Das Bundesverfassungsgericht hat eine weitere Schwächung des Deutschen Bundestags verhindert. Die Karlsruher Richter erklärten am Dienstag das so genannte Neunergremium für weitestgehend verfassungswidrig. Entscheidungen wie die milliardenschweren Rettungsschirme dürften nicht einer Kleinstgruppe überlassen werden.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung muss ihre Pläne, milliardenschwere Euro-Rettungsschirme lediglich von einem ihr genehmen Kleinstgremium abnicken zu lassen, weitestgehend begraben. Wie bereits in den vorangegangenen Entscheidungen über die Zulässigkeit der Griechenlandhilfe und der Euro-Rettungsschirme, zuletzt im September letzten Jahres, betonte Karlsruhe auch heute wieder die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und die Repräsentationsfunktion grundsätzlich aller seiner Mitglieder. Lediglich in den hochsensiblen Fällen besonderer Vertraulichkeit, wie dem Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt (Börsen), darf auch mal ein kleinerer Ausschuss entscheiden.
Damit haben die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Swen Schulz und Peter Danckert , die gegen das Geheimgremium Verfassungsbeschwerde eingelegten hatten, in nahezu vollem Umfang Recht bekommen. Gerichtspräsident Andreas Voßkule betonte in der Urteilsbegründung die Repräsentationsfunktion des Bundestages in seiner Gesamtheit, durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder, und eben nicht nur durch einzelne Abgeordnete oder die parlamentarische Mehrheit.
Keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung erkennbar
Das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments müssen prinzipiell durch Verhandlungen und Beschlussfassung im gesamten Plenum wahrgenommen werden. All die Abgeordneten, die nicht in dem geplanten Sondergremium hätten Platz nehmen dürfen – nach den Plänen der Regierung wären dies nicht weniger als 611 von den insgesamt 620 Abgeordneten gewesen – wären somit „in verfassungswidriger Weise von der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Parlaments“ ausgeschlossen worden.
„Das Grundgesetz duldet keine Ungleichbehandlung hinsichtlich der aus dem Abgeordnetenstatus folgenden Mitwirkungsbefugnissen im Rahmen der parlamentarischen Arbeit“, unterstrich Voßkuhle und fügte hinzu, „eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen Ausschluss ist nicht erkennbar“.
Doch selbst wenn die Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf ein Sondergremium ausnahmsweise zulässig ist, wie bei den Beratungen und der Beschlussfassung über den Ankauf von Staatsanleihen, darf die Zusammensetzung nicht so aussehen wie die Bundesregierung sich diese vorstellt. Hier ist, so das Gericht, dem „Grundsatz der Spiegelbildlichkeit“ grundsätzlich Rechnung zu tragen. Auch ein Sondergremium habe „ein verkleinertes Abbild des Plenums darzustellen“ und die jeweilige Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen möglichst getreu widerzuspiegeln. Ohne Zweifel stellt dieser Passus eine weitere Zurechtweisung der Regierung, der SPD in diesem Gremium genauso viele Abgeordnete zuzugestehen wie der FDP, dar.
Der Ausnahmefall darf nicht die Regel sein
In einer ersten Stellungnahme nach Verlesung des Urteils äußerte sich der zur Urteilsverkündung nach Karlsruhe angereiste SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz hoch zufrieden über die getroffene Entscheidung: „Das Bundesverfassungsgericht ist der Regierung mal wieder in die Parade gefahren und hat die Abgeordnetenrechte gestärkt“, betonte der Parlamentarier und fügte hinzu,: „Das ist genau das, was wir wollten“.
Die schwarz-gelbe Koalition hätte gern den Ausnahmefall zur Regel gemacht, aber hier hat das Gericht Stopp gesagt. Lediglich in hochsensiblen, geheimhaltungsbedürftigen Ausnahmefällen – und eben nicht in den Fällen der Eilbedürftigkeit – dürfe ein kleineres Gremium als der 41 Mitglieder umfassende Haushaltsausschuss, der zudem noch ganz anders zusammengesetzt seien müsse, als die Regierung es gern hätte, Entscheidungen treffen.
Der Gesamttenor auch dieses Urteils des zweiten Karlsruher Senats ist ohne Zweifel getragen von dem Ziel, möglichst viel parlamentarische Legitimation zu ermöglichen und verfassungsrechtlich verbürgte demokratische Spielregeln einzuhalten. Grundsätzliche, der repräsentativen Demokratie wesensimmanente Aspekte dürfen, soweit dies nicht zwingend erforderlich scheint, nicht außer Acht gelassen werden.