Abuzar Erdogan: Senkrechtstarter mit Blick für das Wesentliche
Es gibt ein Thema, das lässt Abuzar Erdogan nicht los: Noch während das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz lief, veröffentlichte der 23-Jährige zwei Beiträge auf seinem Facebook-Profil. Beide galten der Türkei, beide kritisierten die Unentschlossenheit Angela Merkels im Umgang mit dem autoritär regierten Staat. Dass Erdogan das Thema tangiert, liegt nicht nur an seinem Namen. Überhaupt nerven ihn die alltäglich gewordenen Anspielungen auf den türkischen Staatschef, der - genau wie Abuzar Erdogan - einen „türkischen Allerweltsnamen wie Meier, Müller, Lehmann“ trägt.
Abuzar Erdogan - mit 20 in den Stadtrat
Der Unmut Erdogans über die ständigen Anspielungen ist vor allem deshalb verständlich, weil er selbst einiges vorweisen kann, über das sich zu reden lohnt. 1993 in Rosenheim geboren, trat er bereits 2013 für die SPD bei der Bundestagswahl an. Damals war Erdogan 19 Jahre jung, hatte sein Abitur gerade in der Tasche und stand ganz am Anfang seines Jura-Studiums an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Ein Jahr später zog Erdogan in den Stadtrat von Rosenheim ein, wurde Mitglied im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaft vor Ort. Zur Erinnerung: Damals war Erdogan gerade 20.
Das alles passt deshalb so gut zu „Abu“, wie sich Erdogan selber nennt, weil er über die Jugendarbeit politisiert worden ist. Mit dem Eintritt in die „Alevitische Jugend Rosenheim“ begann, was als Vorsitzender des Stadtjugendring in Rosenheim sein (vorläufiges) Ende fand. Aktiv ist Erdogan zudem im Bayerischen Landesverband der Alevitischen Jugend – einem der fünf Landesverbände junger Aleviten in Deutschland.
Gerechtigkeitslücken schließen
Dass ihm all das lang nicht genug ist, macht Erdogan rasch deutlich. Zwar ermögliche das ehrenamtliche Engagement und die Kommunalpolitik, Dinge direkt vor Ort und weitestgehend frei von parteipolitischen Kalkülen zu bewegen. Die wesentlichen Entscheidungen dafür, Kommunen tatsächlich handlungsfähig zu halten, fallen aus seiner Sicht aber woanders. Dort, im Bundestag nämlich, würde Erdogan sich künftig am liebsten für Rosenheim einsetzen.
Sein wichtigstes Thema: Soziale Gerechtigkeit. „Viele empfinden diese Gesellschaft als nicht gerecht“, erklärt Erdogan, nennt als Beispiele die unterschiedliche Besteuerung von Kapital und Arbeit, Vermögens- und Erbschaftssteuer, das Fortbestehen unterschiedlicher Rentenkassen im Land. „Viele der Grundsatzthemen haben etwas mit Gerechtigkeit zu tun“, sagt er weiter und nennt konkret den Wohnraummangel, der in Rosenheim eine große Rolle spiele. Als Kind von Eltern, die zwar hart gearbeitet hätten, im Alter aber mit einer „sehr übersichtlichen Rente“ auskommen müssten, weiß Erdogan, wovon er spricht. Als erstes Familienmitglied überhaupt konnte er studieren, heute arbeitet der Diplom-Jurist in einer Münchener Rechtsanwaltskanzlei.
Mit Ausdauer - für Rosenheim
Seine Chancen darauf, nach dem 24. September tatsächlich in den Bundestag einzuziehen, sind eher gering. Während Erdogan auf der Wahlkreiskonferenz mit 89 Prozent der Stimmen klar als Direktkandidat bestätigt wurde, landete er auf der Liste der Bayern-SPD nur auf Rang 29. Die SPD im Freistaat müsste ihr Ergebnis von 2013 schon deutlich steigern, um den Einzug Erdogans zu ermöglichen. Denn bei allem jugendlichen Ehrgeiz: das Direktmandat in Rosenheim hängt für den Nachfolger von Angelika Graf, die von 1994 bis 2013 dem Bundestag angehörte, in unerreichbarer Ferne.
Erdogan ficht das nicht an. 2009 in die SPD eingetreten, hat er gelernt, Ausdauer zu beweisen. „Als junger Mensch mit Idealen ist so eine Ortsvereinssitzung ja erstmal abschreckend“, erinnert sich Erdogan, der von sich sagt, relativ früh den Sinn hinter all den „Formalismen“ der Parteipolitik erkannt zu haben. Heute ist er in der SPD etabliert, hat mit Florian Pronold, Markus Rinderspacher oder Bärbel Kofler prominente Unterstützer seiner Facebook-Kampagne „wirfuerAbu“ gewinnen können. Sie werden auch an ihm festhalten, wenn es am Ende nicht reichen sollte für den Einzug in den Bundestag. Für seine Heimatstadt Rosenheim, daran lässt „Abu“ keinen Zweifel, will er sich auch weiterhin nach Kräften einsetzen - so oder so.