Inland

"Europa darf keine Festung werden!"

von Ramon Schack · 22. Februar 2012

Pepe Baigt war als Kommunalpolitiker in der Sozialistischen Partei aktiv und lebt in der südlichsten Stadt Europas, in Tarifa. Er wirbt für eine größere Zusammenarbeit zwischen Marokko und Spanien: "Wir wollen, dass sich die Völker besser verstehen."

"Fast jedes Wochenende nehme ich die Fähre nach Tanger. 35 Minuten dauert die Fahrt von meinem Wohnort Tarifa aus dorthin. Zusammen mit meiner Frau besuche ich Freunde und Bekannte. Diese Ausflüge, die afrikanische Luft, halten mich jung und gesund", erzählt Pepe Baitg bei einem Glas frischgepressten Orangensaft auf seiner Terasse.

Geboren wurde der rüstige Rentner 1924 in der Westsahara, der damaligen spanischen Kolonie. Seine Eltern waren dort Lehrer. Der Vater, ein Gegner Francos, konnte nach dem Bürgerkrieg nicht zurück nach Spanien. Die Familie zog nach Tanger, gleich gegenüber in Marokko. Erst 1976, nach dem Ende des Faschismus, kam Pepe Baigt nach Spanien. Jahrzehntelang war er als Kommunalpolitiker in der Sozialistischen Partei aktiv.

Tarifa ist die südlichst gelegene Stadt des Europäischen Festlandes. Auf einer Breite von nur 14 Kilometern trennt hier die Straße von Gibraltar nicht nur den Atlantik vom Mittelmeer, sondern auch Europa von Afrika und die Islamische Welt vom iberoromanischen Kulturkreis. "Es ist schon merkwürdig: Meine Familie zog in die nördlichste Stadt Marokkos, um wenigstens einen Blick auf das unerreichbare Europa werfen zu können. Jetzt lebe ich in der südlichsten Stadt des europäischen Festlandes, und reise regelmäßig nach Tanger."

Baigt wirbt für eine größere Zusammenarbeit zwischen Marokko und Spanien. "Wir wollen, dass sich die Völker besser verstehen. Das arabische Erbe ist in Tarifa allgegenwärtig, in der Sprache, der Musik, der Kultur. Wir Andalusier haben alle einen Tropfen arabisches Blut in uns. Es gibt die gleichen Sprichwörter in Spanisch und Arabisch. Lange Zeit wurde das in Spanien ignoriert. Dabei haben wir bestimmt auch eine gemeinsame Zukunft."

Baigt glaubt nicht, dass sich die Jugend Marokkos von den Einreisebestimmungen abhalten lasse. Er verweist dabei auf die Flüchtlinge, die fast wöchentlich an der Küste eintreffen, falls sie denn die Überfahrt auf den klapprigen Nußschalen überleben. Seit einigen Jahren organisiert Baitg zusammen mit seiner Ehefrau einen Austausch zwischen zwei Gymnasien. Die Schüler und Lehrer sind beiderseits begeistert.

"Aber hüben wie drüben werden uns Steine in den Weg gelegt. In Spanien ärgert uns die Bürokratie mit den Einreisebestimmungen, jeder Besucher aus Marokko wird als illegaler Einwanderer gesehen. In Marokko polemisieren religiöse Fanatiker, dass wir die arabischen Schüler mit dem lasterhaften Lebensstil des Westens infizieren. Doch wir bleiben optimistisch," stellt Baigt nüchtern fest.

"Wer nicht reist, kennt den Wert des Menschen nicht", zitiert er Ibn Batuba, den berühmten Chronisten der arabischen Welt, der in Tanger geboren wurde. "Das ist unser Motto." Wie Europa aussehen soll? Baigt denkt einen Augenblick nach. Sein Blick schweift über die Dächer Tarifas. Dattelpalmen und Orangenbäume ragen zwischen den weißgetünchten Häuserzeilen hervor. Schließlich sagt er: "Europa darf nicht zur Festung werden, der Kontinent muß offen bleiben!"

Schlagwörter
Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare