Rechtsextremer Europaabgeordneter finanzierte jahrelang antisemitische Propaganda.
Budapest – Csanád Szegedi hatte die Perspektive einer schönen, viel versprechenden und sehr lukrativen Karriere vor sich. Nach dem Studium der Geschichte an einer kalvinistischen Universität in der Provinzstadt Miskolc interessierte sich der junge Mann für das Nationale und trat bereits 2005, als Mitglied der ersten Stunden, der Jobbik bei. Schon ein Jahr später wurde er stellvertretender Vorsitzender der rechtsradikalen Bewegung,
2007 gehörte er zu den Mitgründern der Ungarischen Garde, Jobbiks Paramilitärorganisation. Als er dann 2009 bei den Wahlen für das EU-Parlament gewählt wurde, schien sein rasanter Aufstieg nicht mehr zu stoppen. Die antisemitischen Tiraden des kaum 30-jährigen Europaabgeordneten mobilisierten die Anhänger ebenso wie seine Vehemenz gegen die „Zigeunerkriminalität“ und die „schwule Devianz“.
Szegedi unter Druck
Und jetzt plötzlich das: Im Juni wurde bekannt, dass Magdolna Klein, Szegedis mütterliche Großmutter, 1944 nach Auschwitz deportiert wurde – und zum Glück den Holocaust überlebte. Ein Jahr später durfte Oma Klein nach Ungarn ohne Angst zurückkehren. Viel schwieriger gestaltet sich jetzt, nach den Enthüllungen, die Lage von Szegedi selbst: „Kann man denn Jude und Jobbik-Vize sein?“, fragen sich seitdem viele Nutzer der rechtsextremen Foren und Internetseiten. Die offizielle Antwort der Partei lautet: „Ja“. Es komme nicht auf die ethnische Herkunft an, sondern auf das wahre Engagement für die Causa des nationalen Radikalismus in Ungarn, erklärte Parteivorsitzender Gábor Vona. Freilich wirkte dieser Differenzierungsversuch auf manch einen Anhänger nicht gerade überzeugend.
So oder so musste Szegedi auf Druck der Parteiführung von seinem Amt des stellvertretenden Vorsitzenden zurücktreten. Vor allem Elöd Novák, selber Jobbik-Vize und eine der Schlüsselfiguren in der neofaschistischen Bewegung, forderte seinen Rücktritt, nachdem sich herausstellte, dass er – anders als ursprünglich behauptet – bereits seit 2010 von seiner Herkunft Kenntnis hatte. Die Dokumente über Oma Klein gerieten damals in die Hände von Zoltán Ambrus, einer lokalen Jobbik-Größe in Szegedis Heimatstadt Miskolc. Ambrus kommt aus dem Umfeld der rassistischen Täter, die 2008 und 2009 sechs Roma ermordet und mehr als ein Dutzend verletzt haben. Nachdem er ein halbes Jahr im Gefängnis sitzen musste, weil in seinem Haus Sprengstoff und mehrere Schusswaffen gefunden wurden, beschloss er, Kollege Szegedi zu erpressen.
Erpressung mit Geldern aus Brüsseler Etat
Auf einem Tonband aus 2010, das Mitte Juli auf der rechtsextremistischen Internetseite Jövönk („Unsere Zukunft“) erschien, konfrontiert Ambrus den EU-Abgeordneten mit dem Inhalt der Dokumente. Daraufhin verspricht Szegedi, Ambrus mit Geldern aus seinem Brüsseler Etat „ganz legal“ zu bezahlen, wenn dieser von der Veröffentlichung absehen würde. Bestätigten Medienberichten zufolge war Ambrus nicht der Einzige, der von Szegedis Großzügigkeit profitierte. Parteivize Novák selber und mindestens zwei weitere Jobbik-Mitglieder bezogen jahrelang Entgelte als lokale Assistenten und Berater des EU-Abgeordneten – bis der Machtkampf zwischen den Rivalen in der Partei eskalierte und alles aufgedeckt wurde.
Die Affäre um den jüdischen Antisemiten bekommt damit eine neue, europäische Dimension. Es stellt sich heraus, dass die europäischen Steuerzahler nicht nur Erpresser wie Ambrus, sondern auch wichtige Figuren der ungarischen antisemitischen und rassistischen Propaganda finanziert haben und möglicherweise weiter finanzieren. Elöd Novák, zum Beispiel, bekam rund 3.500 Euro für einige Monate vermeintlicher Assistentenarbeit für das Europaparlament. Auf einer Jobbik-Veranstaltung im Januar verbrannte der Mann die EU-Flagge. Außerdem gehört er bekanntermaßen zu den Herausgebern und Leitartiklern des rechtsextremistischen Nachrichtenportals kuruc.info, das seit Jahren gegen die „jüdische Verschwörung“, gegen Roma, Schwule und Linksliberale hetzt.
Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierung haben mehrmals erklärt, dass sie die Webseite nicht schließen können, weil die Server sich in den USA befinden. Novák wurde nie in diesem Zusammenhang angezeigt oder untersucht. Er hingegen zeigte vorige Woche Efraim Zuroff, den Leiter des Simon-Wiesental-Zentrums in Jerusalem, an und warf ihm falsche Behauptungen über den Kriegsverbrecher László Csatáry vor.
Ende Juli musste Szegedi aus Jobbik komplett austreten. Anfang August besuchte er den Budapester Chabad-Rabbiner Somló Köves, entschuldigte sich für seine früheren antisemitischen Äußerungen und erklärte seine Absicht, Auschwitz zu besuchen. Seinen Posten als EU-Abgeordneter möchte Szegedi jedoch behalten. Ebenso wie sein Geschäft mit Rechtsextremisten-Bedarf der in der Szene beliebten Marke „Turul“.