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SPD-Expertin: Komplette AfD sollte unter Beobachtung gestellt werden

Knapp zwei Monate sind seit dem rechtsextremen Anschlag in Hanau vergangen. Die Bedrohungslage von Rechts ist nach wie vor unverändert, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Susann Rüthrich. Sie fordert, rassistische Motive klar zu benennen und die AfD unter Beobachtung zu stellen.
von Jonas Jordan · 16. April 2020
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Wie steht es im Kampf gegen Rechts zwei Monate nach dem Anschlag von Hanau?

Die Bedrohungslage ist nach wie vor da. Vor der Corona-Krise wurden zumindest endlich einmal Probleme klar benannt. Endlich hat es auch Horst Seehofer im Innenausschuss so benannt, dass es kein verwirrter Einzeltäter war, sondern es sich um rechtsextremen Terror handelt. Diese klaren Worte haben sich viele Betroffene und Aktive schon viel früher gewünscht. Zugleich wurden endlich Gruppierungen wie Combat-18 verboten. Dadurch haben wir einen guten Schritt nach vorne gemacht, aber jetzt heißt es dranbleiben, auch wenn andere Themen die Großwetterlage bestimmen. Denn für diejenigen, die unter rechtem Terror, Rassismus und Angriffen leiden, hat sich nichts verändert.

Häufig wird im Kontext von rechtsextremen Taten von Einzeltätern gesprochen. Trägt das dazu bei, dass rechte Gewalt verharmlost wird?

Auch wenn beispielsweise ein Mensch alleine eine Straftat verübt hat, heißt das nicht automatisch, dass er ein Einzeltäter ist. Er handelt als Teil eines Netzwerkes und einer Ideologie, die sich mannigfaltig verbreitet hat. Das macht es auch so gefährlich. Am Ende braucht es nur einen, der das umsetzt, was seine Gemeinschaft ihm vorher als richtig suggeriert hat. Deswegen ist es eine totale Verharmlosung, von Einzeltätern zu sprechen. Ich habe das schon immer für problematisch gehalten.   

Im Zusammenhang mit dem Anschlag von Hanau gab es Verwirrung um einen angeblichen Abschlussbericht des BKA, in dem die Tat nicht als rechtsextrem beziehungsweise rassistisch motiviert gewertet werde. Das BKA hat das dementiert. Warum ist diese Einordnung so wichtig?

Weil es nur dann auch die tatsächliche Bedrohungslage widerspiegelt. Es ist keine Tat eines Einzelnen ohne gesellschaftlichen Kontext. Denn es kommt den Tätern nicht darauf an, eine spezifische Person anzugreifen, sondern der Angriff zielt auf eine bestimmte Gruppe. Und die Gruppe, die sich bedroht fühlen soll, weiß auch, dass sie gemeint ist. Deswegen ist es so wichtig, dieses Motiv klar zu benennen, damit man präventiv stärker tätig werden kann.

Wieso fällt es den Ermittlungsbehörden häufig so schwer, das Motiv klar zu benennen?

In der Sitzung des Innenausschusses, als es um Hanau ging, hatte ich den Eindruck, dass sich da etwas bewegt hat. Im Vergleich zum Anschlag in München vor einigen Jahren hat diesmal niemand Rassismus als Tatmotiv in Frage gestellt. Das war ein wichtiger Schritt. Damit das überall durchdringt, bedarf es sehr viel Sensibilisierungsarbeit in den Behörden, um diese spezifische Motivlage zu erkennen. Dass das den Behörden nicht ganz leicht fällt, hat man beim NSU gesehen. Da wurde das Problem systematisch verkannt. Das hängt auch damit zusammen, wie viele potenziell von Rassismus betroffene Menschen in den Behörden arbeiten.

Ist die Strafverfolgung von Rechtsextremen konsequent genug?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Mit Blick auf die Bundesbehörden habe ich im vergangenen Jahr ein sehr konsequentes Handeln und ein schnelles Eingreifen etwa des Generalbundesanwaltes gesehen. Da ist wirklich etwas passiert, was konsequentes Durchgreifen angeht. Ob das an allen Stellen schon ausreichend ist, wage ich zu bezweifeln. Beispielsweise sind erschreckend viele Rechtsextreme untergetaucht, die per Haftbefehl gesucht werden.

Der Mord an Walter Lübcke, der Angriff auf einen Eritreer in Wächtersbach und der Anschlag von Hanau – muss man in Bezug auf rechte Gewalt den Fokus stärker auf Hessen richten?

Es gibt überall in Deutschland rassistisch oder rechtsextrem eingestellte Personen. Es braucht nur ein paar wenige, die zur Tat schreiten, damit es zu so einer Häufung wie jetzt in Hessen kommt. Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke zum Beispiel war schon früher auffällig, geriet aus dem Blick der Behörden und schlug dann zu, weil die Radikalität nie weg war.

Erst durch die Recherchen der Journalistin Andrea Röpke wurde bekannt, dass der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke beim sogenannten Trauermarsch von Chemnitz mitgelaufen ist. Wie kann man Journalist*innen besser schützen, die im rechten Milieu recherchieren und gleichzeitig häufig bedroht werden?

Das tun wir beispielsweise durch das Gesetzespaket, das Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kürzlich vorgelegt hat, in dem es konkret um den Schutz von Menschen geht, die durch Rechte bedroht werden. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, da auch Journalistinnen und Journalisten ebenso einzubeziehen wie zivilgesellschaftliche Akteure. Die sind bisher zu wenig geschützt. Das ist ein Zustand, den wir so nicht beibehalten können. Denn diejenigen, die sich gegen Rechtsextreme, Nazis und Rassisten stellen, müssen auch unseren Schutz bekommen.

Inwieweit ist rechtsextremes Gedankengut durch das Erstarken der AfD gesellschaftlich anschlussfähiger geworden?

Das Potenzial war die ganze Zeit da. Mit der AfD ist ein politischer Akteur dazu gekommen, der nicht gewählt wird, obwohl er Nazis und Rassisten in seinen Reihen hat, sondern im Zweifel genau deswegen. Denn es gibt viele Menschen, die genau das wollen. Sie wollen eine ungleiche Gesellschaft. Das erfüllt mich mit großer Sorge. Diese Menschen müssen die Verantwortung dafür tragen, in welcher Gesellschaft wir leben würden, wenn die AfD tatsächlich das umsetzen könnte, was sie fordert. Wer AfD wählt, dem muss bewusst sein, dass er eine Gesellschaft wählt, in der es vielen Menschen sehr schlecht gehen würde.

Was bedeutet in dem Kontext die Auflösung des sogenannten Flügels in der AfD?

Gar nichts. Das ist ein einfaches Täuschungsmanöver, das sehr leicht zu durchschauen ist. Höcke, Kalbitz und Co. sind weiter in Amt und Würden. Solange die AfD sich von diesen Personen und deren Inhalten nicht distanziert, hat das überhaupt keine Bedeutung. Es sollte aus meiner Sicht aber dazu führen, dass man die komplette Partei unter Beobachtung stellt.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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