Kultur

Policeman

von ohne Autor · 21. September 2014

Besteht der Kitt einer Nation nur aus Einbildung? Und wie brauchbar sind revolutionäre Gegenentwürfe? „Policeman“ zeichnet ein lakonisches Porträt der israelischen  Gesellschaft zwischen Anpasssung und Widerstand.

Richtig komplexe Persönlichkeiten, diese Typen von einer israelischen Anti-Terror-Einheit! Mit staatstragender Miene versammeln sie sich am Grab eines Kameraden, der bei einem Einsatz gegen Palästinenser umgekommen ist. Kaum ist das Lied auf den Verblichenen verklungen, verprügeln die Männer einen Friedhofsdieb. Anschließend legen sie den Schalter bei einem Bier am Strand von Tel Aviv wieder um. Wären da nicht die Frotzeleien gegenüber einem „Araber aus dem Norden“, der es wagt, in Sichtweite der Polizisten seinen Wagen zu parken – man könnte fast von einer Idylle sprechen.

Als zum Aufbruch geblasen wird, bleibt einer auf seinem Plastikstuhl sitzen: Yaron will nachdenken, sagt er. In dieser nicht gerade intellektuell aufgeladenen Atmosphäre voller demonstrativer Langeweile wirkt das wie Realsatire. Doch in Wahrheit trifft dieser Moment den psychologischen Kern dieses Films: Der angehende Familienvater beginnt an seinem Tun und an seinen Überzeugungen zu zweifeln. Doch der antrainierte Corpsgeist mit seinen klaren Feindbildern lässt sich schwer abschütteln.

Auch auf der anderen Seite der israelischen Gesellschaft gilt Gewalt als legitimes Mittel, seine Ziele durchzusetzen. Doch auch unter den juvenilen Revoluzzern, die eine Entführung bei einer Bonzen-Hochzeit ausgetüftelt haben, um das verhasste Establishment zu verschrecken, mischen sich Fanatismus und Selbstzweifel. Letzterer scheint unter ihnen die Flucht in die Verblendung noch zu beschleunigen.

Vor allem bei Shira. Die Geschichte jener Klassenkämpferin aus betuchtem Haus wird wie ein Spiegelbild zu Yarons Weg verfolgt. Man ahnt, dass sich beide irgendwann unter bleihaltigen Umständen begegnen werden. Genauso kommt es in einer Jerusalemer Tiefgarage. Für die Anti-Terror-Kämpfer ist die blutige Ende des dilettantischen Kidnappings unterm Strich ein Erfolg. Doch ist es auch einer für Yaron? Oder gar für Israel? Unterstreicht die Gewalt nicht die Sprachlosigkeit zwischen oben und unten?

Eskalation in Zeitlupe

Das aufgeheizte Klima innerhalb der israelischen Gesellschaft entschlüsselt Regisseur Nadav Lapid mit einer teils schwer zu ertragenden Beiläufigkeit und Langsamkeit. Anstatt etwa kurz vor dem tödlichen Finale das Tempo anzuziehen, kostet er die Konfrontation zwischen Geiseln und Geiselnehmern in ausgiebigen Einstellungen bis ins Letzte aus. Im Zeitlupentempo entwickelt sich das Wortgefecht zwischen Shira und der Milliardärstochter-Braut. Diese Unaufgeregtheit schärft das Bewusstsein für die Individualität der Akteure – nicht nur, aber gerade auch in jener Situation.

Gleichzeitig öffnet der ruhige Erzählfluss den Blick für ein Thema, das weit über Israel hinaus reicht. Hier geht es nicht etwa um die Rivalitäten zwischen ultraorthodoxen und liberalen Juden. Zwar hat sich die Feindschaft gegenüber den Palästinensern in den Köpfen von Yarons Kollegen festgefressen – fast schon ungläubig reagieren sie beim Briefing vor der Geiselbefreiung auf die Tatsache, es mit jüdischen Terroristen zu tun zu haben. Doch auch der Nahostkonflikt tritt gegenüber einem anderen Problem in den Hintergrund: Es sind die weltweit sich verschärfenden Verteilungskämpfe, die im jüdischen Staat ein besonders krasses Ausmaß ausnehmen und daher auch auf andere Konfliktfelder zurückwirken. In kaum einer anderen Demokratie wächst die Schere zwischen Arm und Reich so rasant. Die Wut darauf verleitet Shira und ihre Freunde zum Töten und zur Bereitschaft, getötet zu werden.

Yaron wiederum analysiert das Verteilungsproblem zu Beginn des Films von entgegengesetzter Warte: Er träumt von einem besseren Leben mit Haus und Garten. Wohl auch deshalb überredet er den an einem Tumor erkrankten Kameraden, die Verantwortung für jenen misslungenen Einsatz zu übernehmen, bei dem ein Geheimpolizist sein Leben ließ. Einem Krebskranken wird schon keiner am Zeug flicken. Wozu sollen Yaron und die anderen ihren Job riskieren, der doch alles bedeutet?

Was ist der Mann?

Doch auch Yarons Glaube an diese Männer-Familie, in der Patriotismus und Machotum unzertrennlich scheinen, bröckelt zunehmend. Insofern geht es in „Policeman“ auch um das Bild von Männlichkeit in einem Teil der Gesellschaft, der als besonders testosteronlastig gilt. Wenn Yarons Kollegen wüssten, dass dieser muskelbepackte Adonis seiner hochschwangeren Frau auf dem heimischen Sofa die Oberschenkel massiert! All diese Grübeleien über das Selbst- und das Fremdbild eines Menschen, der es sich sich zur Aufgabe gemacht, die „Pfeiler der Gesellschaft“ notfalls mit seinem Leben zu verteidigen, sind während der langen Momente des Schweigens in Yarons Augen zu lesen. Man mag diese Bildsprache, die alles oder auch nichts sagen kann, für pathetisch halten. Doch gerade das unterstreicht das offene Ende einer, wenn nicht gar der Menschwerdung.

 

Info: Policeman/ Hashoter (Israel 2011), ein Film von Nadav Lapid, mit Yiftach Klein, Yaara Pelzig, Michael Moshonov u.a., 105 Minuten, hebräische Originalfassung mit deutschen Untertiteln.  inostart: 25. Oktober

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