104 neue Abgeordnete: Frischer Wind in der SPD-Fraktion
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„Hi ich bin Nadja!“ „Ich bin Andreas.“ „Bist du auch neu?“ – Mittwochnachmittag, kurz vor 14 Uhr, der Stundenplan für neu gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete sieht eine dreistündige Einführungsveranstaltung vor. Mit dabei ist auch Nadja Sthamer. Die 30-Jährige kandidierte im Leipziger Süden für die SPD. „Ich glaube, dass ich eine Brücke bilden kann. Ich bin zwar mit 30 Jahren noch jung, habe aber schon zwei Kinder und bin im Job abgekommen“, sagt sie bereits zu Jahresbeginn im Gespräch mit dem „vorwärts“. Auf der Landesliste der sächsischen SPD stand sie auf Platz sechs.
Aufbruch mit Hindernissen
Als Sonntagnacht klar war, dass der zum Einzug in den Bundestag reichen würde, war ihre Freude groß. Doch viel Zeit zum Durchatmen blieb nicht. Denn bereits am Dienstagmorgen stand die erste Fraktionssitzung in Berlin an. 2009 hatte Sthamer einmal ein Praktikum im Bundestag gemacht. Ein wenig kannte sie sich daher noch aus. Trotzdem bleibt der Weg zur ersten Sitzung nicht ohne Hindernisse. Der Zutritt zum Plenarsaal wurde ihr zunächst verwehrt, denn der sei nur für Abgeordnete, nicht für Mitarbeiter*innen möglich. Letztlich nur eine Randnotiz. Sthamer sagt: „Ich bin so dankbar und glücklich, hier sein und das Ganze erleben zu dürfen.“
Sie ist seit Sonntag eine von 104 neuen SPD-Abgeordneten, viele davon noch im Juso-Alter. Sie alle haben am Dienstag während der Fraktionssitzung eine Minute Zeit, um sich vorzustellen. Manche sprechen über ihre Hobbies, andere über ihre Herzensthemen oder ihre Lebensgeschichte. Es herrscht Aufbruchstimmung bei den Sozialdemokrat*innen. Das spürt auch der mit 97 Prozent wiedergewählte Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Bei einem Pressestatement am Mittwoch sagte er: „Ich möchte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass wir eine sehr interessante, eine sehr lebhafte, eine sehr junge, eine sehr diverse SPD-Bundestagsfraktion haben. Ich bin da sehr frohr darüber. Wir haben sehr interessante Biografien in unserer Fraktion. Das macht uns auch für die vier Jahre so stark.“
Unter den 206 SPD-Abgeordneten sind nicht nur 49 Jusos, sondern auch 35 Menschen mit Migrationsgeschichte – so viele wie nie zuvor. Eine von ihnen ist Ye-One Rhie aus Aachen. „Es ist total surreal. Immer wenn ich mich vorstelle, sage ich noch, dass ich die Kandidatin aus Aachen bin“, berichtet sie im Gespräch mit dem „vorwärts“. Das Wort Abgeordnete geht ihr noch schwer über die Lippen.
Ein bisschen wie zum Uni-Start
Denn viel Zeit zum Durchatmen und um den Erfolg erst mal sacken zu lassen, blieb den neuen Parlamentarier*innen nicht. Einige sind noch Sonntagnacht Richtung Berlin aufgebrochen und teilweise eine Dreiviertelstunde vor der Hauptstadt mit einer Autopanne liegen geblieben. Andere haben sich quer durch die Republik mit dem Zug auf den Weg gemacht und die Nacht in zugigen Bahnhöfen verbracht. Viele übernachten erst einmal im Hotel, manche schmieden aufgrund der angespannten Wohnsituation in Berlin Pläne für eine Abgeordneten-WG. Ein bisschen erinnert die Stimmung an eine Einführungswoche im ersten Semester an einer Universität.
„Es ist alles sehr spannend und eine große Ehre, aber ich glaube, wir sind alle noch zu abgekämpft, aber auch zu euphorisch, um das alles realisieren und sacken lassen zu können“, meint Sebastian Roloff. Der Rechtsanwalt aus München-Obergiesing hat auf Platz fünf der Landesliste der bayerischen SPD kandidiert. Somit konnte er mit hoher Sicherheit davon ausgehen, ins Parlament einzuziehen. Doch auch er musste sich anfangs in den Räumlichkeiten des Bundestages noch an manches gewöhnen: „Am ersten Tag habe ich mich im Jakob-Kaiser-Haus hoffnungslos verlaufen. Ich wollte mich mit einem Grünen-Abgeordneten treffen und habe eine halbe Stunde lang den Raum gesucht.“
In freudiger Erwartung der Kanzlerwahl
Roloff sagt: „Vom Wahlkampf sind wir alle noch ein bisschen müde, aber das hält uns natürlich nicht davon ab, von Tag eins ab richtig loszulegen und Vollgas zu geben.“ Ein wenig überrascht war er allerdings schon, wie voll getaktet die ersten Tage als Bundestagsabgeordneter bereits waren. Von Sitzung zu Sitzung und abends noch auf einen Empfang. Gleich am Mittwoch stand innerhalb der Fraktion mit der Wahl Mützenichs direkt die erste Wahl an. Davon berichtet Verena Hubertz, Start-Up-Gründerin und seit Sonntag direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Trier: „Das war ein ganz besonderes Gefühl, diesen Zettel in die Urne zu werfen und das erste Mal als Mitglied des Bundestages parteiintern abzustimmen.“
Kaweh Mansoori, südhessischer SPD-Bezirksvorsitzender und Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt, blickt derweil bereits einer weiteren, noch bedeutenderen Abstimmung entgegen: „Ich freue mich besonders, dass wir in wenigen Wochen Olaf Scholz zum nächsten Bundeskanzler wählen dürfen. Das war die große Mission und ich glaube, wir sind kurz vor dem Ziel.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo