Drei Frauen, ein Schicksal: „Kairo 678“ erzählt davon, wie junge Ägypterinnen gegen sexuelle Übergriffe kämpfen. In seinem aufreibenden Realismus zeichnet der Film zugleich ein Porträt von einer Gesellschaft im Umbruch.
Wer weiß schon, wohin die Arabellion Ägypten tragen wird. Nicht weniger diffus als die politische ist die soziale Gemengelage im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt. Jene Mischung aus Aufbruch und Stagnation prägt auch die Atmosphäre von „Kairo 678“. Das Drama widmet sich einem Problem, das alle Gesellschaften kennen. In einer zwischen erstarkendem Konservatismus und kosmopolitischem Individualismus lavierenden Gesellschaft ist es jedoch von besonderer Sprengkraft: die sexuelle Belästigung von Frauen.
Wieviel Respekt genießen die Opfer? Was haben Täter zu befürchten? Die Antworten darauf entscheiden, ob Rollenbilder wackeln oder zementiert werden.
Bevor die südafrikanische Journalistin Lara Logan im vergangenen Jahr am Rande des Tahrir-Platz von einer Männerhorde missbraucht wurde, hat das im Ausland allerdings kaum einen interessiert.
Auch darum geht es im Regiedebüt von Mohamed Diab. In Ägypten kennt man ihn als Drehbuchautor von Blockbustern. „Kairo 678“ ist das genaue Gegenteil, doch einen Mangel an Resonanz gibt es bislang nicht zu beklagen.
Seminare zur Gegenwehr für Frauen, ein Prozess oder eine Haarnadel: Die Mittel, mit denen Seba, Nelly und Fayza gegen die alltäglichen Demütigungen in den Krieg ziehen, sind so verschieden wie ihre Lebenswelten.
Im täglichen Gedränge der Buslinie 678 wird Fayza – trotz ihres Schleiers, möchte man fast sagen – immer wieder begrabscht. Die sexuelle Lust ist ihr bereits vergangen, ihr Mann befriedigt seine außer Haus. Mit ihrer Gegengewalt bringt Fayza Kairos Polizei auf Trab.
Die Leere danach
Mitten im Verkehrsgetümmel wird auch die quirlige Callcenter-Mitarbeiterin und Nachwuchscomedian Nelly entwürdigt – nicht weniger entwürdigend sind die Reaktionen von Familie und Behörden. Umso souveräner kämpft sie um eine Anklage vor Gericht. Nebas traumatische Erfahrung ist der Untergrund all ihres Empfindens, Denkens und Tuns: Vor Jahren wurde sie Opfer einer Massenvergewaltigung. Für ihren Mann ist die Schmach unerträglich, die Ehe scheitert. Frauen stark zu machen, verleiht auch ihr Stärke – gleichzeitig spiegelt sich in ihrer Luxus-Behausung ein leer gefegtes Inneres wider.
Ist körperliche Gewalt legitim? Was bringen psychologische Theorien? Darf man sich gegen Vater, Mutter, den Verlobten und die künftigen Schwiegereltern stellen? Mit diesen drei Frauen treffen auch völlig verschiedene Sichtweisen aufeinander. Allerdings nehmen Nelly, Neba und Fayza in den heftigen Diskussionen nicht immer die Position ein, die man ihnen gemeinhin zuordnen würde – gerade das zeugt von subtilen Charakterstudien. Auch der Ansatz, drei Erzählstränge zu verknüpfen und bis zu einem vorläufigen Ende zu verfolgen, führt einige Erwartungen in die Irre. Dass einige Dialoge und Übergänge etwas holpern, fällt kaum ins Gewicht. Vielmehr entsprechen eben jene ungedrechselten Gesprächsfetzen und mitunter befremdlichen Verhaltensweisen einer um Realismus bemühten, ans Dokumentarische grenzenden Perspektive und Ästhetik – was nicht immer ein Genuss ist!
Menetekel der Revolution
Dazu gehört auch ein schonungsloser Blick auf den Moloch Kairo: Mit seinem Lärm, Dreck und Gewusel, aber auch den trügerisch erhabenen Fassaden ist er mehr als nur Kulisse. Lässt sich dieser Hexenkessel nicht auch als Dampfkessel kurz vor dem Überkochen sehen? „Kairo 678“ entstand etwa ein Jahr vor jenen Tagen des Umsturzes, viele Bilder wirken wie ein Menetekel.
Unbestritten sind die Aktualität und der Realitätsbezug des eigentlichen Themas: Unter anderem floss die Geschichte jener Ägypterin ein, die als Erste wegen sexueller Belästigung prozessierte. Ebenso der Übergriff auf eine junge Frau inmitten von Fußballfans – beim Drehen dieser im Skript vorgesehenen Szene wurde die Darstellerin tatsächlich belästigt! Das Unerwartete und Unvorstellbare in scheinbarer Sicherheit: Auch dafür öffnet einem „Kairo 678“ die Augen.
Bildtext:
Fayzas (Bushra) Rache schmerzt. Quelle: Arsenal
Info:
Kairo 678 (Cairo 678), Ägypten 2010, ein Film von Mohamed Diab,
mit Ahmed El Feshawy, Bushra, Maged El Kedwany, Nahed El Sebaï , OmU, 100 Minuten.
www.arsenalfilm.de/kairo678
Kinostart: 8. März