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2020: Abschied von großen Sozialdemokraten

Im Jahr 2020 mussten wir uns von zahlreichen großen Sozialdemokraten verabschieden: Von Hans-Jochen Vogel über Thomas Oppermann bis Harald Ringstorff.
von Jonas Jordan · 15. Dezember 2020
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Hans-Jochen Vogel: Im Juli starb Hans-Jochen Vogel im Alter von 94 Jahren. Die Ämter, die er inne hatte, aufzuzählen, würde fast für einen eigenen Text reichen. Er führte unmittelbar nach Herbert Wehner vier Jahre lang die SPD-Bundestagsfraktion und folgte 1987 Willy Brandt als Parteivorsitzender. Bei der Bundestagswahl 1983 war er Kanzlerkandidat der Sozialdemokrat*innen. Vogel war zwölf Jahre lang Oberbürgermeister von München und kurzzeitig Regierender Bürgermeister in West-Berlin.

Er war Minister unter zwei sozialdemokratischen Bundeskanzlern, wobei das Amt als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, das Vogel von 1972 bis 1974 ausübte, ihn und seine politischen Ideen bis zuletzt bewegte. Der Plan der SPD für eine Bodenwertzuwachssteuer ist sein politisches Vermächtnis. Vogel brachte sich bis ins hohe Alter mit Leidenschaft in politische Debatten ein, wie auch beim Dreier-Interview mit dem „vorwärts“ zum 30. Jahrestag des Mauerfalls gemeinsam mit Wolfgang Thierse und Hanka Kliese deutlich wurde.

Thomas Oppermann: Selten passte der Satz, dass er mitten aus dem Leben gerissen wurde, treffender als bei Thomas Oppemann. Der Göttinger starb im Oktober im Alter von nur 66 Jahren. Oppermann war an einem Sonntagabend kurz vor einer Live-Schaltung im Fernsehen zusammengebrochen. Er starb noch am selben Tag im Krankenhaus. Bis zu seinem Tod war er seit 2017 Vizepräsident der Bundestages. Zuvor führte er dort vier Jahre lang die SPD-Fraktion. Als Minister für Wissenschaft und Kultur prägte er zudem die Landespolitik in Niedersachsen. Noch wenige Tage vor seinem Tod hatte er im Interview mit dem „vorwärts“ mit Vehemenz die Rechte des Bundestags verteidigt.

Harald Ringstorff: Im November starb Harald Ringstorff im Alter von 81 Jahren. Von 1998 bis 2008 bestimmte er zehn Jahre lang als Ministerpräsident die Geschicke von Mecklenburg-Vorpommern. Ringstorff gehörte 1989 in Rostock zu den Gründungsmitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). Nach der Wiedervereinigung führte er den SPD-Landesverband von 1990 bis 2003. „Ich habe ihn sehr gemocht“, schrieb sein Nachfolger Erwin Sellering in einem bewegenden Nachruf auf vorwärts.de.

Freimut Duve: Der gebürtige Hamburger Freimut Duve galt als Ausnahme-Intellektueller innerhalb der SPD. Er starb im März mit 83 Jahren. Von 1980 bis 1998 gehörte er für die SPD dem Bundestag an. Bekannt wurde Duve darüber hinaus durch sein vielfältiges literarisches Engagement. Er galt als Weggefährte von Siegfried Lenz und Günter Grass. 1970 wurde Freimut Duve Lektor beim Rowohlt-Verlag und war fast 20 Jahre lang verantwortlich für die längst legendär gewordene Buchreihe „rororo-aktuell“. Zuvor arbeitete er als Redakteur für den „stern“.

Anton Schaaf: Er war gelernter Maurer, Fahrer bei der Müllabfuhr, Betriebsrat und von 2002 bis 2013 SPD-Bundestagsabgeordneter. Im Herbst starb Anton „Toni“ Schaaf vollkommen unerwartet mit 58 Jahren. Innerhalb der SPD-Fraktion wurde er vor allem als Arbeitsmarktpolitiker geschätzt. Dass er auch menschlich bleibende Wirkung hinterließ, zeigt der bewegende Nachruf der Bundestagsabgeordneten Katja Mast, Sonja Steffen, Arno Klare und Stefan Schwartze: „Du warst ein toller Freund und Ratgeber. Du warst hoch-geschätzt, weit über Parteigrenzen hinaus. Was Du geschaffen hast, bleibt.“

Ellen Wisniewski: Sie war die wohl älteste Kommunalpolitikerin Deutschlands und überzeugte Sozialdemokratin. Noch mit 92 Jahren kandidierte sie für einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung der brandenburgischen Spargelstadt Beelitz. 1945 trat Wisniewski in die SPD ein. Die Partei wurde bald darauf mit der KPD zur SED zwangsvereinigt. So wurde auch Wisniewski SED-Mitglied, blieb aber „in der Gesinnung“ weiter Sozialdemokratin, wie sie später beteuerte. 1979 wurde sie Bürgermeisterin von Zauchwitz und blieb es 40 Jahre lang. Als es wieder möglich war, kehrte Wisniewski zu ihrer Herzenspartei SPD zurück. Im Frühjahr starb sie mit 93 Jahren.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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