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Von „Coronabonds“ bis ESM: SPD für schnelle EU-Finanzhilfen

Von europäischer Solidarität war in Zeiten der Corona-Krise anfangs nur wenig zu sehen. Doch das scheint sich nun zu ändern – auch die SPD appelliert an die länderübergreifende Verantwortung in Europa.
von Benedikt Dittrich · 1. April 2020
Europäische Union
Europäische Union

Die Europäische Union scheint in diesen Tagen aufzuwachen. Nachdem in den vergangenen Wochen die Nationen unterschiedlich auf die Verbreitung des neuartigen Coronavirus reagierten und die Maßnahmen kaum untereinander koordinierten, scheint nun der Gemeinschaftsgedanke wieder eine größere Rolle zu spielen. Im Mittelpunkt der Debatte stehen derzeit schnelle Finanzhilfen über den Europäischen Rettungsschirm ESM.

Dafür macht sich auch das SPD-Spitzenpersonal stark. So brachte der Co-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans im Deutschlandfunk europäische „Coronabonds“ ins Spiel, Vizekanzler Olaf Scholz verwies auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, um Nationen zu unterstützen, die durch die Pandemie vor Problemen stehen, die sie nicht mit landeseigenen Finanzpaketen lösen können.

ESM oder Coronabonds – der Unterschied

Vorbild für Coronabonds sind Eurobonds, wie sie in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren debattiert wurden. Anders als bei den Eurobonds geht es derzeit aber konkret um Kredite zur Bewältigung der Corona-Krise in Europa. Über die Bonds würde die Kreditwürdigkeit der Einzelstaaten nicht gefährdet, weil dafür die gesamte Europäische Union mit eintritt. Kredite über den ESM hingegen würden Zinslast und Schuldenquote der einzelnen Länder in die Höhe getrieben werden, befürchtet Norbert Walter-Borjans – wie bei der Finanzkrise, die 2008 die Europäische Union stark belastete und Spekulationen an den Aktienmärkten gegen einzelne, schwache Euroländer befeuerte. Durch die gemeinsame Haftung bei den Coronabonds hingegen wäre das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit von Ländern wie Italien oder Spanien nicht gefährdet, weil sie von der wirtschaftlichen Stärke der gesamten EU profitieren – so die Idee. Von einer Kollektivierung der Schulden könne aber keine Rede sein.

Einzelkredite würden auch jetzt wieder einzelne Länder als finanzpolitische Verlierer stigmatisieren. „Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen“, appelliert Walter-Borjans an die gemeinsame europäische Solidarität. Deswegen hält er Coronabonds langfristig auch aus Eigennutz für die bessere Lösung: „Wenn diese Staaten wirtschaftlich nicht auf die Beine kommen, kommt Europa nicht auf die Beine.“ Die Folge wäre laut dem Sozialdemokraten, dass die EU nach der Krise hinter den anderen Wirtschaftsregionen auf der Welt zurückfallen würde.

Allerdings: Die Hürden für solche „Bonds“ wären hoch, denn einen derartigen Mechanismus gibt es auf europäischer Ebene derzeit nicht. Deswegen bleibt Walter-Borjans pragmatisch – und spricht sich stattdessen zunächst für eine Anpassung des ESM aus, den es ja bereits gibt. Länder sollten weniger Auflagen bekommen und die Kreditvergabe über den europäischen Rettungsschirm solle mit weniger Forderungen verbunden sein. „Das Geld soll schnell fließen“, erklärte der Co-Parteichef dem Deutschlandfunk. „Es hilft uns nicht, wenn wir die besseren Forderungen haben, wir müssen die besseren Lösungen präsentieren.“ Kurzum: Coronabonds wären besser, Geld aus dem ESM könnte aber schneller fließen – was in der gegenwärtigen Situation aus Sicht von Walter-Borjans Vorrang hat.

Scholz, Mützenich und Walter-Borjans in Kontakt

Deswegen versucht die SPD auch gemeinsam möglichst schnell eine Lösung zu präsentieren – Norbert Walter-Borjans, Finanzminister Olaf Scholz und der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich stehen dazu im Austausch miteinander. Im Blick haben sie dabei eben ausdrücklich nicht allein die Situation in der Bundesrepublik, sondern die europäische. Die drei Sozialdemokraten sind sich demnach einig, dass den am schwersten betroffenen Staaten schnell und unbürokratisch geholfen werden soll – von der finanziellen Stabilisierung bis hin zur Sicherung von Arbeitsplätzen.

Der konkrete Vorschlag: Kreditaufnahme über den ESM, eine Beschränkung der Geldvergabe bestehe lediglich darin, dass die Gelder für die Bewältigung der Corona-Krise eingesetzt werden müssen. Von weiteren Kontrollen oder Auflagen hält Walter-Borjans in diesen Zeiten wenig, wie er gegenüber dem Deutschlandfunk klar machte. Derzeit sei man nicht an einem Punkt, an dem sich Staaten „irgendwelche schönen Dinge“ mit den Krediten finanzierten.

Stattdessen warnt er vor zu strengen Kontrollen: „Wir haben im Moment in Europa ein Problem mit der gegenseitigen Solidarität. Wenn wir uns auf die nicht zurückbesinnen, dann wird dieses Europa atomisiert.“ Die Debatte über Coronabonds würden aber weitergeführt werden, versichert Walter-Borjans: „Die führen wir innerhalb unserer Partei, aber vor allem auch mit unserem Koalitionspartner.“ Je nach Schätzung und Art der finanziellen Unterstützung geht es nach Ansicht von Walter-Borjans um ein Finanzvolumen von bis zu einer Billion Euro.

Europäische Idee retten

Norbert Walter-Borjans verdeutlichte im Gespräch mit dem „vorwärts" die Notwendigkeit der Debatte:  „Corona droht in Europa zum Synonym dafür zu werden, dass jeder sich selbst der Nächste ist.“ So ehrenwert die Aufnahme schwerstkranker Patienten aus Italien und Frankreich in deutsche Krankenhäuser auch sei – er sieht es als eine Selbstverständlichkeit unter Freunden und Partnern. „Und ich freue mich, dass das die Ärzte und Pfleger auch so sehen.“

Das andererseits EU-Staaten in finanziellen Nöten um Hilfe betteln müssten, sei ein Skandal: „Wir müssen uns endlich bewegen und Solidarität zeigen, damit nicht nur die notleidenden Mitgliedstaaten gerettet werden, sondern auch die europäische Idee.“ 75 Jahre Frieden und Demokratie in Kerneuropa seien nicht vom Himmel gefallen. „Jetzt wäre es Zeit für eine massive und gemeinsam verantwortete Gemeinschaftsanleihe in Form von Coronabonds", so Walter-Borjans weiter. „In dieser Situation unternehmen wir das Bestmögliche: den bedrängtesten EU-Partnern jenseits einer Gemeinschaftsanleihe sehr schnell sehr viel Geld für möglichst lange Zeit zur Verfügung zu stellen - ohne die demütigenden und unerfüllbaren Auflagen der Vergangenheit. Dafür wirbt Olaf Scholz gegenüber dem Koalitionspartner und den Partnern in der EU rund um die Uhr - und wir beide gemeinsam in unserer Partei und gegenüber der Öffentlichkeit.“

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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