Parteileben

30.000 Neumitglieder für die SPD: So kann es gelingen

Bis Ende 2023 will die SPD 30.000 neue Mitglieder gewinnen. Simon Jakobs hält das für realistisch. Gleichzeitig warnt der Experte für Mitgliedergewinnung: „Mitgliederwerbung läuft nicht nebenbei.“
von Kai Doering · 17. Mai 2022
Die SPD als Kümmerer für ihre Mitglieder kann ein Anreiz für den Eintritt und vor allem die Bindung sein, meint Beteiligungsexperte Simon Jakobs.
Die SPD als Kümmerer für ihre Mitglieder kann ein Anreiz für den Eintritt und vor allem die Bindung sein, meint Beteiligungsexperte Simon Jakobs.

Die SPD will bis Ende kommenden Jahres 30.000 Neumitglieder werben. Ist das realistisch?

2017 hat die SPD 31.094 Eintritte verzeichnet, 2018 26.301 Eintritte. Warum sollte sie es also nicht schaffen, bis Ende kommenden Jahre 30.000 Neumitglieder zu gewinnen? Dafür werden aber Anstrengungen der Parteispitze und der Parteibasis unerlässlich sein. Dabei finde ich eine Rechnung ganz interessant: Empirisch zeigt sich, dass die Mitglieder, die aktiv Werbung betreiben, im Schnitt zwei Neumitglieder pro Jahr werben. Man bräuchte also „nur“ 15.000 engagierte Mitglieder, um 30.000 neue Mitglieder pro Jahr zu werben. Die britische Labour-Partei hat ja vor einiger Zeit eine regelrechte Mobilisierungswelle nach innen gestartet und es so geschafft, die Zahl ihrer Mitglieder innerhalb weniger Jahre zu verzweieinhalbfachen. Das lag insbesondere auch an dem Momentum-Movement, das die Partei als Kampagnengruppe flankierte und Methoden des Big Organising nutzte. Das könnte doch ein schönes Ziel für die SPD sein.

Was macht gute Mitgliederwerbung aus?

Mitgliederwerbung läuft nicht nebenbei und schon gar nicht von selbst. Es braucht immer eine Schlüsselposition, im Ortsverein genauso wie in der Bundespartei. Eine Person muss sich verantwortlich fühlen, die Mitgliederwerbung koordinieren und auch mal bei den Mitgliedern nachfragen, wie viele Neumitglieder sie geworben haben – natürlich, ohne ihnen die Pistole auf die Brust zu setzen. Sinnvoll ist dann auch, die Aufgaben Mitgliederwerbung, Betreuung und Austrittsmanagement voneinander zu trennen. Diese Aufgaben könnte man nun auf drei Mitglieder verteilen, wobei ein viertes Mitglied diese drei Teilbereiche dann koordiniert und zusammenführt. Mitgliederwerbung kann so komplementär und nicht bloß additiv gedacht werden.

Und was sollten die potenziellen Werber*innen beachten?

Das verrate ich in meinen Seminaren. Aber Spaß beiseite: Die Menschen sind immer sehr erstaunt, wenn ich ihnen Zahlen nenne, wie viele Menschen in Deutschland potenziell bereit sind, in einer Partei aktiv zu werden. Auch wenn das über die Jahre schwankt, sind es immer noch etwa 20 Prozent der Gesellschaft. Jede und jeder Fünfte wäre also unter gewissen Umständen bereit, in Parteien aktiv und damit eventuell auch Parteimitglied zu werden. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Botschaft für potenzielle Werber*innen. Denn auch wenn es wahrscheinlich ist, dass sie erstmal ein „Nein“ hören werden, wenn sie jemanden fragen, ob sie oder er Parteimitglied werden möchte, sind die die Chancen bei weitem nicht so gering, wie man meinen könnte. Manche müssen auch zwei- oder dreimal angesprochen werden, ehe sie sich für einen Parteieintritt entscheiden.

Sie schreiben in Ihrer Doktorarbeit: „Einer der großen Gründe, warum Menschen nicht Mitglied in einer ehrenamtlichen Organisation sind, ist schlichtweg derjenige, dass sie nicht gefragt wurden.“ Was bedeutet das für eine mögliche Mitgliederwerbekampagne der SPD?

Menschen beteiligen sich nicht, weil ihnen Zeit und Geld fehlen, weil sie keine Lust oder keine sozialen Netzwerke haben, die über Politik reden – und dann auch die Frage nach dem Beitritt ausbleibt! Häufig fehlt tatsächlich der letzte Schritt. Wer dreimal auf einer Parteiveranstaltung war, den muss die oder der Vorsitzende doch mal fragen, ob er oder sie bereits Parteimitglied ist. Wenn nicht, dann gilt es die Frage zu stellen: „Haste denn Lust, Mitglied zu werden?“, oder zumindest: „Magst Du uns in unserer Arbeit unterstützen?“ So kann man sich ein wenig an eine Mitgliedschaft herantasten und Unterstützer*innen gewinnen, denen das Wort Mitgliedschaft vielleicht noch zu verbindlich scheint. Patenschaftsprogramme zur zeitweisen Übernahme von Mitgliedsbeiträgen können gute zusätzliche Anreize sein. Letztlich ist aber zentrales Element, dass ein Mensch einen anderen Menschen anspricht. Im Wahlkampf setzen wir erfolgreich auf Haustürgespräche – das ist für die Mitgliederwerbung noch essenzieller. Ein Sharepic wird kein Mitglied werben, zumindest nicht im großen Stil.

Die Art und Weise, sich in einer Partei zu engagieren, kann sehr unterschiedlich sein. Halten Sie unterschiedliche Mitgliedschaftsmodelle wie sie etwa NGOs anbieten für sinnvoll?

Man sollte den Wert der Rechte, die mit einer Parteimitgliedschaft verbunden sind, nicht unterschätzen. Nicht umsonst entzündet sich ja immer wieder Streit an der Frage, ob auch Nicht-Mitglieder über Dinge, die die Partei betreffen, mitentscheiden dürfen. Deshalb würde ich davon abraten, die Mitgliedschaft aufzuweichen. Um den unterschiedlichen Anliegen der Mitglieder gerecht zu werden, halte ich eine gezielte Abfrage ihrer Interessen für sinnvoller. Dann können sie sich auch zielgerichteter engagieren. Vorbereitete Online-Umfragen, die nur noch per Klick verschickt werden müssen, können dabei auch für die Ortsvereine ein niederschwelliges und leicht zu bedienendes Instrument sein.

Und wie sieht es mit direkten Anreizen aus?

Es gibt unterschiedliche Typen von Mitgliedern. Für die muss es unterschiedliche Anreize geben. Manche sind dabei, weil sie von der Grundidee einer Partei überzeugt sind. Andere Mitglieder sind eingetreten, weil sie politisch mitentscheiden wollen. Ihnen sollte man auch regelmäßig die Möglichkeit dazu geben, also nicht nur alle zwei Jahre, wenn der Ortsvereinsvorstand neu gewählt wird. Diesen verschiedenen Beteiligungs-Typen muss eine Partei gerecht werden. Direkte Anreize zu setzen, wie es etwa die Gewerkschaften machen, wo in der Mitgliedschaft eine Rechtsschutzversicherung enthalten ist, ist dabei schwierig. Das kann höchstens über Netzwerke in der Partei laufen, etwa, wenn sich Mitglieder gegenseitig bei Problemen helfen. Die Partei als Kümmerer für ihre Mitglieder könnte durchaus ein Anreiz für den Eintritt und vor allem die Bindung sein.

Wie gelingt es, Menschen nach dem Eintritt auch zu halten?

Wertschätzung, Wertschätzung, Wertschätzung. Wer sich einbringen möchte, soll das können. Wer bei der ersten Ortsvereinssitzung Streit erlebt, weil Hans und Günther sich seit 30 Jahren spinnefeind sind, macht auf der Türschwelle kehrt. Im Übrigen zu Recht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Großteil der Mitgliedschaft stille Financiers und damit auch sehr glücklich sind. Akut austrittsgefährdet sind je nach Partei zwischen fünf und 14 Prozent, bei der SPD sind wir leider eher im oberen Bereich dieser Werte. Kennzeichnend für diese Austrittsbereiten ist ein geringes innerparteiliches Engagement. Ein Schritt kann dabei wirklich sein, sie zu Engagement zu bewegen. Und das muss nicht nur politisch sein, sondern kann auch darin bestehen, Veranstaltungen organisatorisch oder logistisch zu begleiten. Was erst mal nach Arbeits- und Aufgabenverteilung klingt, ist aktives Einbeziehen im Sinne von: „Hey, von Dir haben wir schon ewig nix mehr gehört! Wir vermissen Dich!“ Da die meisten vollzogenen Austritte empirisch aber auf private Gründe sowie Sachentscheidungen von Parteien zurückgehen, wird auch eine solche Taktik nicht immer helfen. Manche Mitglieder muss man einfach ziehen lassen, wenn sie nicht mehr zur Partei gehören möchten.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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