Kultur

Der Spalter von Brokdorf

von ohne Autor · 23. August 2012

Was macht der Protest aus Menschen, wenn er scheitert? Wie lebt es sich in Sichtweite zu einem Atommeiler, dessen Bau Polizeiknüppel erzwangen? „Das Ding am Deich“ schildert Macht und Ohnmacht zivilen Ungehorsams – mit Lehren weit über Brokdorf hinaus.

 Ein Dorf, ein Atomkraftwerk und ein zermürbender Konflikt: Am Anfang kann Renate Bolten aus Brokdorf die sorgfältig gesäumten Spruchbänder nach der Demo wieder mit nach Hause nehmen. Fünf Jahre später sprengen die Proteste gegen die Wiederaufnahme der Bauarbeiten am Atomkraftwerk die Vorstellungskraft der, wie sie im Gespräch mit Regisseurin Antje Hubert bekennt, „eigentlich ganz konservativen“  Milchbäuerin: Im Februar 1981 erlebt die Bundesrepublik nicht nur die größte Demonstration, sondern auch den größten Polizeieinsatz ihrer Geschichte. Das von den Behörden mit Wasserwerfern und Tränengas durchgesetzte Verbot friedlicher Kundgebungen erklärt Karlsruhe später für verfassungswidrig.

Es hilft alles nichts: Ende 1986, nur ein halbes Jahr nach dem Super-GAU von Tschernobyl, geht das AKW ans Netz. Vom Widerstand bleibt eine einsame Mahnwache aus Kerzen. Doch im April 2010 stehen 120 000 Menschen am Elbdeich zwischen Brunsbüttel und Krümmel: Schwarz-Gelb verkündet die Laufzeitverlängerung für Reaktoren. Für Renate Bolten und die anderen Veteranen der Anti-Atom-Bewegung geht es wieder los.

Symbolort und Fremdkörper

Interviews und Archivaufnahmen rufen es in Erinnerung: „Das Ding am Deich“ ist neben Gorleben und Wackersdorf der wichtigste Symbolort im Streit um die Kernenergie. Die norddeutsch-schnoddrige Bezeichnung für eines von insgesamt vier Atomkraftwerken im Großraum Hamburg könnte aus dem Mund jener Brokdorfer stammen, die Antje Hubert zwischen 2008 und 2011 befragt hat. Darin spiegelt sich die lakonische Sicht auf einen vertrauten Fremdkörper wider: Einerseits lehnt ihn die Protest-Fraktion im Dorf ab, andererseits haben sich einige Mitstreiter damit abgefunden oder üben sich in Ignoranz – manch einem hilft dabei eine Hecke, die die Sicht auf den ungeliebten Meiler versperrt.

Von solchen alltäglichen und teils schrulligen Details des Landlebens lebt Antje Huberts Dokumentarfilm. Dieser porträtiert nicht nur die Bürgerbewegung vor Ort, sondern auch die Brokdorfer Dorfgemeinschaft an sich – sofern sich davon überhaupt noch sprechen lässt. Die Proteste führen in der Hochphase der Neuen Sozialen Bewegungen nicht nur Landbewohner zusammen, die vorher wenig miteinander zu tun hatten: Sie trennen auch gewachsene Beziehungen. 

Kommunisten-Verdacht

Der achtjährige Sohn von Milchbauer Ali Reimers wird in den 70er-Jahren auf dem Fußballplatz als „Kommunist“ beschimpft – was zu damaliger Zeit kaum zu steigern war. Ein Kaufmann habe die AKW-Gegner am liebsten in die Gaskammer stecken wollen, berichtet die Hotelfachfrau Antje Ahmling unter Tränen. Zudem hätten Polizisten und Wachleute aufmüpfige Dörfler bespitzelt und schikaniert. Der frühere Bürgermeister erinnert sich vor allem an die „wunderschönen Arbeitsplätze“, die die Kraftwerksbetreiber in die strukturschwache Region gebracht hätten. Ein 6,6 Millionen teures Freibad sprang für den 980-Seelen-Ort ebenfalls dabei heraus. 

Gleichzeitig bietet „Das Ding am Deich“ einen unterhaltsamen Überblick über die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung in der Bundesrepublik von den frühen Siebzigern bis nach Fukushima – stets in Rückkopplung zum Mikrokosmos in der Wilstermarsch.

Ursprünglich wollte Antje Hubert den Alltag der Brokdorfer zwischen zwei Wintern begleiten: Doch dann zwang die Reaktorkatastrophe in Japan das Team in die Verlängerung: Der ruhige Erzählstil, der von stimmigen Details der herben Landschaft aus sattgrünem Gras und roten Klinkerbauten lebt, bleibt erhalten, doch zu dem resignativen Ton der Gesprächspartner mischt sich nun auch Beunruhigung: Haben die wachsamen Deichanrainer  nicht schon immer vor den Risiken jener Technologie gewarnt? Dass der Meiler vor ihrer Haustür im Rahmen des Atomausstiegs spätestens 2021 vom Netz gehen soll, befriedigt sie mäßig.

Griff zur Flagge

Doch es gibt auch andere Töne. Eben noch versagt Ali Reimers, dem müde gewordenen Wutbürger, bei der Erinnerung an den Baubeginn am Reaktor die Stimme. Wenige Sequenzen später hisst er, als hätte er einen Energieschub bekommen, zufrieden lächelnd seine altgediente Flagge mit der Anti-Atomkraft-Sonne. Ein Meteorologe, der zwölf Jahre lang erfolglos gegen die Betreiber klagte, ruft dazu auf, den Kampf wieder aufzunehmen. Sein Motto: „Wir müssen schneller sein als das Unglück.“

Gerne würde man mehr über die Gegenseite erfahren. Deren Motive referieren vor allem Gerhard Stoltenberg, der frühere CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Altkanzler Helmut Schmidt aus dem Archiv.

Trotz einer gewissen Einseitigkeit handelt es sich bei diesem Film jedoch um keine Glorifizierung: Dazu sehen die alt gewordenen Protestler ihre Möglichkeiten, etwas zu bewegen, viel zu nüchtern. Doch ihre Argumente sind aktueller denn je.

 

Info: „Das Ding am Deich – vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk“ (D 2012), ein Film von Antje Hubert, 96 Minuten. Kinostart: 23. August
www.dasdingamdeich.de

 

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