Kultur

Der naive Traum von erneuerbaren Energien

von Romy Hoffmann · 30. März 2012

Der Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 ist beschlossen. Aber kann die Energiewende wirklich so schnell gelingen, wie sie uns die Politik verspricht? Johannes Winterhagen bezweifelt dies und behauptet sogar, dass wir vom Zeitalter der regenerativen Energien noch weit entfernt sind.

 „Von Energiewende kann keine Rede sein.“ Johannes Winterhagen stellt das gleich zu Beginn seines Buches „Abgeschaltet – Was mit der Energiewende auf uns zukommt“ klar. Zur Energiewende gehöre nämlich mehr, als der Ausstieg aus der Kernenergie. Vor allem der Umstieg auf völlig klimaneutrale Energiewirtschaft müsse angestrebt werden. Das ist in Deutschland aber keineswegs der Fall. Seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011, die die Bundesregierung als Anlass für die Abschaltung von acht deutschen Kernkraftwerken nahm, bezieht Deutschland unter anderem Strom aus französischen Kernkraftwerken oder aus osteuropäischen Kohlekraftwerken. Das habe mit einer Energiewende wenig zu tun, kritisiert Winterhagen.

Erneuerbare Energien stecken noch in Kinderschuhen

Johannes Winterhagen hat sich weltweit einen Überblick über die bereits vorhandenen Technologien gemacht, die zur Energieversorgung aus regenerativen Quellen vorgesehen sind. Ob Solarthermiewerke in den Vereinigten Staaten, Offshore-Windparks in England oder Geothermieanlagen in Bayern – die relativ geringe Energieproduktion aus den Anlagen bestätigt, dass erneuerbare Energien noch immer in den Kinderschuhen stecken. Vor allem das Speichern von Energie aus regenerativen Quellen stellt noch immer ein großes Hindernis dar. Winterhagen kritisiert in diesem Zusammenhang die fehlende internationale Kooperation. Auch die benötigten Stromnetze sind noch nicht flächendeckend vorhanden.

Nach seiner einjährigen Recherche kommt Winterhagen zu dem Ergebnis, dass die Realität der Energiewirtschaft in Deutschland nicht dem Bild entspricht, das die Gesellschaft pflegt. Er stellt fest, dass „Wohlstand für neun und mehr Milliarden Menschen auf dieser Erde nicht durch Energiesparen zu erreichen ist, sondern durch mehr Energie, die wir auf sauberem Weg erzeugen.“ Diese Ehrlichkeit zieht sich durch das gesamte Buch. So plädiert Winterhagen wegen des großen Wirkungsgrades auch für zentrale, große Kraftwerke. Den Trend zur dezentralen Energieversorgung, wie sie hierzulande immer populärer wird, verurteilt der Autor hingegen.

Neue Energiepolitik wagen

Johannes Winterhagen zielt mit seinem Buch darauf ab, den Otto-Normal-Bürger am öffentlichen Diskurs teilhaben zu lassen. Er gibt dem Laien ein Verständnis von der Funktionsweise der Technologien zur Energiegewinnung und will ihm auch die Grenzen des derzeit Möglichen vor Augen halten. Winterhagens Schreibstil wird geprägt von Klarheit und Neutralität. Nichtsdestotrotz erhält das Buch durch die subjektive Erzählweise und den Reportagestil eine lebhafte Note.

Die Nüchternheit und Ehrlichkeit des Autors überzeugen. Er ist der Meinung, dass wir vom Zeitalter der erneuerbaren Technologien noch weit entfernt sind: „Frühestens 2030 werden wir die Hälfte unserer Energie regenerativ erzeugen.“ Trotz der düsteren Aussichten, was die Energiewende bis 2022 betrifft, gibt Winterhagen die Hoffnung nicht auf. Er plädiert für die Förderung und Weiterentwicklung von technischen Innovationen, möchte aber auch den Politikern zu einer neuen Form der Entscheidungsfindung verhelfen. „Diskussions- und streitfähig sollte die Energiepolitik der Zukunft sein.“ Deswegen fordert Winterhagen den Einbezug von Bürgern, Nichtregierungsorganisationen und Verbänden in politische Entscheidungsprozesse. Aus diesem Grund ist das Buch wesentlich mehr als die bloße Information über Technologien – es ist ein Leitfaden zur Energiewende.

Johannes Winterhagen, Abgeschaltet – Was mit der Energiewende auf uns zukommt, Hanser Verlag, München 2012, 256 Seiten, 17,90 Euro, ISBN: 978-3-446-42773-0

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare