Inland

Bürger an die Macht

von Marisa Strobel · 12. März 2012

Wie viel Transparenz braucht Politik? Darüber diskutierten die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg und Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion beim „UdL Digital“-Talk in Berlin.

Eine „Revolution“ nennt Anke Domscheit-Berg das Projekt Open Government. Transparenz, Kooperationsformen und Partizipation der Bürger im Netz sind die drei Teilbereiche, die unter dem Begriff zusammengefasst werden. Prozesse und Ergebnisse sollen für jedermann verständlich zugänglich sein. Bürger sollen in Entscheidungen miteinbezogen und Daten der öffentlichen Verwaltung im Netz veröffentlicht werden – sofern sie nicht sicherheitsrelevant oder personenbezogen sind. So die Forderung der Netzaktivisten.

Domscheidt-Berg formulierte sie beim UdL-Talk, einer vom Telefonanbieter E-Plus initiierten Veranstaltungsreihe mit Politikern und Experten. UdL steht dabei für „Unter den Linden“ im Berliner Regierungsviertel.

„Die Technik ist das kleinste Problem“, weiß Domscheit-Berg. Während ihrer Arbeit im Team rund um die „Berlin Open Data“-Aktionsplattform im vergangenen Jahr hat sie praktische Erfahrungen mit der Umsetzung von Datenveröffentlichung gesammelt. Die größte Hürde: die Verwaltungsbeamten selbst. „Es gab welche, die haben ihre Haushaltsdaten sofort zur Verfügung gestellt. Andere haben sich geweigert, obwohl es dazu keinen Grund gab. Die Daten mussten sie uns trotzdem geben“, berichtet Domscheit-Berg. Die Informationskultur zu ändern, stelle die größte Schwierigkeit dar. „Wir müssen die Menschen davon überzeugen, ihre Informationen für das Gemeinwohl herauszurücken“, so die Mitbegründerin des Vereins „Government 2.0 Netzwerk Deutschland“, der sich für eine offene Verwaltung einsetzt. Tief verwurzelt seien das Festhalten am Amtsgeheimnis und die Angst vor Kontroll- und Machtverlust.

Ziel: Gläserner Staat mit Ausnahmen

Thomas Oppermann unterstützt die Forderung nach so genannten Open Data: „Unsere Daten gehören allen, außer es gibt triftige Gründe wie zum Beispiel den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Leute, die Wissen aus Machtgründen bunkern, brauchen wir nicht.“ Transparenz ja, aber nicht in allen Bereichen: Als Vertreter der Politik plädiert Oppermann auch weiterhin für geschützte Räume. „Es muss die Möglichkeit vertraulicher Gespräche geben, ohne zu befürchten, dass sie anschließend im Netz landen“, so der SPD-Politiker. Auch eine Live-Übertragung von Fraktionssitzungen schließt Oppermann aus: „Wenn öffentlich debattiert wird, sind die Beiträge ganz anders“, so sein Argument. Für richtige Entscheidungen bedürfe es interner Debatten.

Den Raum für vertrauliche Gespräche will ihm Domscheit-Berg auch gar nicht streitig machen. Auch in einer modernen Gesellschaft müsse es geschützte Räume geben. Vom Ideal sei man aber noch meilenweit entfernt, sagt sie und verweist auf den Fall ACTA. Jahrelang sei hinter verschlossenen Türen über das Urheberrechtsabkommen verhandelt worden, dass Produkt-Piraterie im Netz verhindern soll, von Kritikern aber als undemokratisch abgelehnt wird. „Hier müssen Interessen aller Seiten angehört werden, und nicht nur die einzelner Unternehmen“, kritisiert Domscheit-Berg. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass die Öffentlichkeit solche Entscheidungen künftig nicht mehr erst im Nachhinein erfahre. Sie fordert: „Eine Demokratie braucht eine Umkehr von Transparenz, damit Nichttransparenz zur Ausnahme wird“.

Bürger wollen Mitspracherecht

Die Ergebnisse einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung unterstützen ihre Position: Demnach wünschen sich fast alle Bürger ein stärkeres und vor allem früheres Einbeziehen in politische Entscheidungen. „Deutschland will immer Weltmarktführer sein. Nur beim Thema Open Government hinken wir selbst den Nachzüglern hinterher“, kritisiert Domscheit-Berg.

  Dass für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung in der Politik gearbeitet werden müsse, darin sind sich die Netzaktivistin und der Politiker einig. Eine Möglichkeit stellt die Internet-Plattform „Adhocracy“ dar. Die SPD-Fraktion nutzt diese seit Januar 2012, um Zukunftsthemen mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren. „Der Input von außen ist wichtig. Dadurch lassen sich Probleme und Fehler schneller aufspüren“, lobt Oppermann. Eine parlamentarische Entscheidung könne eine solche Bürgerbeteiligung aber nicht ersetzen. Domscheit-Berg gibt zu bedenken: „Wenn man Open Government richtig machen möchte, muss man den Input der Teilnehmer auch berücksichtigen.“

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Autor*in
Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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