Kultur

Die Seilschaften des Diktators

von Anton Maegerle · 16. Oktober 2012

Die erste Biografie nach dem Tod des chilenischen Diktators Augusto Pinochet legt der Journalist und Wissenschaftler Friedrich Paul Heller vor. Der Chile-Experte geht in seinem Buch „Pinochet. Eine Täterbiographie in Chile“ der Frage nach, wie der Diktator es geschafft hat zur dominierenden Figur der chilenischen Politik zu werden und bis zu seinem Lebensende 2006 ungestraft davonzukommen.

Heller, der sich ab 1974 bei Amnesty International haupt- und ehrenamtlich für die Menschenrechte gefangene und gefolterte Chilenen einsetzte, charakterisiert den 1915 geborenen Pinochet als „mittelmäßig begabten Karriereoffizier“. In letzter Minute schloss er sich dem Putsch des chilenischen Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende am 11. September 1973 an. 

Pinochets 17-jährge Amtszeit, die längste in der Geschichte Chiles, basiert auf der Kombinationen von Repression, dem geglückten neoliberalen Wirtschaftsexperiment, dem rücksichtslosen Ausschalten aller Konkurrenten und insbesondere dem berüchtigten  Inlandsgeheimdienst DINA (Direccio´n de Inteligencia Nacional).

Folter schon am Tag des Putsches

Der Putsch gegen Allende, der nur einen Tag dauerte, habe die chilenische Gesellschaft abrupt und einschneidend verändert, erklärt Heller. Bereits am Tag des Putsches folterte das Militär in ganz Chile systematisch. Menschenrechte spielten in der Doktrin der Militärs keine Rolle. Der 1974 gegründete Geheimdienst DINA, der allein Pinochet unterstand, hatte den Auftrag, die linken Organisationen gezielt und selektiv durch exzessive Folter, Erschießungen (die als Gefechte dargestellt wurden) und durch Attentate zu vernichten. Die Linke sollte nicht nur besiegt, sondern auch physisch vernichtet werden.

Pinochets DINA-Agenten waren von einem missionarischen Eifer getrieben. Der beruhte auf der Überzeugung, dass Chile neu gegründet werden musste, um nie wieder dem Marxismus zu verfallen. Innerhalb der DINA gab es informelle Seilschaften. Eine davon bestand aus deutschstämmigen DINA-Offizieren und Männern der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Südchile. Sie diente der Diktatur als örtliches Heftzentrum, als Folterschule, als Vernichtungslager. Auch Pinochet war Gast der Colonia Dignidad. Zu den guten Freunden dort zählte Hans-Ulrich Rudel, Hitlers höchstdekorierter Jagdflieger. Rudel diente zeitweilig als Berater Pinochets.

Besuch von Franz-Josef Strauß

Der Putsch fiel in eine Zeit der Entspannungspolitik zwischen Ost und West und wurde von den westlichen Ländern fast einhellig abgelehnt. Während der Kalte Krieg im europäisch-atlantischen Zentrum abflaute, machte ihn Pinochet an der Peripherie zur Staatsdoktrin. Diese Ungleichzeitigkeit bestimmte in den folgenden Jahren Chiles Stellung in der Welt. Die internationale Isolation der Pinochet-Diktatur wurde zum ersten Mal durch einen Besuch von Franz-Josef Strauß (CSU) 1977 durchbrochen. Zur chilenischen „Bayern-Connection“ zählten auch die Professoren Lothar Bossle und Dieter Blumenwitz. Bossle hielt engen Kontakt zur Colonia Dignidad. Blumenwitz arbeitete an der chilenischen Verfassung mit.

Kenntnisreich schildert Heller, dass sich sofort nach dem Putsch spontan Solidaritätsbewegungen dagegen in Dutzenden von Ländern bildeten. Auch in der Bundesrepublik erreichte die Chile-Solidarität das Ausmaß einer sozialen Bewegung. Die Proteste gegen Mord und Folter führten dazu, dass vielfach Geschäfte zwischen westlichen Staaten und Chile scheiterten oder stockten. Ein „Meilenstein einer universalen Menschenrechtspolitik“, schreibt Heller

Heller hat für seine detail- und faktenreiche politische Biografie Pinochets, die mit Fußnoten gespickt ist, umfangreiche, erst jetzt zugängliche Archive eingesehen, darunter im Auswärtigen Amt in Berlin, in Großbritannien, in Chile und den USA. Ärgerlich ist, dass der sehr informationsreiche  Fußnotenapparat nicht in den Index des Buches mit eingearbeitet wurde.

Friedrich Paul Heller: „Pinochet. Eine Täterbiographie in Chile“, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012, 352 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 3-89657-097-8    

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Anton Maegerle

ist freier Journalist.

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