Parteileben

Abschluss des SPD-Parteitags: „Wir sind auf dem richtigen Weg“

Vom 6. bis 8. Dezember fand in Berlin der Bundesparteitag der SPD statt. Neben der Wahl einer neuen Parteiführung stand die Diskussion über die Halbzeitbilanz der großen Koalition im Mittelpunkt. Hier gibt es alle Entscheidungen zum Nachlesen.
von Die Redaktion · 8. Dezember 2019
"Wir freuen uns riesig darauf, gemeinsam mit Euch in die neue Zeit zu gehen." Die neuen Vorsitzenden der SPD Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
"Wir freuen uns riesig darauf, gemeinsam mit Euch in die neue Zeit zu gehen." Die neuen Vorsitzenden der SPD Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

Mit einem gemeinsamen Schlusswort der beiden Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans endet der SPD-Parteitag. "Malu Dreyer hat am Anfang des Parteitages an alle appelliert, diesen Parteitag zu einem Parteitag der Solidarität zu machen", sagt Esken. "Das haben wir geschafft." Es gebe viele Leute, "die wollen, dass es uns zerreißt. Dieser Parteitag hat gezeigt: Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun."

Die Vorsitzende lobt noch einmal den gefassten Beschluss zur Neuausrichtung des Sozialstaats: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Erneuerung sei kein Prozess, sondern eine Haltung. "Und wir freuen uns riesig darauf, gemeinsam mit Euch in die neue Zeit zu gehen."

"Diese Demokratie braucht starke Volksparteien", sagt Norbert Walter-Borjans. Die SPD müsse stark sein, aber unterscheidbar. "Dafür haben wir den Grundstein gelegt."

SPD fordert europäische Rettungsmission im Mittelmeer

Die SPD fordert eine staatliche Rettungsmission, um Ertrinkende aus dem Mittelmeer zu retten. Das hat der Parteitag am Sonntag beschlossen. "Eine Kriminalisierung ziviler Seenotrettung darf es nicht geben", heißt es i2n dem Beschluss. Allerdings könne diese "kein Ersatz für eine gemeinsame europäische Rettungsmission sein". Genau diese werde aber gebraucht "mit dem klaren politischen Mandat, Menschen vor dem Ertrinken zu retten".

Der Beschluss unterstützt auch die Bestrebungen von Außenminister Heiko Maas, eine "Allianz für Multilateralismus" voranzubringen. Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr soll nach dem Willen der SPD das Thema Steuergerechtigkeit werden. An einer Beitrittsperspektive für die Länder des westlichen Balkans wollen die Sozialdemokraten festhalten. Zudem sollen Waffenexporte aus Deutschland deutlich eingeschränkt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte dies vor kurzem bereits beschlossen.

Heiko Maas: Die Antwort kann nur Europa sein

"Nichts ist von selbst, wenig ist von Dauer, deshalb braucht jede Zeit ihre eigenen Antworten." Zum Beginn seiner Rede zur Außenpolitik zitiert Heiko Maas Willy Brandt. Es gebe nur wenige Politikbereiche, auf die Brandts Satz es so zutreffe wie auf die Außenpolitik, sagt der Außenminister. Die USA, Russland und China stellten die Welt vor neue Herausforderungen. "Die Antwort aus diese Entwicklung kann nur Europa sein", sagt Maas. "Mit mehr Europa sichern wir unsere Souveränität und verhindern, dass wir zum Spielball anderer werden, die unsere Werte nicht teilen."

Dabei sei es wichtig zu verhindern, "dass es ein Europa erster und zweiter Klasse gibt". Gleichzeitig mahnt der Außenminister an, dass alle Staaten an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gedunden sind. "Wer diese Grundsätze nicht einhält, muss mit Konsequenzen rechnen", sagt Maas und meint damit die Möglickeit, bei Rechtsverstößen EU-Subventionen kürzen zu können.

"Die Rüstungskontrolle muss auf die Agenda", spricht Maas einen weiteren Aspekt an. "Wie müssen einen neuen Rüstungswettlauf verhindern und der Verbreitung neuer Waffensysteme Einhalt gebieten."

Parteitag beschließt Datenteilungspflicht

Nach kurzer Debatte beschließt der Parteitag eine Datenteilungspflicht für digitale Unternehmen. Darum geht es im Detail.

SPD für Vermögenssteuer und gegen Schuldenbremse

Die SPD will wieder eine Vermögenssteuer in Deutschland. So beschließt es der Parteitag am Sonntagmorgen. Das Kalkül: Eine Vermögensteuer von einem Prozent würde rund neun Milliarden Euro einbringen. Superreiche sollen zwischen 1,5 und zwei Prozent zahlen, hohe Freibeträge dafür sorgen, dass wirklich nur die Reichen zahlen.

Heftig debattiert wird über die Zukunft der Schuldenbremse, die die Bundesregierung verpflichtet, keine neuen Schulden aufzunehmen. Vor allem die Jusos wollen sie abschaffen. Aber auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans fordert: "Wir müssen die Schuldenbremse überwinden." Borjans will auf diese Weise sicherstellen, dass notwendige Zukunftsinvestitionen getätigt werden können. "Wir müssen die Ketten, die wir uns angelegt haben, auflösen", sagt Walter-Borjans.

Am Ende stimmt der Parteitag mit großer Merheit für eine Kompromissformulierung der Antragskommission. Sie lautet: "Wir wollen die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form perspektivisch überwinden und Zukunftsinvestionen ermöglichen."

Lothar Binding: Wollen wieder eine substanzielle Vermögenssteuer

Zum Beginn des letzten Parteitagstages diskutieren die Delegierten über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Wir wollen wieder eine substanzielle Vermögenssteuer", sagt der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Lothar Binding. Wie gewohnt mit rotem Zollstock erklärt Binding die Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland. "Manche regt die Vermögenssteuer auf", sagt Binding. CDU und FDP machten aus ihr ein Schreckgespenst für den Mittelstand. Das Ergebnis: "Die Menschen haben Angst vor Steuern, die sie niemals zahlen müssen."

Parteitag verschärft Klimaschutz

Die SPD geht beim Klimaschutz auf Konfrontationskurs mit CDU und CSU. Am Samstagabend sprachen sich die Delegierten des Parteitags gegen feste Abbstandsregeln für Windräder aus. "Pauschale Abstandsregeln sind nicht geeignet, die notwendigen Flächen für Windenergie zur Verfügung zu stellen", heißt es in dem Beschluss zur Klima- und Umweltpolitik. Besonders Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und die CSU bestehen auf einem Mindestabstand von Windrädern von 1000 Meter zur nächsten Siedlung.

Die Pläne "wird diese SPD-Bundestagsfraktion niemals mitmachen", versichert Fraktionsvize Matthias Miersch in der Debatte. Und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil mahnt: "Wenn nicht schnell etwas passiert, wird die deutsche Windenergie abgewickelt. Dann können wir uns die Energiewende abschminken."

Die Delegierten bekräftigen auch das Ausbauziel des Ökostroms von 65 Prozent bis 2030. Bereits am Freitag hatte die SPD beschlossen, in Verhandlungen mit der Union auf Nachbesserungen beim Klimaschutz zu drängen, insbesondere beim CO2-Preis. Verlangt wird in dem Beschluss auch, den Kohleausstieg möglichst auf 2035 vorzuziehen. Zudem soll es demnach eine Quote für Elektroautos und ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen geben.

Svenja Schulze: Klimaschutz ist soziale Frage

"Klimaschutz ist eine Gestaltungsaufgabe", sagt Svenja Schulze bei der Einbringung des Leitantrags zur Klima- und Umweltpolitik. "Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spürt und die letzte Generation, die noch handeln kann", sagt die Bundesumweltministerin. Sie kündigt an: "Wir wollen den Umbau der Gesellschaft nicht nur ökologisch, sondern sozial gestalten." Schließlich sei es eine soziale Frage, ob es beim Klimaschutz gerecht zugehe.

"Wir wollen bis 2050 klimaneutral werden", kündigt Schulze an. Das Klimapaket geben dem Klimaschutz "einen ganz klaren Kurs und Verbindlichkeit". Allerdings würden die bisher beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen. "Wir müssen noch mehr tun. Das Klimaschutzpaket ist dafür eine sehr gute Grundlage."

Sozialdemokratische Umweltpolitik muss Leitplanken setzen

Grußwort von Kai Niebert, dem Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings, zum Beginn der Klimadebatte. "Beim Klimaschutz geht es um das S in der SPD", sagt Niebert. Diejenigen, die unter dem Klimawandel am meisten leiden seien diejenigen mit den geringsten Einkommen. "Die, die an Stickoxiden sterben, sind nicht die, die am Stadtrand im Eigenheim wohnen, sondern die, die an der Ausfahrtsstraße in Sozialwohnungen leben", sagt Niebert.

Niebert lobt die SPD dafür, das Klimapaket angestoßen zu haben. "Jetzt geht es darum, es mit Leben zu füllen, denn zur wahrheit gehört, dass die im Klimapaket vorgesehen Maßnahmen nicht ausreichen, um Deutschlands Klimaziele einzuhalten". Deshalb sei es "unabingar, dass der Parteivorstand nochmal nachverhandelt – und war nicht nur homöopahtisch, sondern substanziell".

Ein höherer CO2-Preis reiche dabei nicht, mahnt Niebert. "Damit wird der Staat aus der Haftung entlassen und die Steuerung dem Markt überlassen." Sozialdemokratische Umweltpolitik habe die Aufgabe, "klare Leitplanken zu setzen", sagt Niebert und fordert: "Wir brauchen ein Enddatum für den Verbrennungsmotor."

Gerade hat der Bundesparteitag Hannelore Rath-Kohl als Vorsitzende der SPD-Bundesschiedskommission verabschiedet. Sie hatte das Amt seit 1986 inne.

Giffey stellt Kindergrundsicherung vor

SPD-Familienministerin Franziska Giffey hat nun den nächsten Teilantrag eingebracht: Die Kindergrundsicherung. „Wir wollen, dass jedes Kind gleich viel Wert ist." Dafür sei eine gute Infrastruktur von Schulen und Kitas nötig. Aber es geht eben auch um Chancengerechtigkeit. Unter anderem mit einem Basisbeitrag von 250 Euro pro Monat soll für jedes Kind soll die Teilhabe und Bildung der Kinder gesichert sein. Ergänzt soll dieser Basisbeitrag um einen einkommensabhängigen Zusatz.

„Damit wir dem Bedarf eines jeden Kindes gerecht werden", erklärt Giffey den Delegierten. „Richtig oder gar nicht." Das abgestimmte Gesamtkonzept könne nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, schließt die Familienministerin ihre kurze Rede ab, „aber jetzt ist die Zeit dafür."

Sozialstaatskonzept einstimmig angenommen

Die 600 Delegierten beschließen einstimmig das neue Sozialstaatspapier der SPD. Die Partei macht damit den Weg frei, um Hartz IV zu überwinden. Die im Vorfeld angekündigte Debatte über die vollständige Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen bleibt aus. Stattdessen einigen sich die Delegierten ebenfalls einstimmig auf einen Kompromissvorschlag der Antragskommission. Dieser sieht vor, dass die SPD das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt und in einem ersten Schritt Sanktionen von mehr als 30 Prozent ablehnt. Außerdem enthält der Kompromissvorschlag den Passus: „Das Existenzminimum muss gewährleistet sein.“.

Arbeitsminister Hubertus Heil spricht anschließend von einem „großen Tag“ für die Sozialdemokratie: „Wir sind die Partei, die weiß, dass es um die sozialen Rechte der Bürger geht. Wir sind und bleiben die Partei der Arbeit.“ Explizit dankt Heil der ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Andrea Nahles: „Andrea, dieses Konzept ist dein Vermächtnis.“

Debatte über Sanktionen wird fortgesetzt

Während die Delegierten über den Parteivorstand abstimmen und die Stimmen ausgezählt werden, läuft die Debatte um das Sozialstaatskonzept weiter. Es gibt zahlreiche Änderungsanträge, Hauptstreitpunkt sind die Hartz-4-Sanktionen. Einer der Redner, der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Josef Parzinger, spricht sich für eine komplette Streichung der Sanktionen aus. In wenigen Minuten dürfte der zweite Wahlgang zum Parteivorstand abgeschlossen sein.

Auch die sächsische Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe positioniert sich kritisch gegenüber Sanktionen. Der Druck, der dadurch auf den einzelnen ausgeübt werde, belaste das Verhältnis zwischen dem Sozialstaat und den Menschen: „Deswegen müssen wir da ran.“ Sie fordert jedoch – anders als Parzinger – keine vollständie Abschaffung der Sanktionen, sondern plädiert dafür, „einen guten Kompromiss“ zu finden.

Ähnloch wie Kolbe äußert sich Susi Möbbeck, Staatssekretärin für Arbeit, Soziales und Integration in Sachsen-Anhalt. Sie treibe die Sorge um, dass von dem Parteitag einzig das Signal ausgehe, ob sich die SPD für oder gegen Sanktionen positioniere. Das neue Sozialstaatskonzept beinhalte jedoch deutlich mehr: „Das Bürgergeld ist nicht nur ein neuer Begriff, sondern es ist eingebettet in ein neues Konzept, das die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das ist der Ansatz, mit dem wir Hartz IV überwinden. Das ist gut so. Das ist unser neuer Weg in die Zukunft. Lasst ihn uns gemeinsam gehen.“

Kritiker fordern vor allem deutlicher Formulierungen. Sophia Schiebe, stellvertretende Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, ärgert sich beispielsweise, dass nach ihrer Ansicht teilweise nur Punkte beschlossen werden, die das Bundesverfassungsgericht schon diktiert hat. Sanktionen dürfen nicht wie ein „Damoklesschwert“ über den Arbeitslosen schweben, kritisiert sie. „Auf den Sozialstaat soll man sich verlassen können!“

Auch Klaus Barthel aus Bayern kritisiert die schwammige Formulierung zum Mindestlohn. Zwölf Euro sollten möglichst schnell umgesetzt werden und nicht perspektivisch, außerdem wünscht er sich weitere Änderungen. Als Arbeitnehmervertreter sprach er sich unter anderem dafür aus, den Zwang abzuschaffen, dass Arbeitslose prekäre Jobangebote annehmen müssen.

Die am Freitagabend neu gewählte stellvertretende Bundesvorsitzende Serpil Midyatli sieht in dem Konzept auch ein sinnvolles Instrument, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. „Wir wollen endlich, dass es kein Armutsrisiko in Deutschland mehr ist, Kinder zu haben. Denn das ist ein Armutszeugnis. Deswegen ist das ein richtig guter Vorschlag, der uns vorliegt“, sagt Midyatli.

Dreyer stellt Sozialstaatskonzept vor

Malu Dreyer bringt das neue Sozialstaatskonzept der SPD als Antrag auf dem Parteitag ein. "Es ist mehr als ein Papier", sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. "Wir werden uns mit dem Sozialstaatskonzept von Dingen aus der Vergangenheit verabschieden." Der Sozialstaat müsse auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Den Prozess hatte die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles Anfang des Jahres angestoßen. Nach ihrem Rücktrritt war das Konzept "von der ganzen Breite der Partei" weiterentwickelt worden.

"Die Menschen sollen teilhaben können – das ist die Grundaussage unsere Konzepts", sagt Malu Dreyer. Deshalb stehe der Wert der Arbeit in dessen Mittelpunkt. "Unsere Antwort ist nicht das Bedingungslose Grundeinkommen. Wir wollen gute Arbeit garantieren", so Dreyer. Dazu gehöre auch, den Mindestlohn "perspektivisch auf 12 Euro" zu erhöhen und ein "Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice" einzuführen.

Mit der Einführung eines "Bürgergelds" will die SPD zudem eine "neue Grundsicherung" einführen. "Wir wollen Hartz IV hinter uns lassen", sagt Malu Dreyer. Dazu gehöre auch, die bestehenden Sanktionsmechanismen zu verändern. So sieht ein Änderungsantrag der Antragskommission vor, dass Pflichtverletzungen von Hartz-IV-Empfängern auch künftig nicht folgenlos bleiben, die Grundsicherung allerdings nicht angetastet werden darf. Ähnlich hatte das Bundesverfassungsgericht Anfang November geurteilt. Es liegen jedoch Änderungsanträge vor, die die generelle Abschaffung der Sanktionen fordern.

Berliner Bürgermeister erinnert an Friedliche Revolution

Michael Müller eröffnet den zweiten Tag des Parteitags. Zu Beginn erinnert Berlins Regierender Bürgermeister und SPD-Chef an den 30. Jahrestag des Mauerfalls, "ein wichtiges Jubiläum für uns alle". Müller sagt: "Was damals passiert ist, haben wir den Hunderttausenden zu verdanken, die damals auf die Straße gegangen und nicht wussten, wie das ausgehen wird."

30 Jahre später höre er "ganz viel Gemecker", so Müller. "Es mag so sein, dass nicht alles gut gelungen ist, aber dass wir heute alle zusammen leben können, ist ein großes Glück in unserer Geschichte." Ziel müss sein, "jeden Tag darum kämpfen, ein gutes Zusammenleben in der Gesellschaft zu ermöglichen".

Grundlage dafür ist für Müller eine gute Sozialpolitik, etwa um bezahlbares Wohnen zu garantieren und steigende Mieten zu bekämpfen. "Wir können doch nicht zugucken, dass das immer so weiter geht", sagt Müller und lobt den Berliner Mietendeckel, der die Mieten in der Hauptstadt für die kommenden fünf Jahre einfrieren soll. "Man muss auch mal Mut haben", sagt Müller in Richtung der Kritiker.

Auch das "Solidarisches Grundeinkommen", das Arbeitslose in Berlin vor dem Absturz in die Langzeitarbeitslosigkeit bewahren soll, sei ein wichtiger Baustein. "Wir müssen in der SPD die Kraft haben, auch mal neue Antworten zu geben", fordert Michal Müller

Parteitag wird nicht verkleinert

Zum Abschluss des ersten Tages stehen satzungsändernde Anträge auf der Tagesordnung des Parteitags. Heiß umstritten ist die von der "Organisationspolitischen Kommission" vorgeschlagene Verkleinerung des Bundesparteitags von 600 auf 450 Delegierte. "Wir denken uns so etwas nicht aus, um die Rechte der Mitglieder zu beschränken", kontert Generalsekretär Vorwürfe einiger Delegierter. Schatzmeister Dietmar Nietan weist darauf hin, dass bei einer Ablehnung der Verkleinerung Geld für die Parteiarbeit fehle. "Wenn wir hier nicht sparen, schwächen wir die Fläche", mahnt Nietan. Am Ende wird die Verkleinerung knapp abgelehnt.

Stellvertreter gewählt

In der Zwischenzeit wurden die Stimmzettel der Stellvertreterwahl eingesammelt und gezählt. Das beste Ergebnis der fünf Kandidierenden hatte dabei Serpil Midyatli mit 79,8 Prozent, gefolgt von Klara Geywitz (76,8) und Anke Rehlinger (74,8). Kevin Kühnert und Hubertus Heil lagen bei der Wahl denkbar knapp beieinander mit 70,4 beziehungsweise 70 Prozent.

Im Anschluss werden nun der Generalsekretär, der Schatzmeister sowie der Europabeauftragte gewählt.

Lars Klingbeil und Dietmar Nietan wollen weitermachen

Während die Wahl der Stellvertreterinnen und Stellvertreter läuft, bewirbt sich weiteres Spitzenpersonal der Sozialdemokraten: Lars Klingbeil als Generalsekretär, Dietmar Nietan als Schatzmeister und Udo Bullmann als Europabeauftragter.

Lars Klingbeil warb für eine weiterhin klare Kante gegen rechts: „Deswegen bin ich damals politisch aktiv geworden." Für eine stärkere SPD, für einen funktionierenden Staat, dafür dass jeder in diesem Land wieder weiß, wofür die SPD steht, dafür wolle er im Willy-Brandt-Haus die Weichen stellen.

Der designierte Schatzmeister Dietmar Nietan warnte auf dem Parteitag vor der finanziellen Entwicklung der Partei: „Unsere finanzielle Handlungsfähigkeit ist in Gefahr." Auch die Entscheidung, statt drei nun doch fünf Stellvertreter zu wählen entstehe eine neue Gefahr, denn: „Mehr Geld haben wir dadurch nicht!" Auf dem Rücken der Mitarbeiter im Willy-Brandt-Haus solle das nicht ausgetragen werden, gleichwohl warnte er vor sinkenden Wahlkampfzuschüssen. Er warb dennoch um Zuversicht.

Rehlinger und Midyatli für Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit

Anke Rehlinger will sich für eine aktive Wirtschaftspolitik und soziale Standards einsetzen. Die stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlands warb für Tarifbindung, höhere Mindestlöhne, eine Stärkung der Sozialpartnerschaft sowie massive Investitionen in die Infrastruktur. „Die größten Schulden, die man machen kann, sind die, die man der künftigen Generationen hinterlässt, weil man nicht investiert.“

Die schleswig-holsteinische Serpil Midyatli ärgert sich vor allem über die Chancenungleichheit im Bildungssystem: „Die Zukunft ist oft Schicksal.“ Dagegen wolle sie kämpfen, als Teamplayerin. Mit Blick in die Zukunft sagte sie außerdem: „Deutschland geht es am Besten, wenn die SPD die Regierung führt."

Jubel und Applaus für Kühnert

Kevin Kühnert wird besonders laut umjubelt, als er sich bewirbt und von Ungleichheiten in Deutschland spricht, die ihn ärgern. Dabei sei er selber gar nicht mehr der Vertreter der jungen Generation, meint der Juso-Vorsitzende. „Ich bin inzwischen 30 Jahre alt." Stattdessen stehe er nun als Ermutigung für diejenigen auf der Bühne, die keine Angebote mehr von der Politik erwarten." Unter dem Jubel geht dann fast unter, dass er nochmal das so oft benutzte Zitat von Helmut Schmidt aufnimmt: Wer Visionen habe solle zum Arzt gehen – und da dann auch die Arzthelferin überzeugen.

Vorstellung der Kandidaten

Es wird nochmal laut im Plenum, als die Stellvertreter sich vorstellen – denn jede und jeder Bewerber wirbt um Unterstützung für die SPD für seine Ideen. Klara Geywitz will als starke ostdeutsche Stimme künftig an der Parteispitze mitmischen, außerdem für Parität kämpfen. „Wir kämpfen für Parität und die CDU traut sich noch nichtmal eine Quote!“, wettert sie gegen die Union.

Ebenso wie Geywitz sichert auch Hubertus Heil nicht nur den neuen Parteivorsitzenden Unterstützung und Solidarität zu, sondern auch den Wahlkämpfern in Hamburg, Bayern und Nordrhein-Westfalen wo im kommenden jahr Wahlen anstehen. „„Wir sind eine sozialdemokratische Partei und nicht zehn!“, fasste Heil die vorangegangene Debatte zusammen. Er lobt außerdem die Diskussion unter den Sozialdemokraten: „Die SPD ist eben kein Kasernenhof", ruft er in den Applaus hinein.

Beschluss: Fünf Stellvertreter für Nowabo und Esken

Nach der hitzigen Debatte rund um die große Koalition geht es nun mit Personalentscheidungen weiter. Die 600 Delegierten sollen die neuen Stellvertreter von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wählen. Zuvor ging es aber erstmal um die Zahl der Stellvertreter. Derzeit sind es noch sechs, ursprünglich sollte die Zahl auf drei reduziert werden. Auf dem Parteitag einigten sich die Genossinnen und Genossen nun auf fünf Stellvertreter.

Mit den Kandidaturen von Klara Geywitz, Hubertus Heil, Kevin Kühnert und Anke Rehlinger wäre es bei drei Posten auf eine Kandidatur von Heil gegen Kühnert hinausgelaufen, die mit dem Beschluss nun vom Tisch ist. Als fünfte Kandidatin wurde die schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli vorgeschlagen.

Antrag angenommen

Nach mehr als 2,5-stündiger Debatte nun die Abstimmung: Der Parteitag stimmt mit sehr großer Mehrheit für den Leitantrag „Aufbruch in die neue Zeit”. Zwei Änderungsanträge sind zuvor mit klarer Mehrheit abgelehnt worden. Der erste forderte Nachverhandlungen, in denen die SPD unter anderem ein erweitertes Klimaschutzpaket, zwölf Euro Mindestlohn und eine Abkehr von der „Schwarzen Null” durchsetzen solle – und andernfalls „Konsequenzen daraus ziehen”. Der zweite abgelehnte Antrag zielte ebenfalls darauf, die große Koalition zu beenden.

Der beschlossene Leitantrag endet mit den Worten: „Für uns steht nicht die Frage im Vordergrund, ob wir die Koalition weiterführen oder beenden. Entscheidend ist, dass wir jetzt die uns wichtigen, noch offenen Punkte aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und mit CDU und CSU die Weichen für eine gute und gerechte Zukunft unseres Landes und Europas richtig stellen. Der Parteitag beauftragt die Vorsitzenden, gemeinsam mit unseren Vertretern im Koalitionsausschuss (Fraktionsvorsitzender, Vizekanzler) auf Grundlage unserer Beschlüsse mit CDU/CSU Gespräche über die neuen Vorhaben zu den beschriebenen aktuellen Herausforderungen zu führen. Der Parteivorstand wird auf Grundlage der Gespräche bewerten, ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind.”

Unter dem Punkt „Was noch ansteht” listet der Leitantrag zahlreiche politische Projekte auf. Darunter: Die Grundrente und das Klimapaket umsetzen, ein „Arbeit von Morgen”-Gesetz verabschieden, das Recht auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter umsetzen, eine Lösung für kommunale Altschulden erreichen, eine internationale Mindestbesteuerung für Unternehmen und europäische Mindestlöhne und vieles mehr.

Darüber hinaus will die SPD mit dem Koalitionspartner über zusätzliche Impulse in vier Bereichen verhandeln: Ein Investitionsprogramm für die öffentliche Infrastruktur, weitere Klimaschutzmaßnahmen, die Weiterentwicklung des Sozialstaates – mit einem Mindestlohn von perspektivisch zwölf Euro – und eine „demokratische Digitalisierung”. Letzteres bedeutet auch, dass „Rationalisierungsgewinne” durch eine Umverteilung der Arbeitszeiten an die Beschäftigten zurückgegeben werden sollen. Monopole auf datengetriebenen Märkten sollen aufgebrochen, Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung gestärkt werden.

Letzte Wortmeldungen

Die Abstimmung rückt näher. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel kommentiert, die Sicht vieler Menschen auf die Situation im Land sei eine andere als die Innenperspektive der SPD. Auf dem Parteitag seien die sozialdemokratischen Erfolge in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aufgezählt worden. Die schlechten Wahlergebnisse seien aber nicht nur damit zu erklären, dass die SPD ihre eigenen Erfolg schlechtrede. Es gebe eine Million Menschen in Leiharbeit, jeder Fünfte arbeite im Niedriglohnsektor, arme Kinder würden bei der Bildung weiter abgehängt. „Das ist das, was die Menschen erleben“, so Barthel. Deshalb müsse die Partei weiter Druck machen für eine gute Arbeitsmarktpolitik und soziale Gerechtigkeit.

Drei Botschaften

Der Europaabgeordnete Udo Bullmann fasst noch einmal zusammen, was die drei zentralen Botschaften des Leitantrages „Aufbruch in die neue Zeit” seien: Erstens: Die SPD habe aus der Koalition alles rausgeholt, um das Leben der Menschen zu verbessern. Zweitens müsse es neue Antworten auf die Veränderungen der vergangenen beiden Jahre geben. Und drittens mache der Antrag deutlich, wo die SPD hinwolle. Die SPD stehe für mehr, als aktuell in der Regierung möglich sei, merkt Bullmann an.

Eben hat sich Tarek Saad zu Wort gemeldet. Er ist 2014 aus Syrien nach Deutschland gekommen und hat in der SPD eine politische Heimat gefunden. Kollege Jonas Jordan hat vor einigen Monaten ein lesenswertes Porträt über ihn geschrieben. Saads Kernbotschaft heute: In einer Regierung müsse man Kompromisse machen, aber die Solidarität mit den Schwachen dürfe dabei nicht verloren gehen. Sonst sei es besser, die große Koalition zu verlassen.

Pro und Contra zum Leitantrag im Wechsel

Europaabgeordnete Delara Burkhardt ist sich sicher: „Es ist möglich ambitionierte Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit zu verbinden." Wenn der Koalitionspartner dabei aber weiter bremsen wolle, „dann ohne uns, liebe Genossen!“ Klimapolitik steht auch im Mittelpunkt der Ansprache von Nina Scheer – sie warb ebenfalls für eine wesentlich engagierteren Klimaschutz, sprach außerdem von falschen Entscheidungen in der Vergangenheit: „Der Ausbau erneuerbarer Energien muss vervielfacht werden!“

„Wir haben die Union nicht geheiratet”, sagt Noch-SPD-Vize Ralf Stegner. Es sei nur eine Lebensabschnittspartnerschaft. Der Leitantrag gebe dem Parteivorstand die nötige Beinfreiheit für die weiteren Verhandlungen. Weitere Rednerinnen wie die Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier oder die ehemalige Generalsekretätin Yasmin Fahimi betonen die bisherigen Erfolge der SPD in der Regierungsarbeit. Beide warnen auch vor innerparteilichen Grabenkämpfen. Denn die wahren Gegner seien nicht in der eigenen Partei zu finden, sondern es seien die Faschisten, die nun in den Parlamenten sitzen.

Es gibt auch Stimmen, die für einen Änderungsantrag plädieren, die große Koalition zu verlassen. Darunter der Berliner Kommunalpolitiker Kevin Hönicke. Es bringe nichts, ein totes Pferd weiter zu reiten, argumentiert er. Die ständigen Streitigkeiten mit CDU und CSU würden zuviel Energie kosten. „Die SPD liefert, der Rest der GroKo nicht.“

Hilde Mattheis warnt vor schleichendem Tod

Bei der Debatte beteiligen sich auch die ausgeschiedenen Kandidierenden der SPD-Tour der vergangenen Monate: Olaf Scholz wirbt für die Koalition, stellt in den Vordergrund, was alles erreicht wurde. „Unser aller Leben in Deutschland wäre anders, gäbe es unsere Partei nicht“, ruft der etwas erkältete Vizekanzler ins Plenum. Auch für die Zukunft gäbe es Milliardenprojekte. Er warb außerdem um Zuversicht für die Zukunft: „Wir müssen daran glauben, dass die Zukunft besser werden kann und dass wir einen Plan haben, wie das geht.“

Als Gegenrednerin folgte wenig später Hilde Matheis, die sich auch schon während der Tour kritisch gegenüber der Regierungskoalition geäußert hatte. Auch Nachverhandlungen würden ihrer Meinung nach nicht helfen, um in Umfragen wieder mehr Zustimmung zu bekommen. „Wir müssen raus aus dieser großen Koalition." Die SPD werde als Anhängsel wahrgenommen, nicht als Antreiber. Ihrer Meinung nach sollten die Sozialdemokraten keinen schleichenden Tod hinnehmen.

Ihr Kollege im Bundestag, Matthias Miersch, ist da anderer Meinung: „Wir müssen in den nächsten Wochen und Monaten Druck machen", sagte er mit Blick auf den Kohleausstieg, denn der sei noch nicht Gesetz. Würde die Union an dieser Stelle weiter blockieren, so der Sprecher der Parlamentarischen Linken, sei ein Ausstieg aus der Koalition nicht ausgeschlossen. Er warb aber trotzdem um Unterstützung für die Regierungskoalition, auch im Bezug auf die Umsetzung des Klimapakets. Er sprach sich auch für einen höheren CO2-Preis aus, ging er auf die Kritiker zu, warnte aber auch vor der Lenkungswirkung ohne den Menschen Alternativen beim Verhalten aufzuzeigen.

Schulze antwortet auf Protestaktion

Die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose spricht von einer wichtigen Weichenstellung. Es gehe um Themen wie einen sozialverträglichen Klimaschutz, Umverteiligung, Demokratisierung von Arbeit und Wirtschaft. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das mit der Union möglich ist“, sagt Klose. Dafür brauche es eine linke Mehrheit. Sie plädiert trotzdem dafür, dem Leitantrag zuzustimmen. Sie vertraue den Parteivorsitzenden Walter-Borjans und Esken, so Klose. Der Leitantrag beauftragt die Parteivorsitzenden, Gespräche mit dem Koalitionspartner über neue Vorhaben in der Regierung zu führen. Er endet mit den Worten: „Der Parteivorstand wird auf Grundlage der Gespräche bewerten, ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind.”

Umweltschützer fordern mit einem Transparent vor der Parteitagshalle: „Mehr Klimaschutz oder raus aus der GroKo!” Umweltministerin Svenja Schulze hält das für Unsinn. „Wir müssen das organisieren. Es erwartet doch niemand von der Union, dass die sich um den Klimaschutz kümmern.“ Jeder Minister müsse sich künftig rechtfertigen, was er für den Klimaschutz gemacht hat. „Wir haben das durchgesetzt“, betont Schulze.

Kritik von Franziska Drohsel, Unterstützung von Hubertus Heil

Bei der Debatte um den Leitantrag geht es hin und her: Eine der Kritikerinnen ist Franziska Drohsel, ehemalige Juso-Vorsitzende. Ihr reicht der Antrag nicht für einen Neuanfang. „Wo ist der Aufbruch, wo ist die Vermögensteuer?", fragt sie in den Saal. Sie sei davon überzeugt, dass der personelle Neuanfang in der SPD mit einer inhaltlichen Neuausrichtung verbunden werde müsse. Sie kritisierte die Verschärfungen der Flüchtlingsrechte, geißelte das Klimapaket als völlig unzureichend und vermisst deutliche Aussagen zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit in Deutschland.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hingegen wirbt für den Leitantrag und zwei weitere Jahre in der Regierung. „Wir haben hart verhandelt für die Grundrente. Wir waren mutig“. Jetzt müsse die Grundrente auch durchgesetzt werden. Außerdem wolle er der Minister sein, der den Tarifvertrag in der Pflege für allgemeinverbindlich erklärt - andere würden es nämlich nicht machen. Heil endet mit markigen Worten. Jetzt gehe es darum den Leitantrag zu beschließen „und den Rest, den machen wir im Wahlkampf. Und dann müssen wir die Schwarzen plattmachen.“

Kühnert wirbt für Nachverhandlungen

Unterstützung für den Leitantrag zur Groko gibt es auch von Kevin Kühnert. Es geht ihm um Vertrauen, erklärt er in seiner kurzen Ansprache. Er habe damals über verlores Vertrauen gesprochen, erinnert er an seine Ansprache gegen die große Koalition vor knapp zwei Jahren. „Das ist eine große Koalition, die ich nicht wollte." Nun gehe es aber darum, dass die jetzt gewählten Parteivorsitzenden Unterstützung benötigen: Die beiden seien eine Antwort auf den Vertrauensverlust, den er vor zwei Jahren beschrieben habe.

„Diese beiden Personen werden diese Nachverhandlungen führen", betonte er mit Blick auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Der Auftrag, warum sie gewählt wurden, sei: „Kein weiter so." Diesen Auftrag hätten die beiden verstanden. Aber sie bräuchtenVertrauen für diesen Auftrag. „Ich bin überzeugt, sie werden es nicht missbrauchen“, so Kühnert zum Abschluss.

Lob vom DGB-Vorsitzenden

Der Vorsitzende der NRW-SPD Sebastian Hartmann wirbt für den Leitantrag und somit für das Weiterführen der Koalition. Es mache wenig Sinn das Ende einer Koalition zu beschließen, die erfolgreich war. Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey spricht sich dafür aus, die Regierungsarbeit fortzuführen. „Mir ist wichtig, dass wir von diesem Parteitag das Signal senden, dass die SPD für eine stabile und verlässliche Regierung steht“

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) lobt die bisherige Arbeit der SPD in der Regierung. „Aus der Perspektive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kann sich eure Bilanz sehen lassen. Ich finde: Eure Anstrengungen haben sich gelohnt.“ Der Sinkflug bei der gesetzlichen Rente sei gestoppt worden, die SPD habe auch die Parität in der Krankenversicherung durchgesetzt. Hoffmann ergänzt: „Gewerkschafter sind nie ganz zufrieden. Natürlich fordern wir immer noch einen Schnaps obendrauf.“

Leitantrag zur Zukunft der großen Koalition

Gegen 15.30 Uhr geht es nun um den Leitantrag: „Aufbruch in die neue Zeit“. Es geht um die große Koalition, die Regierungsbilanz. Die frisch gebackene Parteivorsitzende Saskia Esken ergreift das Wort und beruft sich auf die Revisionsklausel des Koalitionsvertrags: „Wir wollen nach zwei Jahren schauen, wo stehen wir?“ Aber, das macht Esken auch deutlich: Die Bilanz der SPD-Minister könne sich sehen lassen.

Nach Ansicht von Norbert Walter-Borjans stellen die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, die Klimapolitik, Investitionen und die Digitalisierung „uns vor neue Herausforderungen.“ Entsprechend habe die SPD noch viel zu tun. Der Leitantrag sei entscheidend für die zukunftsfähigkeit der Koalition. So wie der Leitantrag gemeinsam mit dem Parteivorstand erbarbeitet wurde, bittet „Nowabo“ nun auch um eine rege Diskussion und Teilnahme bei der Debatte.

Kommissarisches Trio verabschiedet

Die drei Musketiere: Unter großem Applaus werden Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig verabschiedet. Die drei hatten die SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles über mehrere Monate hinweg kommissarisch geführt. Zum Abschied gab es eine Karikatur der drei Musketiere. „Eine für alle, alle für einen“, das sei das Motto der drei als kommissarisches Trio gewesen, erläuterte Manuela Schwesig.

Esken und Walter-Borjans neue SPD-Vorsitzende

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans führen künftig die SPD. Sie wurden am Freitagnachmittag in Berlin mit deutlicher Mehrheit gewählt. Esken erhielt eine Zustimmung von 75,9 Prozent, für Walter-Borjans stimmten 89,2 Prozent der mehr als 600 Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag.

Künftig fünf stellvertretende Parteivorsitzende

Bisher waren es sechs, künftig soll es fünf stellvertretende Parteivorsitzende der SPD auf Bundesebene geben. Neben Klara Geywitz aus Brandenburg, Anke Rehlinger aus dem Saarland, dem Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kandidiert auch die SPD-Landesvorsitzende aus Schleswig-Holstein Serpil Midyatli als stellvertretende Parteivorsitzende. Das kündigt der designierte Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans in seiner Rede an.

Nun stellen sich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (getrennt voneinander) als Kandidierende für den Parteivorsitz vor. "Ich kenne die Lebensbedingungen der Menschen, für die wir Politik machen", sagt Saskia Esken, die vor ihrer Zeit als Politikerin u.a. als Paketbotin und als Chauffeurin gearbeitet hat. Arbeitsbedingungen hätten sich seither "nicht zum Guten entwickelt", sagt Esken. "Es gibt Millionen Menschen, die trotz des Wohlands im Land das Gefühl haben, ihre Leistung wird nicht gewürdigt und nicht angemessen entlohnt." Das wollten sie und Walter-Borjans ändern.

Grundlage dafür soll das Sozialstaatspapier des Parteivorstands sein, das der Parteitag am Samstag beschließen will und weitgehend noch unter der Regie von Andrea Nahles erarbeitet wurde. Es sei "bahnbrechend" lobt Saskia Esken und wirbt zudem für einen Mindestlohn von 12 Euro. "Die Menschen sollen Lust auf Veränderung haben", sagt Esken. "Dafür brauchen sie einen starken Staat an ihrer seite."

Kritik übt Saskia Esken an CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die damit gedroht hatte, die bereits beschlossene Grundrente auf Eis zu legen, sollte die SPD eine Nachverhandlung des Koalitionsvertrags fordern. "Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer versucht, die Respektrente in Geiselhaft zu nehmen, ist das respektlos – gegenüber denjenigen, die darauf angewiesen sind und uns, dem koalitionspartner. So geht man nicht miteiander um."

Zu Beginn seiner Rede sagt Norbert Walter-Borjans: „Nach dem Gewinn der Stichwahl gab es viele nette Kommentare. Mein Lieblingskommentar kam von Christian Lindner. Er hat nämlich nur geschrieben, dass er baff ist. Und Christian Lindner ist selten sprachlos. Deswegen war das kein schlechter Einstieg für neue Parteivorsitzende.“ 

Walter-Borjans fordert: „Die SPD muss wieder die Partei der Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland werden.“ Denn in den vergangenen 20 Jahren habe es bereits eine Vermögensumverteilung gegeben, allerdings von unten nach oben und nicht von oben nach unten. „Es ist höchste Zeit, das zu ändern“, sagt Walter-Borjans und verweist auf seine Erfolge als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen in der Bekämpfung von Steuervermeidung. „Wir haben 19 Millionen an Whistleblower überreicht und damit sieben Milliarden zurückgeholt, für Kitas, Schulen und Krankenhäuser.“ 

Der designierte Parteivorsitzende führt aus: „Wir haben uns mit den Finanzlobbys angelegt und wir haben gewonnen, weil wir uns nicht haben einschüchtern lassen.“ Denn Glaubwürdigkeit komme von Standhaftigkeit. Es sei kein Widerspruch, stolz auf das Erreichte zu sein und unzufrieden mit dem noch nicht Erreichten: „Das gehört zu jeder Tour de France dazu. Wer eine Etappe gewinnt, der geht abends nicht ins Bistro, sondern macht weiter, weil er diese Tour gewinnen will.“

Ob die große Koalition fortgesetzt wird, wollen die designierte Vorsitzenden von Gesprächen mit der Union abhängig machen. Im Leitantrag des Parteivorstands gebe es dafür klare Forderungen. "Mit diesem leitantrag geben wir der Koaliton realistische chance auf fortsetzung – nicht mehr, aber auch nicht weniger", sagt Esken auf dem Parteitag. Und an die Delegierten gerichtet: "Wir haben Mut und wir haben große Lust, mit euch zusammen wieder klare sozialdemokratische Politik zu machen."

Parteitag stimmt für Doppelspitze

Mit großer Mehrheit stimmt der Parteitag für die Einführung der Doppelspitze – als Möglichkeit, also nicht verpflichtend.

Rechenschaftsbericht von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: "Der Koalitionsvertrag ist das Grundsatzprogramm unserer täglichen Arbeit", betont Mützenich. "Die prinzipiellen Unterschiede zwischen SPD und Union blieben aber. "Wir wollen Rechtsansprüche schaffen, die CDU Almosen verteilen", sagt Mützenich mit Blick auf die Verhandlungen bei der Grundrente.

Widerspruch gibt es auch für CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Die militärische Logik in die deutsche Außenpolitik zu bringen, findet nicht unsere unterstützung", betont Mützenich. Beim geplanten Kohleausstieg mahnt der Fraktionsvorsitzende einen "engen Schulterschluss mit den Gewerkschaften" an.

Scharfe Kritik übt Rolf Mützenich an der AfD. "Sie treibt die Verrohung der Gesellschaft voran", sagt der Fraktionsvorsitzende mit Blick auf die Ereignisse der vergangenen Monate.

Ausdrücklich bedankt sich Mützenich bei seiner Vorgängerin an der Fraktionsspitze, Andrea Nahles – "auch dafür, dass sie keine Kommentare von der Seitenlinie gibt". Er wolle, dass "die Selbstbeherrschung wieder in unsere Reihen zurückkehrt."

Klingbeil: Die SPD muss für Geschlossenheit stehen

Rechenschaftsbericht von Generalsekretär Lars Klingbeil: "Du hast mir damals nicht gesagt, was alles auf mich zukommen würde", sagt Lars Klingbeil an die Adresse von Martin Schulz, der sich Klingbeil 2017 als Generalsekretär gewünscht hatte. Drei Parteitage, Koalitionsverhandlungen, zahlreiche Landtagswahlkämpfe und nicht zuletzt die Mitgliederbefragung für den SPD-Vorsitz – Klingbeils Aufgaben in den vergangenen zwei Jahren waren umfangreich.

"Wir haben uns bewusst entschieden, euch, die Mitglieder in den Mittelpunkt zu stellen", sagt Klingbeil. "Dieser Weg war richtig." Nach der Wahl der neuen Parteiführung müsse es nun darum gehen, nach vorne zu schauen. "Heute muss der Aufbruch sein. Wir brauchen ein anderes Bild. Die SPD muss für Geschlossenheit stehen", so Klingbeil

Dreyer: Es war mir eine große Ehre, eure Parteivorsitzende gewesen zu sein

Die kommissarische Vorsitzende Malu Dreyer eröffnet den SPD-Bundesparteitag. "Heute strahlt unsere sozialdemokratische Rose wieder im Saal. Sie steht weltweit für internationale Solidarität und Frieden. Wir zeigen sie aus Überzeugung. Wir wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen: Gemeinsam in die neue Zeit."

Dreyer blickt auf die vergangenen knapp sechs Monate als kommissarische Parteivorsitzende zurück. "Am Anfang waren wir zu dritt", erinnert Dreyer daran, wie sie nach dem Rücktritt von Andrea Nahles gemeinsam mit Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel kommissarisch den SPD-Vorsitz übernommen hatte. "Diese Zeit bleibt für mich unvergessen." Dreyer dankt auch Andrea Nahles für ihre Verdienste als Vorsitzende: "Du bist und bleibst eine von uns."

Dreyer erinnert auch an die Errungeschaften der SPD in der Bundesregierung. "Ohne uns gäbe es nicht den Mindestlohn, der so lange von der CDU bekämpft worden ist", so Dreyer. Nun solle er auf 12 Euro steigen. Ein entsprechender Passus findet sich im Leitantrag des Parteivorstands, über den die 600 Delegierten am Freitagnachmittag diskutieren werden. "Wir Sozialdemokraten haben große Ziele. Auch das wird dieser Parteitag deutlich machen", verspricht Malu Dreyer. Und: Die SPD als Wertepartei müsse "formulieren, was wir wollen und nicht, wem wir es rechmachen wollen."

Zum Schluss ihrer Begrüßung sagt Dreyer: "Die SPD ist eine großartige Partei. Vergesst das nie. Und mir persönlich war es eine große Ehre, eure Parteivorsitzende gewesen zu sein."

Warm-up auf dem Presseabend am Donnerstag

Vor dem Start des Parteitags haben SPE und vorwärts am Donnerstag zum Internationalen Presseabend ins "Tipi" eingeladen.

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