Weltweit arbeiten laut der „International Labour Organization“ rund 215 Millionen Kinder, darunter 115 Millionen in gesundheitsgefährdenden Jobs. Sie bauen Samsung-Handys zusammen, nähen Fußbälle für Puma oder schuften in Steinbrüchen.
Gerade im informellen Sektor ist Kinderarbeit ein globales Problem: In Argentinien beispielsweise ist sie hauptsächlich in der Landwirtschaft verbreitet, ebenso in Indien.
Seit kurzem ist sehr einfach festzustellen, hinter welchem Produkt Kinderarbeit steckt. Die Kampagne „avoid“ (zu deutsch: „vermeide“) hat sich zum Ziel gesetzt, den Produktdschungel, mit dem wir täglich konfrontiert sind, transparenter zu machen. Installiert man die „Avoid“-Software, werden beim Online-Einkauf Produkte blockiert, die durch Kinderarbeit entstanden sind. Hierbei erschreckt die schiere Masse: Bereits weit über eine Million Gegenstände sind registriert – und es werden täglich mehr.
Für Aufsehen im europäischen Raum sorgte im vergangenen Jahr die Reportage des niederländischen Regisseurs Mehmet Ülger „Children of the season“. Er begleitete türkische Familien bei der Haselnussernte an die Schwarzmeerküste. 70.000 Kinder arbeiten laut der regionalen Lehrergewerkschaft in diesem Bereich, zumeist bis zu sechs Monate im Jahr.
Endlose Liste
Ihre Familien sind finanziell von der Unterstützung abhängig, die Schulen in den Heimatdörfern bleiben leer. Mehmet Cilik, der die Erntearbeiter rekrutiert, erklärt in Ülgers Film lapidar: „Was sollen die Leute machen? Die brauchen das Geld.“ 27 Prozent der türkischen Haselnussernte landen in deutschen Konzernen, zumeist in der Süßwarenindustrie. Somit muss jedes Stück Nuss-Nougat-Schokolade, das man in deutschen Supermarktregalen findet, unter dem Verdacht stehen, aus Kinderarbeit zu stammen.
Die Liste ließe sich endlos weiter führen – Textilwaren aus China, Kaffee aus der Elfenbeinküste oder Teppiche aus Indien. Kinderarbeit steckt in unzähligen Produkten, die wir in Europa konsumieren, doch häufig lässt sich schlicht nicht nachvollziehen, wer am Anfang einer Wertschöpfungskette steht. Fairtrade-Siegel helfen zwar bei der Orientierung, doch auch sie können nicht immer umfassend Auskunft darüber geben, wo Kinderarbeit im Spiel ist.
Bildung als Schlüssel
Über die Frage, wie man global gegen sie vorgehen kann, diskutierten am Sonntag beim „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin internationale Gewerkschafter, die sich für die Abschaffung von Kinderarbeit engagieren. Prerna Prasad, die sich in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi für Bildungsprojekte stark macht, betonte: „Das größte Problem in meiner Heimat ist, dass entsprechende Gesetze zwar vorhanden sind, aber nicht umgesetzt werden. Es ist schlichtweg würdelos, Kinder zur Arbeit zu zwingen.“
Tatsächlich ist es in Indien verboten, Kinder im Alter unter vierzehn Jahren zu beschäftigen oder sie kommerziell auszunutzen. Trotzdem verrichten laut deutschem Entwicklungshilfeministerium dort 12,6 Millionen Mädchen und Jungen Kinderarbeit. Nicht-Regierungs-Organisationen gehen jedoch davon aus, dass die tatsächliche Ziffer sich auf bis zu 60 Millionen belaufen könne.
Einig waren sich die Diskutierenden beim „Welttag“ über den wirksamsten Weg, Kinderarbeit zu bekämpfen: „Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit zwischen Behörden, Gewerkschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen, um die Schulbildung zu verbessern. Sie ist der Schlüssel für Selbstbewusstsein und menschenwürdige Arbeit“, betonte Innocent Assogba, Sekundarschullehrer aus dem Benin. In dem westafrikanischen Staat spielt Kinderarbeit gerade im landwirtschaftlichen Sektor eine große Rolle.
Faire Löhne für die Eltern
„Ich sehe täglich Klassen mit achtzig Kindern, von denen viele stundenlang zur Schule laufen müssen“, beklagte Assogba. Auch diese Situation lasse den Familien oft Kinderarbeit als die sinnvollere Alternative zum Schulbesuch erscheinen. Es sei daher dringend notwendig, gerade in Afrika die Infrastruktur zu verbessern und mehr Geld in Stellen für Lehrer zu investieren, so Assogbas Standpunkt.
„Die Wirtschaftskrise hat das Problem noch verstärkt. Niemand arbeitet klagloser zu Dumpinglöhnen als Kinder“, stellte er klar. Auch die soziale Situation der Familien insgesamt spiele eine wichtige Rolle: „Ich kann das Problem nicht isoliert von den Hungerlöhnen der Eltern betrachten“, so Assogbas Bilanz. Somit sei faire Bezahlung weltweit die erste Voraussetzung für die wirksame Bekämpfung von Kinderarbeit.
Info:
Die Homepage von „Avoid“ ist im Internet zu finden unter
„Children of the season“ ist als englische Langfassung über die Homepage Mehmet Ülgers zu beziehen:
studiert Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz. Im Sommer 2012 absolvierte sie ein Praktikum beim vorwärts.