Was muss in Deutschland besser werden? Das fragt die SPD in den kommenden Monaten Menschen zwischen Kiel und Kulmbach, zwischen Dortmund und Dresden. „Wir wollen nicht von der großen Bühne aus die Welt beschallen,“ erläutert Generalsekretärin Andrea Nahles, sondern Ideen für das Wahlprogramm 2013 sammeln: „Die SPD öffnet sich.“
Mit dem „SPD-Bürgerdialog“ starten die Sozialdemokraten ihre Kampagne für den Bundestagswahlkampf – schon ein Jahr vor dem Wahltag. „Die Partei schaltet über viele Monate komplett auf Empfang, von der Parteispitze bis in jeden Ortsverein“, so Andrea Nahles. Die SPD möchte herausfinden, was Menschen in Deutschland bewegt, was sie ändern wollen – und nicht zuletzt, was sie von der Sozialdemokratie erwarten.
Äußern können sie dies auf so genannten Dialogkarten. Dort schreiben sie ihren Vorschlag zu einem bestimmten Thema auf, tragen Namen und Anschrift ein und schicken die Karte ans Willy-Brandt-Haus. Hier werden alle Vorschläge gesammelt, erfasst und ausgewertet – und Fragen beantwortet.
Sechs Themenwochen
Der Bürgerdialog wird mehr sein als eine Postkartenaktion. Die SPD möchte vor allem mit Bürgern vor Ort ins Gespräch kommen. Sie geht deshalb dorthin, „wo es laut ist und auch mal stinkt“, wie es der Vorsitzende Sigmar Gabriel schon auf dem Dresdner Parteitag im Dezember 2009 gefordert hatte. In sechs Themenwochen besuchen die Parteispitze, Abgeordnete, kommunale Mandatsträger und andere Genossen zwischen September und Dezember Betriebe und soziale Einrichtungen. In Schulen, Krankenhäusern oder Fabriken wollen sie erfahren, was die Menschen bewegt. Im Vordergrund steht das Zuhören. Und auch wenn die Überschrift der jeweiligen Woche im Vordergrund stehen soll, ist klar, dass Querschnittsthemen wie etwa die Eurokrise oder Gleichstellung stets ihren Platz finden werden.
Am Ende jeder Themenwoche werden die gesammelten Vorschläge von einem zuständigen Experten aus der Parteiführung, einem Themenpaten, ausgewertet und vorgestellt. Die Paten nehmen die Ideen auch mit in eine der sechs anschließenden „Bürger-Konferenzen“. Zu diesen lädt die SPD zwischen Januar und März 2013 ausgewählte Bürger nach Berlin ein. An Runden Tischen erarbeiten sie gemeinsam mit Experten und SPD-Politikern aus den Vorschlägen der Themenwochen konkrete politische Projekte und versuchen, Antworten auf die gestellten Fragen zu finden. Ergebnis sollen handfeste Vorschläge sein.
Diese Vorschläge werden der Parteiführung und dem Kanzlerkandidaten bei einem Bürgerkonvent im Frühjahr 2013 vorgestellt. Vor allem aber fließen sie in den Entwurf für das Regierungsprogramm ein, das auf einem Bundesparteitag Mitte 2013 verabschiedet wird. Die über den Bürgerdialog entstandenen Forderungen werden darin von den „klassisch“ erarbeiteten Passagen grafisch abgehoben und bilden damit die zweite Säule des SPD-Programms.
„Wir werden auf diese Weise ein Regierungsprogramm neuen Typs bekommen“, freut sich Andrea Nahles, „und eine Wahlkampagne, die nicht auf Inszenierung setzt, sondern aufs Zuhören und auf Verständnis“. Die Generalsekretärin wird wenn es um „Arbeit“ sowie um „Gesundheit und Verbraucherschutz“ geht, im Land unterwegs sein. Allerdings wird sie, wie alle anderen Mitglieder der Parteiführung, während des gesamten Bürgerdialogs auch am Telefon, im Internet-Chat und im Live-Stream erreichbar sein.
Im Willy-Brandt-Haus wird dafür ein gläsernes Studio eingerichtet. Hier sind die Mitarbeiter an sieben Tagen in der Woche zwischen sieben und 21 Uhr für Bürgerfragen erreichbar. Im Internet auf spd.de kann man ihnen dabei per Web-Cam über die Schulter schauen – Transparenz im besten Sinne also.
Die Mitglieder sind gefragt
Bei der Konferenz der Unterbezirks- und Kreisvorsitzenden am 17. Juni im Willy-Brandt-Haus kamen die Pläne für den Bürgerdialog gut an. Statt Kritik gab es, bei der SPD eher ungewohnt, Lob für die Parteiführung. Die hufeisenförmige Sitzanordnung im Hans-Jochen-Vogel-Saal tat der Diskussion gut und könnte für Konferenzen vor Ort beispielgebend sein. Sogar die Quotierung klappte: Männer und Frauen kamen strikt abwechselnd zu Wort. Und auch die ersten Themenvorschläge ließen nicht lange auf sich warten: von einem gesetzlichen Mindestlohn bis zur Verbesserung des Baustellenmanagements auf Autobahnen. Die Vielfalt gab bereits einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Monaten auf die Partei zukommen wird.
Ohne die Mitglieder wird es dabei nicht gehen. „Wir brauchen Eure Ideen“, wirbt Sigmar Gabriel um Unterstützung. „Welche Aktion und welches Thema passt bei Euch zum Bürgerdialog? Welchen Betrieb könnt Ihr besuchen, um zu erfahren, was den Menschen fehlt?“ Diese Fragen können nur vor Ort beantwortet werden. Allerdings hilft das Willy-Brandt-Haus dabei, die Antworten zu finden. An das „Büro Bürgerdialog“ kann sich jeder wenden, der eine Frage zum Verfahren hat, Dialogkarten bestellen möchte oder jemanden aus der Parteiführung zu einer Themenwoche einladen möchte. „Den Bürgerdialog können wir nur gemeinsam zum Erfolg führen“, betont Sigmar Gabriel.
Klar ist: Ein solches Verfahren zur Erstellung eines Wahlprogramms hat es bisher noch nicht gegeben. Die SPD kommt damit dem Ziel ihres Vorsitzenden, „die modernste Partei Europas“ zu werden, wieder ein Stück näher. Oder, wie es Andrea Nahles ausdrückt: „Die Politik steigt vom Sockel und kommt auf Augenhöhe mit denjenigen, die sie für ihre Positionen begeistern möchte: die Bürgerinnen und Bürger.“
Die Themenwochen im Überblick:
Familie 24. September bis 3. Oktober
Jugend und Bildung 4. bis 14. Oktober
Arbeit 15. bis 28. Oktober
Gesundheit und Verbraucherschutz 29. Oktober bis 11. November
Soziale Gerechtigkeit 12. bis 25. November
Demokratie 26. November bis 9. Dezember
Büro Bürgerdialog, 030/25991547, orga.buerger-dialog@spd.de
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.