen habe.“
Aus Ärger über Laumann in den Landtag
Landesweit kam die SPD nur auf 26,7 Prozent, das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik, neun Prozentpunkte hinter der CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst, der sich nun anschickt, die erste schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen zu bilden. Doch Kavenas Blick geht schon wieder nach vorne: „Für mich ist völlig klar, dass wir eine starke und mutige Opposition machen sollten.“ Diese biete auch die Chance, für die notwendige politische Transparenz gegenüber den Bürger*innen zu sorgen.
Ihre Entscheidung zur Kandidatur fiel im vergangenen Jahr vor allem auch, weil sie mit der Politik der CDU-geführten Landesregierung unzufrieden war. Als Leiterin eines Impfzentrums bekam die Sozialdemokratin es direkt zu spüren, was es bedeutete, samstags eine Entscheidung umzusetzen, die der zuständige Minister Karl-Josef Laumann am Freitagnachmittag per E-Mail angekündigt hatte. „Ich habe mich schrecklich geärgert über die Politik von Herrn Laumann“, sagt Kavena.
Unterstützung durch Hollywood-Star Ralf Möller
Ihr Wunsch zu kandidieren bedeutete jedoch nicht, dass der Weg dafür unmittelbar frei gewesen wäre. Drei Mitbewerber hatten ebenfalls den Düsseldorfer Landtag als Ziel. Doch Kavena steckte nicht auf: „Ich bin in den vergangenen Jahren mutige Schritte gegangen, weil ich für viele Frauen ein Vorbild sein möchte. Ich möchte junge Frauen ermutigen, sich zu beteiligen, mitzureden und sich nicht einschüchtern zu lassen. Mein Credo ist: Zeig' mal drei Minuten Mut am Tag. Mach jemandem ein Kompliment, kritisiere jemanden oder mache etwas, das du dich sonst nicht getraut hättest!“
Letztlich setzte sich die junge Frau mehrheitlich als Landtagskandidatin der SPD für Recklinghausen und Oer-Erkenschwick durch. Für Gräben innerhalb der Partei sorgte das nicht. Im Gegenteil: „Nachdem ich mich durchgesetzt habe, war sofort klar, dass wir als Team nach vorne gehen müssen.“ Sie habe alle mitgenommen, wöchentliche Updates verschickt, ihren Terminkalender für alle freigegeben und um Unterstützungstermine gebeten.
Das zahlte sich offenbar aus. Kavena ist überzeugt: „Dieser Sieg ist unser Sieg. Das war das großartigste Gefühl, das ich hatte, weil ich gesehen habe, dass sich alle mitgenommen gefühlt haben und Spaß hatten.“ Unterstützung erfuhr sie unverhofft auch von Hollywood-Star Ralf Möller, der gebürtig aus Recklinghausen stammt. Die beiden trafen sich zufällig bei einem Autohändler, als es um E-Mobilität ging. „Er sprang mir quasi in die Arme. Wir haben über erneuerbare Energien gesprochen und es hat nicht lange gedauert, dann war er total im Thema drin. Irgendwann hat er mich in den Arm genommen und gesagt: Dich find ich gut.“
„Ich stehe jeden Morgen auf und bin glücklich“
Möller versprach, die Werbetrommel für sie zu rühren. Auch das dürfte im Wahlkampf geholfen haben. Nun also Düsseldorf, Landtagsabgeordnete. Seit 2020 gehört Kavena schon dem Stadtrat von Recklinghausen sowie dem Ruhrparlament an. Mehr Freizeit wird sie mit dem neu gewonnenen Mandat nicht haben. Schon bisher galt für das Leben der 35-Jährigen: „Ich arbeite und habe meine Familie und den Hund, aber ich gehe nicht tanzen, ich spiele kein Fußball, ich habe keine Zeit, Sport zu machen. Mein Leben besteht aus Familie und Arbeit, das war’s eigentlich.“
Doch sie will sich nicht beklagen. Denn für Kavena steht fest: Sie lebt ihren Traum, hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Beispielhaft berichtet sie von der Begegnung mit einem Nachbarn. Warum sie denn bei all dem Stress so fröhlich sein und gut aussehen könne, habe dieser gefragt. „Ich bin einfach total zufrieden mit dem, wie ich lebe. Ich habe es mir erkämpft, stehe jeden Morgen auf und bin glücklich damit“, sagt sie.
Egal, ob Karl Lauterbach oder die Frau an der Pommesbude
Wichtig ist für sie ohnehin, sich selbst treu zu bleiben: „Egal, wo ich bin, ich rede immer gleich, ob in der Fraktionssitzung in Düsseldorf oder an der Pommesbude. Ich bin immer ich.“ Und das soll sich auch in ihrer Sprache ausdrücken. Klar und einfach soll sie sein. Was das angeht, sind ihre Eltern Vorbilder für Kavena: Ihre Mutter ist Reinigungskraft, ihr Vater Hausmeister. Sie sagt: „Politik kann ungemein kompliziert sein. Darin besteht auch eine Gefahr. Wir müssen darauf achten, unsere politischen Ziele und Forderungen ganz einfach zu formulieren, so dass sich jeder auch mitgenommen fühlt. Sei es Karl Lauterbach, meine Mutter bei den Reinigungsfrauen oder auch die Frau an der Pommesbude. Mit all diesen Menschen möchte ich über meine Politik diskutieren.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo