Volksbegehren, Volksentscheide und Co. – manche halten sie für ein Wundermittel gegen Politikverdrossenheit und Lobbymacht. Andere fürchten, ihr Einsatz könnte unser System der repräsentativen Demokratie lähmen.
Zusammen mit dem Verein Mehr Demokratie hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung eine wahre Diskussions-Orgie ins Leben gerufen: Über zwei Tage hinweg erörterten Wissenschaftler und weit über hundert Gäste die Voraussetzungen, direktdemokratische Instrumente auf Bundesebene einzuführen. Wie sich zeigen sollte, steckt der Teufel im Detail – kontroverse Debatten waren das Ergebnis.
So auch beim Auftakt der Berliner Fachtagung: Auf der einen Seite trägt der Bonner Professor Frank Decker seine Skepsis gegenüber direktdemokratischen Instrumente vor. Sein Gegenüber Hermann Heußner, der an der Hochschule Osnabrück lehrt, rechnet hingegen mit positiven Effekten für die Bundespolitik. Decker argumentiert: „Ein Gesetzgebungsrecht des Volkes passt nicht zur Logik unseres parlamentarischen Systems.“ Das deutsche Regierungssystem funktioniere, weil sich Regierung und Opposition im Parlament ideal ergänzen, sagt er. Direktdemokratische Instrumente würde eine zusätzliche Opposition schaffen. Hinzu komme ein Problem mit Blick auf den Föderalismus: Wenn das Volk direkt Bundesgesetze beschließen könne, würde die Rolle des Bundesrates und damit die Interessen der Länder vernachlässigt.
„Stimmt nicht“, kontert Hermann Heußner, „wie jedes Regierungssystem hat auch das deutsche Schwächen.“ Und diese ließen sich durch mehr direkte Mitsprache der Bürger ausbessern, ist er überzeugt. „Denken sie doch nur an die Mehrwertsteuerermäßigung für Hotelübernachtungen durch die Regierung. Das war eine Minderheitenentscheidung.“ In diesem Fall habe sich eben nicht die Mehrheit der Bevölkerung im Votum der repräsentativ gewählten Vertreter widergespiegelt. Oder der ungekehrte Fall: „Auch Unterlassung ist möglich – beim Thema Bürgerversicherung hat die Regierung auch anders entschieden, als das Volk es getan hätte“, so Heußner. Gegen solches „Tun und Lassen des Gesetzgebers muss das Volk die Möglichkeit haben, selbst auf Gesetze hinzuwirken.“ Das Ergebnis sei aber keinesfalls eine Schwächung der repräsentativen Demokratie, sondern eine willkommene „Dämpfung“.
Der bescheidene Bürger
Geht es um Direktdemokratie ist der Blick in die Schweiz nahe liegend. Das Land kann auf eine lange Tradition der Bürgerpartizipation zurückblicken. Der Ökonom Rainer Eichenberger, Lehrstuhlinhaber an der eidgenössischen Universität Freiburg, ermutigt die Deutschen zu mehr Mut beim Thema direkte Demokratie. Sein Argument fußt vor allem auf empirischen Ergebnissen: Viele finanzpolitische Entscheidungen würden mit größerer Weitsicht getroffen, wenn die Bürger einbezogen werden. Salopp formuliert der Wissenschaftler: „Ich werfe ja keinem Politiker vor, dass er auf die nächste Wahl schaut und entsprechende Versprechungen macht. Versprechungen, die mitunter viel Geld kosten. Aber den Bürgern ist klar, dass sie länger als vier Jahre leben.“
Es gebe einige Bespiele für die Selbstbeschränkungen der Bürger, erläutert Eichenberger. So habe es in der Schweiz Volksentscheide gegeben, die das Militär betreffen. Dabei seien für die Zukunft die Mitspracherechte einschränken worden. In einem anderen Fall habe eine Initiative dazu geführt, dass es für Einzelpersonen schwieriger wird, Abstimmungen zu erzwingen. Allerdings sei all diesen Entscheidungen ein breiter gesellschaftlicher Diskurs vorangegangen, betont der Wissenschaftler. Diese intensive Auseinandersetzung sei aber zutiefst demokratisch. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels sieht hier den wichtigsten Ansatzpunkt für die Diskussion: „Neben den Medien haben auch die Parteien die Aufgabe, vor Volksentscheiden für eine offene Debatte zu sorgen. Wir müssen den Bürgen viel mehr Informationen bereitstellen.“ Außerdem fordert Bartels mehr Transparenz darüber, wer hinter einer Initiative steckt und eine Einigung über die Frage, wie hoch das Quorum, also die notwendige Anzahl von Stimmen, ausfallen muss.
Nachdem der rot-grüne „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz“ 2002 an der 2/3-Hürde im Parlament gescheitert war, hat sich die SPD auf ihrem vergangenen Bundesparteitag im Dezember zu einem neuen Anlauf entschieden. In ihrem Beschluss fordert die Partei auch auf Bundesebene mehr direkte Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger. Mittlerweile befasst sich auch die SPD-Bundestagsfraktion mit dem Thema.