Kultur

Selbstmord inklusive

von ohne Autor · 17. Mai 2012

Der bitterböse Blick kann gerade heftig diskutierte Dinge umso besser durchleuchten. Selten hat man diesen Effekt so deutlich erlebt wie in Olias Barcos Sterbehilfe-Groteske „Kill me please“.

Wer angesichts des Titels eine trashige Komödie erwartet, in der sich Menschen auf denkbar schräge Art ins Jenseits befördern lassen, liegt völlig falsch. Nun gut, am Ende sind fast alle tot, allerdings auf recht konventionelle Art, nimmt man andere Kino-Grotesken als Maßstab. Und als trashig geht die Geschichte um eine Klinik für Betuchte, die ihrem Leben individuell und vor allem gepflegt ein Ende setzen wollen, allemal durch. Doch insgesamt gelingt es Regisseur Olias Barco, allerlei Erwartungen ins Leere laufen zu lassen.

Ein Schloss, irgendwo im tief verschneiten Wald, in irgendeinem Land: Das ist das Reich des Psychiaters Dr. Kruger. Unter seiner Aufsicht scheiden solvente Todkranke aus dem Leben, selbstverständlich mit Grandezza und Würde. Gerade im Tod wollen sie ihre Individualität nicht nur bewahren, sondern auch beweisen. Der Staat unterstützt diese Praxis. Kruger und sein Team müssen also nur noch für den angemessenen Rahmen und dafür sorgen, dass alles seinen korrekten Gang geht.

Die Bezüge zur umstrittenen Schweizer Organisation Dignitas, die mit ähnlichen Attributen für ihre Dienstleistung wirbt, sind überdeutlich. Doch Barco enthüllt weder die Machenschaften von Dignitas noch geht es ihm um eine moralische Bewertung von Sterbehilfe an sich. Er will zeigen, was es heißt, in einer Gesellschaft zu leben, in der die sterile Kontrolle und Abwicklung aller Lebensbereiche, also auch des Todes, über alles geht. 

Raster für Selbstmörder

Welche Folgen es haben kann, auch den Todestrieb ordentlich und sauber zu verwalten, führt „Kill me please“ drastisch vor. Zum Beispiel dass, wer zwar die Lust am Leben verloren hat, aber nicht ins Raster passt, eiskalt der Klinik verwiesen wird: So ergeht es dem prominenten Filmemacher Monsieur Demanet. Der hat sein Krebs-Endstadium nur vorgegaukelt. Tatsächlich leidet er an der Trennung von seiner Frau. Kruger verweigert ihm die Behandlung. Also nimmt Demanet seinen Schlussakt selbst in die Hand. Nicht weniger schillernd sind die weiteren Gäste: Ein Transvestit hat durch den Lungenkrebs seine Singstimme verloren und weiß nicht mehr weiter. Der bärtige Waldschrat Monsieur Vidal büßte seine bessere Hälfte beim Poker ein. Virgile träumt schon seit seiner Kindheit von einem dramatischen Abgang mit jenen Effekten, die Rambo-Fans zur Ehre gereichten.

Neben ihren individuellen Seelennöten scheint sie der Abscheu gegenüber einer Welt zu verbinden, von der sie sich innerlich entfernt haben. Das könnte wohl mit Barcos Sicht auf die Gegenwart zusammenhängen, die er so beschreibt: „Indem man den Todesinstinkt kontrollieren will, bringt man ihn dazu, dass er uns umbringt! Wir leben in einer Welt, in der man Dinge in Ordnung und rein halten muss. Man könnte auch sagen: Lasst uns alles so lang in Ordnung bringen, bis es uns umbringt“

Schließlich wäre da noch die Steuerfahnderin Madame Evrard, der nicht einleuchten will, warum so viele Patienten dem so umtriebigen wie diskreten Dr. Kruger ihr gesamtes Vermögen vermachen. Der wiederum ist nicht nur Herr über Leben und Tod: Mit seiner hinter guten Manieren und dem Charme eines Oberkellners verkleideten Härte verkörpert er den zynischen Geist seines Hauses bis zur Perfektion. Doch alles gerät außer Kontrolle, als plötzlich ein Trakt des Schlosses in Flammen steht, die sämtliche Vorräte vernichten. Nun ist es vorbei mit opulenten Abschiedsdiners und Quickies mit lockeren Studentinnen, bis das Gift im Champagner wirkt.

Der Feind im Dorf 

Was also tun in der Einöde? Einige Todesaspiranten wollen sich zu Fuß ins nächste Dorf durchschlagen. Doch dort begegnet man den Nachbarn mit Feindseligkeit. Als dann auch noch ein ominöser Serienkiller nach und nach Dr. Krugers Kundschaft niederstreckt, liegen die Fronten auf der Hand. Gerade jetzt entdecken Vidale und die anderen ihren Überlebensgeist. Oder beharren sie gerade jetzt ganz bewusst auf dem Recht, selbst über ihr Ende zu bestimmen? 

Barco macht aus dieser Wendung großartig schrägen, tragikomischen Stoff. Doch die unterkühlte Grundatmosphäre bleibt die gleiche: Auch im Moment größter Todesangst lässt sich der gelassene Erzählton nicht aus der Ruhe bringen, verharren die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Handkamera in langen Einstellungen. So gerät kein Detail aus dem Blick. In einem Film, der kein Horrorfilm sein will, bringt diese Ästhetik die Zitate aus dem Horrorgenre besonders gut zur Geltung. Doch in Dr. Krugers Schloss des Schreckens wohnt auch Hoffnung.

„Kill me please“ (Belgien 2010), ein Film von Olias Barco, mit Aurelien Recoing, Virgile Bramly, Virgina Efira u.a., 95 Minuten.

Ab sofort im Kino

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